In Spanien hat sich eine neue Protestbewegung gebildet. Die Erwartungen an sie sind (zu) hoch.
Was zunächst nur ein Protest gegen die Finanzkrise in Spanien zu sein schien, hat sich kurzerhand in eine ungewöhnlich breite Bewegung verwandelt. Analog zu den öffentlichen Vollversammlungen, mit denen sich die Bevölkerung Griechenlands die Straßen aneignet (siehe Schlaglichter aus Griechenland), sind auch in Spanien viele Menschen dem Beispiel aus dem sog. „Arabischen Frühling“ gefolgt und haben zahlreiche öffentliche Plätze besetzt. Dennoch muss klargestellt werden, dass Spanien gewiss nicht vor einer Revolution steht, wie in alternativen Medien gern dargestellt. Vielmehr ergeht sich die Bewegung bisher in Forderungen nach Reformen und ist aufgrund ihres klassenübergreifenden Charakters widersprüchlich in ihren Interessen.
Die „Bewegung der Empörten“, wie sie sich nennt, entstand aus einem Protest, der am 15. Mai von der Plattform „Echte Demokratie jetzt!“ organisiert wurde. Dieser stand unter dem Motto: „Wir sind keine Ware in den Händen von Politikern und Bankern“. Die Plattform bezeichnet sich selbst als „staatsbürgerlich und parteiunabhängig“. Der Aufruf war eher von der seichten Art und enthielt eine vage Positionierung „gegen das bestehende politische System“ und für „eine ethische Revolution“.
An den Demos nahmen Hunderttausende Menschen Teil, davon allein 20.000 in der Hauptstadt Madrid. Dort sorgten denn auch die staatlichen Sicherheitskräfte für Hunderte von Festgenommenen und Verletzten. Es war dieses kalte Vorgehen der Polizei, das – in Solidarität mit den Gefangenen – zur spontanen Besetzung der Puerta del Sol, eines zentralen, historischen Platzes führte.
Damit fand die Bewegung eine Plattform, um ihren Protest fortzusetzen. Und nach den Angriffen der Polizei und dem Versuch, das Camp zu räumen, schlossen sich über die „sozialen Netzwerke“ immer mehr Leute an, sodass sich auf dem Platz letztlich um die 6.000 DemonstrantInnen sammelten. Ende Mai, am Tag der Kommunalwahlen, dem ein umstrittenes Demonstrationsverbot vorausging, waren es sogar um die 30.000. Auf diese Weise breiteten sich die Platzbesetzungen über ganz Spanien aus.
Von Anfang an hat sich die Bewegung als „pazifistisch“ präsentiert und sich gegen jegliche Gewalt ausgesprochen. Zudem hat sie sich bemüht, politische Organisationen herauszuhalten, die versuchen könnten, aus den Protesten politische Rendite zu schlagen. Trotz dieser außerparlamentarischen Ausrichtung ist die Bewegung aber keinesfalls revolutionär. Denn sie fordert „lediglich“ Korrekturen in einigen Teilbereichen des Systems, wie etwa eine Änderung des Wahlgesetzes, damit den kleineren Parteien mehr Gewicht im Parlament zukommt. Dies erklärt die doch recht halbherzige Positionierung zu den Wahlen: Es wurde nicht zur aktiven Enthaltung bei den Wahlen aufgerufen, was doch die entsprechende Konsequenz gewesen wäre, wenn das Wahlgesetz tatsächlich für so „manipulativ“ gehalten würde.
Wie der seichte Grundkonsens schon andeutet, ist die Zusammensetzung der Bewegung sehr heterogen. Sie vereint Arbeitslose und Unternehmer ebenso wie Arme und Reiche. Ebenso gibt es zwar eine deutliche Infragestellung der PolitikerInnen (als einer Art „Kaste“), doch die Meinungen reichen von denen, die Selbstverwaltung ohne PolitikerInnen befürworten, bis zu denen, die sich von einer Änderung des Wahlgesetzes einen positiven Wandel unter den PolitikerInnen versprechen.
Dabei verfehlen insbes. die ständig nachgeplapperten Vergleiche mit den arabischen Revolten die Realität: Weder die sozialen Voraussetzungen noch die ökonomischen sind auf beiden Seiten des Meeres gleich. „Vermutlich ist die Methode der Besetzung öffentlichen Raums das einzige, das eine gewisse Verbindung darstellt“, schreibt dazu das anarchistische Monatsmagazin Todo por Hacer. Und weiter: „Auch wenn die Besetzung von begehbarem Raum an und für sich keine wirkliche Störung für das Funktionieren einer Stadt darstellt, beinhaltet die bei kollektiven Aktionen entstehende Dynamik durchaus ein konstruktives Potenzial: … der der Normalität entrissene Raum kann dem Experimentieren von neuen Organisationsformen … von Nutzen sein.“
Tatsächlich sind es die Vollversammlungen jeder Besetzung, die eine horizontale Funktionsweise haben und die die Richtlinien und Forderungen artikulieren. Es wurde damit bewiesen, dass keine VermittlerInnen für die politische Willensbildung gebraucht werden. Gleichzeitig wurden unterschiedliche politische Diskussionen eröffnet und die Leute haben sich selbst ermächtigt, indem die Idee gestärkt wurde, dass „wir nicht verhandeln, sondern fordern“.
In diesem Prozess haben große Teile der Bewegung verstanden, dass die Besetzung kein Selbstzweck ist. Deshalb wurden auch jene Kommissionen, die sich auf die Logistik der Besetzung konzentrierten, durch Arbeitsgruppen ergänzt, die sich mit Politik, Wirtschaft, Umwelt, Transport, Gesundheit, Wohnraum, Bildung, Gefängnissen usw. befassen. Dies kann als Versuch verstanden werden, die räumlichen Grenzen der Besetzungen zu überwinden. Dies ist auch nötig. Denn ohne einen Einbezug der Interessen und Potenziale der lohnabhängigen Klasse werden die Proteste der Empörten nur ein großer Seufzer bleiben – wie schon die Antiglobalisierungsbewegung. Ohnehin würde sonst wohl die Widersprüchlichkeit dieser heterogenen Bewegung auch in ihrer Auflösung münden oder – bestenfalls – einem diffusen Aktionismus des zivilen Ungehorsams weichen.
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