Vom Sport als Wirtschaftsfaktor und kommerzieller Unterhaltungsindustrie
Die jüngsten Querelen um den umstrittenen Chef des Fußballweltverbandes FIFA, Sepp Blatter, waren dramatischer Aufmacher der Hauptnachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Tagelang widmeten sie sich der Schilderung von Vorgängen innerhalb eines Sportverbandes, nebst Hintergrundinformationen und Experteninterviews. Sogar der „Kommentar“ in der Tagesschau, für RundfunkjournalistInnen so etwas wie eine Königsdisziplin, wurde von einem Sportjournalisten gesprochen. Sport, v.a. der Fußball, ist längst nicht mehr die „schönste Nebensache der Welt“, sondern steht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Denn mittlerweile geht es hier um einen Wirtschaftsfaktor, an dem weder Politik noch Journalismus vorbeikommen.
Dies verdeutlicht die Entwicklung im Fußball, dem Flaggschiff des deutschen Sports. Trotz allgemeiner, durch die Finanzkrise bedingter Wirtschaftseinbrüche erzielten die 36 Clubs der 1. und 2. Bundesliga im Geschäftsjahr 2009/10 einen Umsatzgewinn von 21,5% im Vergleich zu den letzten drei Jahren. Von den knapp 2,1 Mrd. umgesetzten Euro wurden allein 700 Mio. Euro Steuern gezahlt. „In allen zentralen Einnahmekategorien“, so der Geschäftsbericht des Ligaverbandes DFL, „verzeichnete der Profifußball Zuwächse“. Neben Spielererlösen sind dies v.a. Werbe- und Medieneinnahmen. Hinzu kommen Zulieferbranchen, die direkt und indirekt vom Sport profitieren. Neben allem, was unmittelbar mit Sport zu tun hat, wie Sportgerätehersteller, Sportbekleidung, Sportmedizin, Pharmazie und Fanartikeln, hat das Catering, also die Belieferung mit Speisen und Getränken, hochprofessionelle Dimensionen angenommen.
Längst geht es nicht mehr darum, im Vereinsheim Bier auszuschenken und überquellende Aschenbecher zu leeren. In den Katakomben der Sportstadien herrscht heutzutage ein emsiges Treiben, koordiniert mit Walkie-Talkies, wo die Waren von der klassischen Bratwurst bis zur extravaganten Lachsschaumschnitte in Europaletten angeliefert werden, deren Gesamtvolumen in Tonnen gezählt wird. Während eines Ligaspiels des FC St. Pauli, um nur ein Beispiel zu nennen, saufen die Fans im Schnitt für knapp 150.000 Euro Bier – auch auf dieser Ebene ein lohnendes Geschäft, an dem der Verein nur Mitverdiener ist.
In den wenigsten Fällen sind es die Vereine, die den eigentlichen Reibach machen. Die großen Summen, die mittlerweile im Sport umgesetzt werden, wandern von der Industrie zur Werbung, von Vereinen zu Spielerberatern, aus dem Fanshop in die Kassen von Drittfirmen, die die Vermarktungsrechte erworben haben. Bilanzen von Proficlubs in Deutschland weisen bestenfalls geringe Gewinne aus; was übrig bleibt, wird zumeist in Spieler, Stadionausbau und Schuldentilgung investiert.
Völlig an den Kassen der Vereine vorbei gehen Wetteinnahmen. Allein das österreichische Buchmacherunternehmen bwin erzielte zuletzt einen Umsatz von knapp 337 Mio. Euro. Am lukrativen Geschäft mit dem Spiel-Tipp verdient eine ganze Branche mit, bis hin zu Wettkonsortien und -syndikaten und Wettberatern, die die Möglichkeit anbieten, nicht mehr selbst zu setzen, sondern sein Geld in Sportwetten anzulegen; da Sportergebnisse, ähnlich wie Aktienkurse, durchaus in einem gewissen Rahmen berechenbar sind, vielleicht durchaus eine vielversprechende Alternative zu manchem Investmentfonds einer gewöhnlichen Bank.
Womöglich aber stehen wir hier nur vor einer Übergangsstufe der wirtschaftlichen Entwicklung. Im Ausland werden Profimannschaften schon längst als gewinnorientierte Unternehmen geführt. Englische Fußballclubs wie Chelsea London oder jüngst Manchester City sind für ihre kapitalschweren Privatsponsoren mehr als bloße Spielwiesen und Prestigeobjekte, sondern sollen langfristig für Überschuss sorgen.
In den USA, wo die kommerzielle Entwicklung des Sports am umfangreichsten und fortgeschrittensten ist, sind die Profivereine echte Unternehmen. In den vier großen Profiligen NHL (Eishockey), MLB (Baseball), NFL (Football) und der seit Jahren ungebrochen boomenden Basketball-Liga NBA herrscht ein Franchise-System, ähnlich der Imbiss-Kette McDonald’s: jeder Proficlub kauft sich in der Liga ein, und ist sportlich so nur noch bedingt selbständig. Spielerverpflichtungen unterliegen einem strengen wie komplizierten Reglement; mit dem Verkauf von Rechten an den drafts, wo Nachwuchsspieler verpflichtet werden können, werden selbst wiederum Millionen verdient. Umsätze und Gewinne der Clubs, die in der Regel in Privatbesitz sind, erreichen für europäische Dimensionen schwindelerregende Dimensionen. Allein der aktuelle Eishockey-Meister Boston Bruins setzte im letzten Jahrzehnt kontinuierlich zwischen 80 und 90 Mio. Dollar pro Jahr um. Der mit insgesamt 67,5 Mio. Dollar dotierte Vertrag des NHL-Torhüters Rick DiPietro der New York Islanders stellt mit einer Laufzeit von 15 Jahren übrigens den längsten Profivertrag in der Sportgeschichte dar. Sport ist in den USA omnipräsent, praktisch täglich wird in einer der vier Top-Ligen gespielt. Mit Übertragungsrechten und Werbeeinnahmen werden hier schon längst Milliarden bewegt.
Für Sponsoren sind Sportgroßereignisse, wie Weltmeisterschaften oder die Fußballbundesliga, aufgrund ihrer immer noch stark wachsenden Medienpräsenz ein heiß begehrter Werbeträger. Wer heute ein Erstligaspiel besucht, wird sich vor Konsumvorschlägen kaum retten können. Und weil auf des Spielers Brust und den das Sportfeld umgebenden Banden nur begrenzt Platz zur Verfügung steht, sind die Clubs längst erfinderisch geworden. Jeder Quadratzentimeter Fläche, und sei es nur die Rückseite der Dauerkarte, wird mit Werbung tapeziert. Stadionnamen werden veräußert, so dass der Deutsche Meister 2011 nicht mehr im Westfalenstadion, sondern im Signal-Iduna-Park gekürt wurde. Der Traditionsclub Fürth wies von 1997 bis 2010 mit dem „Playmobil-Stadion“ den bislang wohl wunderlichsten Namen einer Spielstätte auf.
Hinzu kommen technische Möglichkeiten wie Videogroßbildleinwände und ohrenbetäubende Beschallung, die permanente visuelle und akustische Bewerbung erlauben. Wie weit hier die Vereine gehen, gleicht mancherorts einer Grenzauslotung des Zumutbaren. Beim Bundesligisten Hannover 96 etwa wird praktisch jedes Ereignis, von der Ecke bis zum Abseits, augenblicklich auf der Videowand wiederholt, nebst der Stadiondurchsage: „diese Ecke wurde ihnen präsentiert von…“; ja, selbst die Information, dass soeben ein Spieler die Gelbe Karte sah, wird auf gleiche Weise präsentiert.
Dennoch bleibt Deutschland noch vergleichsweise moderat zurückhaltend. Nachdem der DFB 1985 dem damaligen Zweitligaclub aus Braunschweig untersagte, sich in Eintracht Jägermeister umzubenennen, hat das Verbot vom Verkauf des Vereinsnamens Bestand. Auch die Ligen heißen immer noch schlicht und sachlich Bundesliga. Das ist nicht überall so. Im Nachbarland Österreich z.B. wird in der „Tipp3-Bundesliga“ gekickt, die englische Elite-Klasse im Fußball findet sich in der „Barclay’s Premier League“ wieder, und in der Schweiz spielen selbst die Jüngsten in der „Coca-Cola-Junior-League“. In Österreich ist es darüber hinaus schon lange üblich, Vereinsnamen zu verkaufen. Fußballfans aus Salzburg können ein Lied davon singen. Je nach aktuellem Sponsor hieß ihr Verein FC Sparkasse, FC Casino, FC Wüstenrot, und seit 2005 FC Red Bull Salzburg. Letztere sponsorenbedingte Umbenennung sorgte für einigen Wirbel, war damit doch auch ein Wechsel von Wappen und Vereinsfarben verbunden. Nach ersten Fanprotesten erließ der Verein gar ein Zutrittsverbot für ZuschauerInnen, die es wagen sollten, in alten Vereinsutensilien zu erscheinen. Obwohl darauf praktisch die gesamte aktive Fanszene dem Verein den Rücken kehrte und einen eigenen Verein gründete, stiegen die Zuschauerzahlen in den Folgejahre in die Höhe.
Unter aktiven Fußballfans, also solchen, die den Sport nicht ausschließlich im Fernsehen, sondern im Stadion verfolgen und sich über Fanclubs und ähnliche Plattformen auch in Vereinspolitik einzumischen versuchen, sind diese Entwicklungen schon lange umstritten. Häufig ist eine Idealisierung von Amateurfußball bzw. amateurähnlichen Verhältnissen anzutreffen, als es noch nicht ums große Geld ging und Spieler noch keine „Söldner“ waren, die alle zwei, drei Saisons den Verein wechseln. Dabei sind Fans längst integrierter Bestandteil der kommerziellen Entwicklung des Sports. Nicht nur, weil eine fahnenschwenkende und grölende Kulisse unverzichtbarer Bestandteil jeder attraktiven Sportübertragung ist und Eintrittskarten und Clubdevotionalien wichtige Umsatzfaktoren darstellen, sondern weil sie in ihrer Gesamtheit als Konsumenten den eigentlichen Anlass dafür darstellen, aus dem Sport ein Geschäft zu machen.
Kulturell haben Sportfans die wesentlichen Anschauungen, die dem kommerziellen Sport zugrunde liegen, längst verinnerlicht. Der alternative Ansatz des Arbeitersports, in dem es um die körperlich-gesundheitliche Selbstverwirklichung in einer solidarischen Gemeinschaft ging, ist vollständig in Vergessenheit geraten (vgl. „Sport, der die Arbeiter befreit“). Die Legendenbildung um den Begriff „Amateur“ schlägt gar in eine ungeahnte Richtung. Es war gerade das Bürgertum, das sich mit dem Amateurbegriff von der Arbeiterklasse abgrenzte. Nur, wer vermögend genug war, um auf Lohnerwerb zu verzichten, konnte es sich leisten, als Amateur zu spielen. In England galt Rugby nicht zuletzt deshalb als Elitesportart, weil es bis in die 1990er Jahre hinein am Amateurismus festhielt – ein Privileg der feinen Gesellschaft, die über den proletarisch-kommerziellen Fußball die Nase rümpfte.
Die Profi-Spieler (Profi-Ligen für Frauen existieren bisher erst in den USA) von heute als charakterlose Söldner zu betrachten, wie viele frustrierte Fans es tun, ist ebenso abwegig wie der verklärte Blick auf den Amateur-Fußball (vgl. Grenzen des Amateurhaften). Vielmehr handelt es sich um Berufssportler, Beschäftigte in einem neu entstandenen Zweig der Unterhaltungsindustrie. Vereinsbindung spielt hierbei deshalb eine untergeordnete Rolle, weil der einzelne Sportler seinen eigenen Broterwerb im Auge haben muss, über den jeweiligen Zwei- oder Dreijahresvertrag hinaus. Und die Freiheit bei seiner Wahl des Arbeitgebers bleibt auch nach dem Bosman-Urteil von 1995 (siehe Wettbewerb total) eingeschränkt. In Vertragsabschlüsse sind zum einen Spielervermittler involviert, mitunter genießen sogar Drittfirmen Anteilsrechte an Spielerverträgen, wie aktuell im Fall des zwischen Schalke, Hoffenheim und St. Pauli umstrittenen peruanischen Abwehrspielers Carlos Zambrano, an dessen Vertrag eine Schweizer Aktiengesellschaft 70% der Rechte besitzt.
Gerade junge, talentierte Spieler werden als regelrechte Wertanlage verwendet, die zuerst mit langfristigen Verträgen gebunden und anschließend an schwächere Vereine verliehen werden, nur um der Option willen, sie in einigen Jahren gewinnbringend verkaufen zu können. So wird selbst die Sportausbildung zum Geschäft; und Sportler regelrecht entmenschlicht, wenn mit ihnen geschachert und spekuliert wird. Der Eindruck vom millionenschweren Großverdiener täuscht ebenfalls. Den spektakulären Summen, die Schlagzeilen machen, stehen zum Teil erhebliche soziale Probleme eines Großteils von Sportprofis gegenüber (siehe hierzu Interview Dribbeln, flanken, organisieren).
Mit dem Reglement „Financial Fair Play“ (FFP) schafft der europäische Fußballverband UEFA ein Programm zur Ökonomisierung von Fußballclubs. Ganz allgemein sollen bestimmte Grenzwerte gesetzt werden, über die hinaus Clubs keine weiteren Schulden aufnehmen bzw. sich anderweitig fremdfinanzieren dürfen. Ziel ist es, Vereine dazu zu zwingen, wirtschaftlich zu arbeiten, so dass sich Einnahmen und Ausgaben weitgehend decken. Obgleich das FFP zunächst ausdrücklich nur Spitzenclubs betrifft, denen bei Zuwiderhandlung die Aussperrung aus internationalen Wettbewerben wie der Champions League droht, dürfte es sich langfristig auf den gesamten Profibereich auswirken. Zu erwarten sind u. a. moderatere Entwicklungen bei Lohnerhöhungen für Spieler und ein Abflauen von horrenden Ablösesummen. (MS)
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