Begünstigt durch die Wohnraumpolitik nimmt die soziale Verrohung auf dem Berliner Wohnungsmarkt deutlich zu
Steigende Mieten seien ein positives Zeichen, erklärte Berlins Regierender Klaus Wowereit Anfang des Jahres. Sie stünden für eine gute wirtschaftliche Entwicklung. In der Hauptstadt der Prekarität stoßen solche Äußerungen auf wenig Gegenliebe. Für den Großteil der Bevölkerung bedeuten steigende Mieten nur zweierlei: Verdrängung und weiterer Verzicht. Angesichts rasant steigender Mieten beginnen sich deshalb überall Betroffene zusammenzuschließen. Das Berliner Mietenstopp-Bündnis bietet auf seiner Webpräsenz einen unvollständigen Überblick über Mieter- und Stadtteilinitiativen in der Stadt. Die Liste ist imposant. Im September, vor der Wahl in Berlin, zeigte sich die neue Mieterbewegung erstmals stärker in der Öffentlichkeit. Fast 6.000 Menschen gingen gegen die Wohnraumpolitik auf die Straße. Auch die FAU Berlin war daran beteiligt.
Die Bilanz der rot-roten Wohnungspolitik in Berlin ist erschreckend. In acht Jahren hat sie gerade einmal 35 Sozialwohnungen bauen lassen, während die Mieten rasant angezogen sind. Zuletzt hat sie noch eine Regelung erlassen, die faktisch ein „Gesetz zur Abwicklung des sozialen Wohnungsbaus“ darstellt, wie das Mietenstopp-Bündnis schreibt. Das alles geschah in Mitverantwortung der „Partei der Mieter“, wie sich die Linkspartei gerne präsentiert. Die Demovorbereitung distanzierte sich deshalb deutlich von der Partei, als diese Anstalten machte, die Proteste für sich einzunehmen. „Dies ist eine Demonstration (unter anderem) gegen DIE LINKE“, heißt es in einem offenen Brief an die, „die alles mitmachen“. Weiter: „DIE LINKE Berlin war und ist die legitimatorische Vorhut des neoliberalen Umbaus dieser Stadt.“ Und jetzt droht weiteres Ungemach. Wie bekannt wurde, war vor der Wahl in der städtischen Wohnungsgesellschaft die Anweisung ausgegeben worden, vorerst keine größeren Mietsteigerungen vorzunehmen. Nach der Wahl soll der Mietspiegel voll ausgereizt werden.
Dabei haben in den letzten Jahren Immobilienakteure zunehmend Berlin für sich entdeckt. Die Stadt ist lukrativ. Der jährliche Zuwachs beträgt etwa 90.000 Menschen. Bei einer hohen Single-Quote bedeutet das viele neue Haushalte. Und Berlin ist eine „Mieterstadt“: 85% der Menschen sind MieterInnen. Da zudem kaum mehr Mietobjekte nachgebaut wurden, verengt sich der Markt, können die Preise weiter angezogen werden. Der Wiener Immobilienkonzern Conwert etwa zieht sich dem Standard zufolge aus Wien zurück und „setzt [nunmehr] voll auf Berlin“, wo die doppelte Rendite zu erzielen sei. Der Konzern kommuniziert offen, dass er auf Neuvermietungen setzte, über die rasche Mietsteigerungen möglich seien. Implizit setzt man damit auf Wohnungen, die entweder leer stehen oder die man – wie auch immer – leer bekommt. Möglich ist dies, weil in Berlin – wegen eines offiziell entspannten Wohnungsmarktes – seit 2002 das Zweckentfremdungsgesetz aufgehoben ist und auch das Wirtschaftsstrafgesetz hohe Aufschläge bei der Neuvermietung nicht mehr als Mietpreisüberhöhung wertet.
Die Machenschaften nehmen perfide Züge an. Die Gruppe Tower Immobilien etwa kaufte dem Spiegel zufolge „dringend sanierungsbedürftige“ Objekte auf. Die MieterInnen: besonders Einkommensschwache und AusländerInnen. Diese sind besonders abhängig, eingeschüchtert oder unwissend über ihre Rechte. Die scheinbare Taktik dabei: Betriebskosten werden radikal gemindert (sprich: das Haus verfällt) und die Mieten werden angezogen (etwa durch undurchsichtige und überzogene Betriebskostenabrechnungen). Davon zeugen zahlreiche Medienberichte. Im Juli kam gar eine sechsköpfige Familie in einem Tower-Haus ums Leben: Gastvergiftung wegen maroder Gastherme.
Ist das letzte Verwertbare der verfaulenden Frucht ausgesaugt, stößt man offenbar die Objekte ab. Zumindest drei Subfirmen aus dem undurchsichtigen Tower-Firmengeflecht, das noch vor kurzem 4.200 Wohnungen in Berlin besaß, haben indessen Insolvenz angemeldet. Man kann nur spekulieren, wo das ganze Geld hingegangen ist. Zum November geht nun das Deutschland-Portfolio an einen anderen Konzern über. Kein Grund zum Aufatmen für die leiderprobten Tower-MieterInnen: Jetzt bekommen sie es mit Conwert zu tun.
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