Auf einer Tagung in Kassel zogen die Kritiker der zu Fall gebrachten Initiative zur Einschränkung des Streikrechts Bilanz
Mitte September traf sich die Initiative „Hände weg vom Streikrecht – für gewerkschaftliche Aktionsfreiheit“ in Kassel und zog Bilanz über die Aktivitäten der letzten Monate. Einige Wochen vorher hatte der Gewerkschaftsrat von ver.di seinen Austritt aus dem Bündnis des DGB mit dem Unternehmerverband BDA in Sachen Tarifeinheit bekanntgegeben. Ver.di erklärte dies damit, dass ihr Projekt momentan nicht durchsetzbar sei, das Fortführen der Initiative schaffe zu viel Unruhe in der Mitgliedschaft. Tatsächlich wurde dadurch eine ganze Reihe Kritiker in den eigenen Reihen auf den Plan gerufen, die auf internen Fachbereichsversammlungen Zustimmung bekamen – entgegen dem offensiven Auftreten der ver.di-Spitze um Frank Bsirske. Zudem stand der ver.di-Kongress vor der Tür und es sollte eine kritische Diskussion verhindert werden.
Es gab also keine Selbstkritik des Vorstands über das undemokratische Vorgehen, sondern allein die Feststellung, im Moment sei die Sache nicht positiv vermittelbar. Der IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber bedauerte in einem offenen Brief ver.dis Rückzug und betonte, dass dieser Rückzug keine Einsicht bedeute, sondern einfach nur der momentanen Stimmung und den Kräfteverhältnissen innerhalb und außerhalb der Gewerkschaften geschuldet sei.
Doch wie kam es zu diesen Kräfteverhältnissen? Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Tarifeinheit war der Auslöser für die Kampagne von DGB und BDA. In dem Urteil des BAG wurde die Realität der Tarifpluralität anerkannt. Die Monopolstellung der DGB-Gewerkschaften ist dadurch bedroht und kann in der alten Weise nicht mehr aufrechterhalten werden – vor allem sichtbar bei den großen Transportkonzernen wie Lufthansa und Deutsche Bahn, die auch Akteure in dieser Gesetzesinitiative waren. Konkurrierende Berufs- oder Spartengewerkschaften sind in Deutschland ein relativ neues Phänomen, drücken aber ein reales Bedürfnis von bestimmten Teilen der Lohnarbeiterschaft aus (Flugpersonal, Ärzte, Lokführer usw.). Hauptgrund für deren Unzufriedenheit ist zumeist die geringe Berücksichtigung ihrer zunehmenden spezifischen Arbeitsbelastungen. Gleichzeitig entstehen durch Prekarisierungsprozesse Möglichkeiten für Basisgewerkschaften, aktiv zu werden, wie exemplarisch im Babylon-Konflikt der FAU in Berlin zu beobachten.
Auch für BasisgewerkschafterInnen ist es sehr wichtig, die Gründe für das Erstarken von Spartengewerkschaften genau zu untersuchen, um daraus für die eigene Praxis lernen zu können. Herausragend ist hier etwas das aktuelle Beispiel der Contterm-Gewerkschaft im Hamburger Hafen. Rechtsanwalt Rolf Geffken schrieb dazu im Express: „Aus der Enttäuschung über ver.di und den Betriebsrat im Hafen formierte sich die neue Hafenarbeitergewerkschaft […] Kaum war diese gegründet, bestritt ver.di die Tariffähigkeit der neuen Organisation.“ Monopolisten wie der DGB und seine Gewerkschaften machen sich über die Ursachen keine Gedanken. Sie wenden sich einfach an den Staat und fordern dessen Eingreifen gegen die unliebsamen Konkurrenten – wie schon in der Weimarer Republik. Genau diesen Aspekt stellte auch Wolfgang Däubler in seinem Beitrag auf der Kasseler Tagung heraus: „Die Gewerkschaftszentralen mit ihrer Bunkermentalität ähneln ein wenig Monarchien wie zu Zeiten von Ludwig IV. Sie haben höllische Angst vor Unruhe und vor Bewegungen der Basis und versuchen, durch Zwangsschlichtung und schärfere staatliche Gesetze ihr Überleben zu retten.“
Juristen und Arbeitsrechtler wie Wolfgang Däubler und Rolf Geffken waren ein wichtiger Auslöser für den Gegenwind. Sie sind bekannt für ihre entschlossene Verteidigung von Rechten der Lohnarbeitenden und griffen die Einschränkung des Streikrechts und der Koalitionsfreiheit offensiv als grundgesetzwidrig an. Däubler unterstützte durch ein Gutachten den Marburger Bund als Gewerkschaft der Ärzte in diesem Sinne.
Auf einer Reihe von internen Fachbereichsversammlungen bei ver.di wurde die Gesetzesinitiative zu Tarifeinheit stark kritisiert. Einer der Gründe für die scharfe Kritik war natürlich auch, dass bestimmte Fachbereiche von ver.di direkt von diesem Gesetz betroffen gewesen wären, wie etwa die ver.di-Journalisten, die zur gewerkschaftlichen Minderheit in diesem Berufsbereich gehören. Die Führung von ver.di und speziell ihr Vorsitzender Bsirske konnten sich dagegen nicht durchsetzen.
Aber auch der Beitrag der gewerkschaftsübergreifenden Initiative, die zur Tagung in Kassel geladen hatte, ist nicht zu unterschätzen. Sie hatte u.a. mit lokalen Veranstaltungen zur Problematisierung der Gesetzesinitiative beigetragen und umfasste ein breites Spektrum von VertreterInnen der Spartengewerkschaften (GDL, Cockpit etc.) über ver.di-interne KritikerInnen bis hin zur FAU und anderen BasisgewerkschafterInnen.
Die Rücknahme dieser Initiative ist ein „historischer Erfolg“, so der O-Ton Däublers. Aber die erfolgreiche und produktive Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen gewerkschaftlichen Akteuren war auch für sich ein wichtiger Schritt. Er war Ausdruck einer Idee von gewerkschaftlichem Handeln, in der nicht mehr das Eigeninteresse von Apparaten dominiert, sondern der Blick und die Aktivitäten auf die Bedürfnisse der Lohnarbeitenden und Erwerbslosen gerichtet sind. Die gewerkschaftsübergreifende Kasseler Erklärung, die auf der Tagung verabschiedet wurde, steht ganz unter diesen Vorzeichen.
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