Kultur

Und weil der Mensch ein Mensch ist, braucht er was zu Essen bitte sehr …

Vier sehr unterschiedliche proletarische Gedichte zum Thema Essen aus den Federn Erich Mühsams, Bertold Brechts und Kurt Tucholskys

1. Kurt Tucholsky schildert um 1919 den
Wahnsinn der Hungersnot in Deutschland: Die vorhandenen Lebensmittel
werden nicht verteilt, lieber wird so lange gewartet, bis sie sich
wieder in einem funktionierenden Kapitalismus verkaufen lassen –
auch wenn bis dahin Tausende verhungern müssen.

Lebensmittel! Lebensmittel!

Wenn nun die Ladung Korn und Fett

den Anfang macht zu besserm Leben,

wenn Deutschland erst zu essen hätt –:

mein Gott, was wird das alles geben!

 

Zum Beispiel, der, der Schinken
schiebt,

wird tiefbekümmert ausverkaufen –

man wird, weil es Vergeltung gibt,

sich nicht um seine Schinken raufen.

 

Und Tante Malchens Eierschrank?

Und Onkel Maxens Butterkammer?

Wie ziehn sie die Gesichter lang!

In allen Häusern – welch ein Jammer!

 

Im Kurse fällt die Schlächterfrau,

das Butterfräulein gilt nur wenig,

der Kaufmann spricht nicht mehr so rauh

Halli! hallo! voll Freuden dehn ich

 

befreit die Knochen. Dämmert es?

Dies Dasein war seit langen Jahren

in Wahrheit ein belämmertes –

Ach, wie wir einst so glücklich waren!

 

Kommt wirklich Brot und Speck herein?

Ich tanze einen frohen Ländler.

Die große Zeit wird wieder klein,

die große Zeit der Grünkramhändler.

 

2. Im nächsten Gedicht reflektiert
Bertold Brecht den Charakter des unter Bismarck entwickelten
deutschen Sozialstaates: Parieren – Schlucken – Parieren –
Schlucken.

Gewohnheiten, noch immer

Die Teller werden hart hingestellt

Daß die Suppe überschwappt.

Mit schriller Stimme

Ertönt das Kommando: Zum Essen!

Der preußische Adler

Den Jungen hackt er

Das Futter in die Mäulchen.

 

3. Und noch mal Brecht: Jetzt in Kritik
des DDR-Sozialismus, in welchem den Menschen anstatt Lebensmittel
lieber ein „Kaderwelsch“ zum Kauen angeboten wird. Das Gedicht
entstand im Nachklang der Arbeiter_Innen Revolte am 17. Juni 1953.

Die neue Mundart

Als sie einst mit ihren Weibern über
Zwiebeln sprachen

Die Läden waren wieder einmal leer

Verstanden sie noch die Seufzer, die
Flüche, die Witze

Mit denen das unerträgliche Leben

In der Tiefe dennoch gelebt wird.

Jetzt

Herrschen sie und sprechen eine neue
Mundart

Nur ihnen selber verständlich, das
Kaderwelsch

Welches mit drohender und belehrender
Stimme gesprochen wird

Und die Läden füllt – ohne
Zwiebeln.

Dem, der Kaderwelsch hört

Vergeht das Essen.

Dem, der es spricht

Vergeht das Hören.

 

4. Und zu guter Letzt übt Erich Mühsam Kritik am
individuellen Moralismus, mit dem sich die „besseren“ Anarchisten
von der Masse abgrenzen wollen. Ein Gedicht, das mit Blick auf
heutige Voküs in autonomen Strukturen nicht ganz unaktuell ist …

Der
Gesang der Vegetarier

Ein
alkoholfreies Trinklied
(Melodie „Immer langsam voran“)

Wir
essen Salat, ja wir essen Salat
Und essen Gemüse von früh bis
spat.
Auch Früchte
gehören zu unsrer Diät.
Was sonst noch wächst, wird alles
verschmäht.
Wir essen Salat, ja wir essen Salat
Und essen
Gemüse von früh bis spat.

Wir sonnen den Leib, ja wir sonnen
den Leib,
Das ist unser einziger Zeitvertreib.
Doch manchmal
spaddeln wir auch im Teich,
Das kräftigt den Körper und wäscht
ihn zugleich
Wir sonnen den Leib
und wir baden den Leib,
Das ist unser einziger Zeitvertreib.

Wir
hassen das Fleisch, ja wir hassen das Fleisch
und die Milch und
die Eier und lieben keusch.
Die Leichenfresser sind dumm und
roh,
Das Schweinevieh – das ist ebenso.
Wir hassen das Fleisch,
ja wir hassen das Fleisch
und die Milch und die Eier und lieben
keusch.

Wir trinken keinen Sprit, nein wir trinken keinen
Sprit,
Denn der wirkt verderblich auf das Gemüt.
Gemüse und
Früchte sind flüssig genug,
Drum trinken wir nichts und sind
doch sehr klug.
Wir trinken keinen Sprit, nein wir trinken keinen
Sprit,
Denn der wirkt verderblich auf das Gemüt.

Wir
rauchen nicht Taback, nein wir rauchen nicht Taback,
Das tut nur
das scheussliche Sündenpack.
Wir setzen uns lieber auf das
Gesäss
Und leben gesund und naturgemäss.
Wir rauchen nicht
Taback, nein wir rauchen nicht Taback,
Das tut nur das
scheussliche Sündenpack.

Wir essen Salat, ja wir essen
Salat
Und essen Gemüse von früh bis spat.
Und schimpft ihr
den Vegetarier einen Tropf,
So schmeissen wir euch eine Walnuss an
den Kopf.
Wir essen Salat, ja wir essen Salat
Und essen Gemüse
von früh bis spat.

 

Zusammengestellt
& kommentiert von Marcus Munzlinger

Redaktion

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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