Repression und Kriminalisierung von Hausbesetzungen im liberalen Holland
Jahrelang war das sogenannte kraken, das Besetzen von Häusern, in den Niederlanden erlaubt. Doch damit ist nun Schluss. Ein neues Gesetz stellt Hausbesetzungen seit Oktober 2010 unter Strafe. So wurden mit einem Schlag sämtliche aktuellen und zukünftigen Hausbesetzer zu Kriminellen erklärt. Die Gesetzgebung ließ keinen Zweifel an den individuellen Konsequenzen für all jene, die in besetzten Häusern wohnen, aufkommen: Als Mindeststrafmaß wurde ein Jahr Haft, als höchstes zwei Jahre und acht Monate festgesetzt.
Zur selben Zeit lies der Sozialdemokrat Eberhard van der Laan, als frisch gebackener Bürgermeister von Amsterdam, verkünden, dass alle 300 besetzten Häuser in der Stadt geräumt würden. Während andere Städte in den Niederlanden die Hausbesetzer unbehelligt ließen, gab es in Amsterdam systematische Räumungen.
Trotz der Illegalisierung der Besetzungen und der Kriminalisierung vieler Künstler und Aktivisten, die in ihnen arbeiten und wohnen, sprudelt Amsterdam über vor Begeisterung, geräumte Gebäude und Komplexe zurück zu besetzen. Unter der aktuellen Gesetzgebung bedeutet dies allerdings ein weit höheres persönliches Risiko als in der Vergangenheit.
Junge Talente brauchen jedoch bezahlbare Ateliers, um sich auszudrücken und ihre Arbeit weiter entwickeln zu können. Dies gilt für Künstler überall auf der Welt – und ebenso in Amsterdam. Wie sich jedoch durch die gewaltsame Räumung der Galerie Schijnheilig am 5. Juli 2011 gezeigt hat, weigert sich Amsterdams Bürgermeister Eberhard van der Laan hartnäckig, dies zu verstehen. Er hat sich den Künstlern gegenüber ebenso feindlich gezeigt, wie die Budget-kürzende rechte Niederländische Regierung.
Die Zwangsräumung des Galeriegebäudes steht symbolisch für die intransparenten Pläne, den politischen Ehrgeiz und den Opportunismus von Amsterdams Regierenden. Als Hauptrolle im selbst geschriebenen Drehbuch gibt die Regierungspartei den Part des heldenhaften Zerstörers heterogener Communities. Mit dem Genuss eines Eroberers können sie nun Spekulanten und Stadtplanern freie Hand geben in einer Stadt, die diese bereits seit langem als ihr Privateigentum betrachten.
In der Nacht vor der Räumung kam van der Laan der Einladung der Galerie Schijnheilig zu einer öffentlichen Debatte nach. Bei dieser Gelegenheit wurde ihm eine gang- und machbare Lösung präsentiert: Alle Ateliers würden freiwillig das Gebäude räumen, wenn der Besitz – wie bereits zuvor im Plan zur Stadtentwicklung beschlossen – sozialen Aktivitäten der Community zugeführt würde. Der Plan zur Stadtentwicklung wurde jedoch niemals umgesetzt, was mehr als einmal zu Spekulationen mit dem immensen Profit, der aus dem Gebäude gezogen werden könnte, geführt hat.
Die Umsetzung des Plans würde für die Stadt bedeuten, das Gebäude zu einem höheren Preis zurückkaufen zu müssen und somit kommunale Gelder zu verschwenden. Van der Laan schien von diesen Argumenten unberührt zu bleiben. Da seine Parteigenossen und Vorgänger sehr leicht für das finanzielle Fiasko zur Rechenschaft gezogen werden könnten, würde er ihre Beteiligung zugeben.
Während der Debatte im Schijnheilig tat der Bürgermeister sein Bestes, um seinen rechten Koalitionspartnern sein Zero-Tolerance-Image unter Beweis zu stellen. In der kurzen Zeit, die er in dem besetzten Haus verbrachte, weigerte er sich, die anwesenden Besetzer und Künstler ernst zu nehmen und beharrte auf seiner Frage: „Wer hat mehr Anrecht auf dieses Gebäude, der Eigentümer oder ihr?“
Der Eigentümer des Gebäudes ist jedoch der Rijksgebouwendienst, eine landesweite Agentur, die für Regierungsgebäude und einige Museen und Denkmäler zuständig ist. Tatsächlich hat van der Laan also ein Gebäude geräumt, das der niederländischen Bevölkerung gehört. Ohne Rücksicht auf vorherige Beschlüsse und Einteilungspläne, hat er es dem eigentlichen Zweck der sozialen Nutzung entrissen.
Der Skandal und van der Laans politischer Ehrgeiz wurden schnell offensichtlich, als in Erinnerung gerufen wurde, dass van der Laan in der Vergangenheit als Anwalt Hausbesetzer gegen dubiose Vermieter verteidigt hatte und behauptet hatte Sozialist zu sein.
Unerwarteter aber willkommener Rat kam in dieser Situation von einem älteren Ex-Besetzer in einem kritischen Artikel in der Amsterdamer Zeitung Het Parool:
„Mutige junge Talente, die weiterhin ihre Ateliers besetzen möchten, mögen folgenden Rat befolgen: Verbündet euch mit entschlossenen Marketing- und Medienleuten. Gründet mit ihnen Agenturen für Anti-Werbung. Entmutigt Kulturtouristen rund um den Globus nach Amsterdam zu kommen. Tut dies, um der Enttäuschung vorzubeugen, die sie erfahren werden, sobald sie hinter die Fassaden von Amsterdam schauen. Tut dies unablässig und nutzt alle möglichen Medien. Mit jedem Prozent städtischer Kurtaxe weniger, werdet ihr gleichzeitig kreativen Erfolg und Befriedigung haben. Bingo!“
Mit van der Laan als Bürgermeister wird Amsterdam jedoch niemals eine dynamisch-urbane und kulturell-diversifizierte Stadt werden. Im besten Falle wird es ein Disneyland der hohen Kunst oder ein Open-Air-Museum wie es Venedig vor Jahrzehnten wurde, im schlimmsten Fall eine Karikatur seiner selbst. Amsterdams Geschichte hat jedoch gezeigt, dass sich kreativer Widerstand lohnt, besonders wenn er zur gemeinschaftlichen und sozialen Notwendigkeit wird.
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