Auch die Aufrechten müssen sich manchmal wegducken, wenn es hageldick kommt. „Fritze“ (1903-1988), wie seine Freunde ihn nannten und wie er selbst in Briefen oft unterzeichnete, das war ein selten Aufrechter. Der Sturm des autoritären Zeitgeistes konnte ihn zwar biegen, aber nicht brechen.
Fritz Scherer, ein kleiner drahtiger Mann, war nicht auf den Mund gefallen. Als belesener Buchbinder hatte er auf Schusters Rappen die damals so erreichbare kleine Welt erkundet. Der Erste Weltkrieg und die Arbeitskämpfe des frühen 20. Jahrhunderts hatten ihn sich auf die Seite der idealistischen Jugend- und Wanderbewegung und der anarchistischen ArbeiterInnen-Bewegung schlagen lassen. Als wandernder Geselle Mitglied der FAUD, knüpfte er überall Beziehungen. So auch in Meiningen, Thüringen, wo FAUD-Mitglieder auf einem bewaldeten Bergrücken einst die „Bakuninhütte“ erbauten. Fritz wurde zeitweilig ihr Hüttenwart und blieb lebenslang im Herzen mit ihr verbunden. Erst durch ihn erfuhr die Nachkriegsgeneration von dem Bau, der nach drei Beschlagnahmungen durch drei deutsche Staaten wieder zurückgekauft werden musste. Nach Zeiten als SS- und Polizei-Hütte wird die Bakuninhütte nun wieder eine libertäre Wanderhütte, nach dem Sinn ihrer ErbauerInnen. Fritz‘ Grabstein steht nun als Gedenkstein dort.
Fritz hatte Nazi-Reich und Krieg als Buchbinder der Berliner Feuerwehr glücklich überlebt. Notgedrungen unauffällig lebend, fertigte er trotzdem Widerstandsflugblätter. Auch hielt er Kontakt mit FAUD- und Anarch(a)genossInnen und half vielen Menschen mit Rat und Tat und Lebensmittelpäckchen, insbesondere Familien von inhaftierten oder kriegsgeschädigten GenossInnen. Von 1941-45 wurde Fritz noch Sanitäter. Ausgerechnet in Meiningen kam er als Kriegsgefangener an und mit Hilfe von Genossen frei.
Viele anarchistische und verbotene Bücher, sowie anderes historisches Material, rettete der Buchbinder über den Krieg. Ende der 1960er erhielt Fritz aus Meiningen sogar das Bakuninhüttenbuch, das er liebevoll restaurierte.
Nach dem Krieg knüpfte „Fritze“ sofort wieder per Brief und Besuch Beziehungen zu überlebenden AnarchistInnen. Er versuchte zusammen mit ihnen den Anarchosyndikalismus in „Trizonesien“, Berlin und der SBZ wiederzubeleben – lange Zeit vergeblich. Zu viele waren dahin und die Bürden der Nachkriegszeit und des Kalten Krieges legten allzu viele Hindernisse in den Weg. Erst in der rebellischen „1968“er Zeit ergaben sich lebendige Kontakte zu jungen GenossInnen. Der alte erfahrene Anarchosyndikalist händigte ihnen nach und nach das unter Lebensgefahr gerettete Vermächtnis der deutschen libertären Bewegung aus.
Als 1988 der „A-Laden Berlin“ eröffnete, nannte dieser seine Bibliothek „Fritz-Scherer-Gedenkbibliothek“, zu Ehren des kleinen großen Mannes, Freundes und Genossen, der gerade von uns gegangen war.