Während die europäische Occupy-Bewegung nur der hässliche kleine Zwilling ist, scheint die Lobhudelei in den USA kein Ende zu nehmen. Bürgerrechtler, Philosophen, NGO‘ler, Berufspolitiker und Querulanten: Alle sind sich einig. Im Jahre 2011 ist Einschneidendes in den USA geschehen. Das Erstarken der Occupy-Bewegung, zunächst an der Wall Street und dann in hunderten amerikanischen Städten wird als die Wiederauferstehung des revolutionären Bürgertums gefeiert.
„Das Aufregendste an der Occupy-Bewegung ist die Konstruktion von Verbindungen und Anschlüssen, die es überall gibt. Wenn dies bewahrt und ausgebaut werden kann“, freut sich Noam Chomsky, „können die Anstrengungen von Occupy dazu führen, dass unsere Gesellschaft eine humanere Richtung einschlägt.“ Im Unterschied zu den deutschen Wutbürgern und anderen Empörten gehen die Akteure der aktuellen Proteste aufs Ganze. Sie weigern sich ihre Studienkredite zurückzuzahlen, besetzen Häuser, verhindern Zwangsräumungen und unterstützen Streiks. Ihre praktischen Ansätze und ihre Anschlussfähigkeit machen sie attraktiv und notwendig.
Gleichzeitig zeigt sich aber auch neben allem Aktivismus, dass es Leerstellen in der Bewegung gibt.
Am 12. Dezember blockierten über 1000 AktivistInnen die Zufahrtsstraßen der Häfen von Oakland, Seattle, Portland, Longview, Los Angeles, Anchorage und Vancouver. Aufgrund der Proteste wurden Hafeneinrichtungen vorübergehend oder komplett geschlossen. Die Blockaden richteten sich vor allem gegen die beiden Unternehmen SSA Marine (Hafenbetreibergesellschaft) und die EGT (Getreideexporteur). An der SSA Marine hält die Investmentbank Goldmann Sachs große Anteile. Darüber hinaus befand sich die Gewerkschaft ILWU (International Longshore and Warehouse Union) in einem Tarifstreit mit dem Terminal für Getreideexport und sollte in ihrem Kampf unterstützt werden. Hierzu versuchte die Occupy-Bewegung in Utah zeitgleich das Logistikzentrum von Wal-Mart zu blockieren.Gerade die Arbeiter und der Großteil der vertretenen Gewerkschaften waren es allerdings, die ihnen nicht ihre volle Unterstützung zuteil werden ließen. Die ILWU ließ sogar mehrfach verlautbaren, dass sie den Protest nicht unterstütze. Den Besetzern warfen Sprecher der Gewerkschaft vor, die demokratischen Entscheidungsfindungsprozesse der Hafenarbeiter nicht zu respektieren und den Tageslohn damit aufs Spiel zu setzen.
Einzelne Arbeiter verhielten sich vor Ort dennoch solidarisch. Vor allem die Polizeigewalt, die den Besetzungen folgte und die Verhaftungen werden in den USA mit Entsetzen wahrgenommen.
Währenddessen denkt man aber auch schon über die Zukunft der Bewegung nach. Im Dezember fand die Konferenz „Occupy onwards“ in New York City statt.
„Es ist naiv zu glauben, das System werde verschwinden, nur weil ein paar Leute sich aus ihm lösen. Goldman Sachs ist es egal, dass du deine eigenen Hühner hältst. Wir müssen die politische Kultur verändern“, forderte die amerikanische Historikerin Julia Ott. Die Soziologen Christopher Chase-Dunn und Michaela Curran-Strange sehen diese Kultur laut einer aktuellen Studie in Kalifornien bereits verändert: So gäbe es in bereits fast 30% der kalifornischen Gemeinden eine Occupy-Bewegung. Jenseits der Bewegungen der großen Städte, sei dies gerade für viele Kleinstädte erstaunlich. Insbesondere sei neu, dass sich die Bewegungen gleichmäßig zwischen dem als eher konservativ geltenden Süden und dem eher als „links“ geltenden Norden aufteilten.
Auf Bundesebene machte die Occupy-Bewegung bereits am 7. Dezember von sich hören, als unter dem Motto „Take back Capitol“ (Holen wir uns das Kapitol zurück) AktivistInnen aus 46 Bundesstaaten die Büros ihrer Senatoren in Washinton D.C. besetzten. Wie bei jeder Bewegung, ist es wohl auch hier falsch, direkt die Systemfrage zu stellen. Wie bei jeder Bewegung, ist es dennoch wichtig und richtig, den nächsten Schritt zu gehen und nicht stehen zu bleiben. Bei allen Mängeln: die Bewegung in den USA scheint in diesem Sinne der europäischen und vor allem der deutschen Bewegung mindestens zwei Schritte voraus zu sein.
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