Wie das andalusische Dorf Marinaleda mit Basisstrukturen dem Kapitalismus trotzt
Spanien ist sicherlich ein Land, das einiges zu bieten hat. Für die einen ist es der sommerliche Teutonengrill. Für andere wiederum ein Ort voll von Mythen und Inspiration in Sachen sozialer Bewegung. Sei dies nun die spanische Revolution in den 1930er Jahren, die immer noch zahlenmäßig größte syndikalistische Bewegung oder – in neuerer Zeit – die lange Zeit sehr aktive Bewegung der HausbesetzerInnen. Und nicht zuletzt: die Bewegung der Indignados. Jedoch auch jenseits des Scheinwerferlichts zeigt sich die lange Tradition sozialer Kämpfe und Bewegungen mit libertärem Einschlag. So zu Beispiel in dem quasi sozialistisch organisierten andalusischen Dorf Marinaleda.
In jedem fundierten Werk über den Spanischen Bürgerkrieg lässt sich nachlesen, wie schlecht es um die spanische Landbevölkerung in den 1930er Jahren bestellt war: es herrschte bittere Armut, die Ländereien befanden sich größtenteils im Besitz von Großgrundbesitzern, die das Gros der Bevölkerung dazu verdammten, sich als Tagelöhner zu verdingen. Kurze Erleichterung dieser Situation brachte die Kollektivierung ländlicher Betriebe in der kurzen Phase der spanischen Revolution. Der Sieg der Franquisten jedoch restaurierte und zementierte die alte Situation großen Reichtums auf der einen und bitterer Armut auf der anderen Seite. Dies sollte sich bis zum Tod Francos und darüber hinaus für lange Zeit nicht ändern. Mit dem Erstarken der sozialen Bewegungen im post-franquistischen Spanien erstarkte jedoch auch die Bewegung der LandarbeiterInnen von neuem.
Es gründeten sich allerdings nicht nur neue, unabhängige Landarbeitergewerkschaften wie die damalige SOC (Sindicado de Obreros del Campo), um sich für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen einzusetzen: nachdem es auch der demokratischen Regierung nicht gelang, die Landfrage für die ArbeiterInnen befriedigend zu lösen, begann sich eine regelrechte Bewegung zur Landbesetzung zu formieren. In Marinaleda begann man Ende der 1970er, Anfang der 80er zunächst in Sevilla und selbst in Madrid für die eigenen Belange zu demonstrieren. Nachdem diese Protestform nicht die erhofften Erfolge erzielte, gelang es dem Dorf 1984 erstmals durch einen Hungerstreik, an dem sich fast die Hälfte der Dorfbewohner beteiligte, dem örtlichen Großgrundbesitzer unter der Parole „Die Erde denen, die sie bearbeiten“ zunächst 240 und bald darauf 1200 Hektar Land abzutrotzen und Zugang zur für die Landwirtschaft
überlebensnotwendigen Wasserversorgung zu erlangen. Es wurden die ersten Kooperativen zur Bewirtschaftung gegründet und modernes Gerät wie Traktoren gekauft. Die Landbesetzungen und die gemeinsame Bewirtschaftung sollten jedoch nicht das einzige Phänomen des radikalen Umbruchs im Dorf sein. Stück für Stück wurde in Marinaleda ein regelrechter dörflicher Sozialismus etabliert.
Wenngleich kollektivistische Arbeitsprozesse sicherlich einige der Alltagslasten erleichtern, hat sich oftmals gezeigt, wie sehr sich eben diese auch zu Inseln herausbilden können, die dennoch darum kämpfen müssen in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem zu bestehen. In Marinaleda ist man daher einen Schritt weitergegangen und hat nicht nur versucht, die Kollektive weitestmöglich zu integrieren, sondern Strukturen zu schaffen, die über das Arbeitsleben hinausgehen.
Einer der Grundpfeiler dieses Ausbaus, ist sicherlich die kommunale Wohnungspolitik. So hat jeder in Marinaleda ein Anrecht auf ein eigenes Haus. Die Gemeinde stellt hierfür kostenlos sowohl das Grundstück als auch das Baumaterial. Sämtliche Arbeiten, die nach dem Gesetz nicht von Fachleuten verrichtet werden müssen, müssen selbst verrichtet, oder aus eigener Tasche bezahlt werden. Anschließend werden – so wurde es von der Bevölkerung selbst beschlossen – pro Monat fünfzehn Euro Miete in einen Fonds für die Errichtung weiterer Häuser eingezahlt. Die Häuser – im Schnitt ca. 100 m² groß – bleiben formell im Besitz der Gemeinde und können daher zwar vererbt, nicht aber verkauft werden.
Darüber hinaus gibt es in Marinaleda eigene Kinderkrippen und ein eigenes Schulzentrum, ein kommunales Schwimmbad (dessen Benutzung pro Jahr drei Euro kostet), einen großen Park mit Amphitheater sowie Sportanlagen. Der Arbeitslosigkeit begegnet man damit, dass sie durch die Kooperativen aufgefangen wird. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl kommunaler Ausbildungsprogramme für die örtliche Jugend.
Auch wenn seit 1979 ein linkes Bündnis den Bürgermeister und die Mehrheit der Stadträte stellt, sind die politischen und sozialen Errungenschaften keineswegs von oben herab beschlossen und durchgeführt worden. Wenngleich sowohl Bürgermeister als auch Stadtrat formell den Status dieser Institutionen wie in ganz Spanien innehaben, wird die Entscheidungsfindung durch Stadtteilversammlungen, die Gewerkschaft, die Vollversammlung des Dorfes sowie diverse Bürgerkomitees ergänzt. Vor diesen Versammlungen sind die offiziellen VertreterInnen rechenschaftspflichtig. Als Kontrollmechanismus gelten dabei die Kommunalwahlen, bei denen nicht wiedergewählt wird, wer die Entscheidungen der Versammlungen missachtet.
So sehr dieses Modell jedoch auch Mut geben mag und versucht mehr als eine einfache Insel zu sein, so sehr ist es wahrscheinlich, dass Marinaleda eben doch ein inselhaftes Idyll zu bleiben droht. Zwar wird Marinaledas Bürgermeister nicht müde zu betonen, dass solch ein Projekt – wenn es dort möglich war – überall möglich ist, doch scheint auch hierin zuweilen mehr der Wunsch zu sprechen, als die Realität. Denn nicht umsonst ist dies die wohl häufigste Antwort auf die Frage, ob man sich denn von außen einfach dort ansiedeln könne. So bleibt Marinaleda wohl doch für lange Zeit mehr eine – wenn auch gelebte – Utopie, denn eine wirkliche Alternative. In manchen Dingen ist die Welt eben doch nicht (nur) ein Dorf.
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