Die heutige Debatte um alternative Ökonomie wirkt zuweilen so, als möchte man sich gar nicht diese alten Diskussionen, aber auch die praktischen Erfahrungen auf diesem Feld zunutze machen. Als historische Referenzfläche dient zumeist nur die alternativökonomische Bewegung der 1970er und 80er Jahre. Und diese wird dann häufig ins Feld geführt, um zu belegen, dass sich das transformatorische Potential von Alternativbetrieben im Kapitalismus in Grenzen halte.
Es ist zweifellos wahr, dass Alternativbetriebe dem Marktdruck und der kapitalistischen Konkurrenz ausgesetzt sind und dies zu eklatanten Widersprüchen führen kann. Die Befürchtung, dass sie zur berüchtigten Selbstausbeutung und damit zu Druck auf die Bedingungen auch in kapitalistischen Betrieben führen könne, ist nicht von der Hand zu weisen. Doch ist dies wirklich ein Dilemma, aus dem es keinen Ausweg gibt?
Ist es nicht vielmehr so, dass wir an dem Aufbau einer Gegenökonomie gar nicht vorbeikommen? Der Ansatz von der Eroberung der staatlichen Macht samt einer zentralen Planwirtschaft hat sich zumindest historisch als Irrweg erwiesen. Im Sinne einer sozialrevolutionären Umgestaltung scheint der Aufbau einer „Wirtschaft von unten“ heute fast schon unumgänglich. Nicht ob Alternativbetriebe eine Rolle bei der gesellschaftlichen Umgestaltung spielen können, sondern wie sie dafür verfasst sein müssen, sollte daher die zu beantwortende Frage sein.
Die FAU Hamburg hat zu dieser spannenden Frage ein Positionspapier erarbeitet, aus dem wir hier einige Auszüge wiedergeben wollen.
Die Idee, dem Kapitalismus eine eigene Ökonomie entgegenzusetzen und dadurch die Überwindung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung einzuleiten, ist nicht neu. Angefangen bei den frühsozialistischen Experimenten Owens oder Fouriers über die sozialistische Genossenschaftsbewegung der 1890er bis 1930er Jahre bis zum „alternativen Sektor“ der 1970er und 1980er Jahre gab es viele Versuche. […]
Warum Kollektivbetriebe scheitern, hat zuerst Franz Oppenheimer untersucht. Das Ergebnis seiner empirischen Untersuchung zu Produktivgenossenschaften (1896) ist als „Oppenheimersches Transformationsgesetz“ oder auch „Instabilitätsthese“ bekannt. […] Nach Oppenheimers Ansicht können unter dem Druck der kapitalistischen Marktwirtschaft bestenfalls kleine, in Marktnischen angesiedelte Kollektivbetriebe für bestimmte Zeit überleben. Grundsätzlich bestehe jedoch nur die Alternative „Untergang“ oder „Transformation“ in ein kapitalistisches Unternehmen. […]
Oppenheimers Thesen wurden natürlich vielfach kritisiert. […] Trotzdem ist unbestritten, dass der von der Marktkonkurrenz ausgehende Effizienzdruck permanent die demokratische Struktur von Kollektivbetrieben in Frage stellt und ihre Aufgabe zugunsten hierarchischer Organisationsformen nahe legt. […] Wenn Kollektivbetriebe also kein Nischenphänomen bleiben wollen, sind sie u.E. gezwungen, nach Alternativen zum Markt zu suchen. […]
Wir haben … den Eindruck, dass kollektive wie überhaupt alternative Wirtschaftsformen dort am längsten ohne Aufgabe ihrer Prinzipien überlebt haben, wo sie (a) möglichst verbindlich in politisch, kulturell oder weltanschaulich motivierte soziale Bewegungen oder Organisationen eingebunden und (b) ökonomisch möglichst unabhängig vom kapitalistischen Markt waren.
[…] Wenn es gelingt, die Prinzipien von Basisdemokratie und Selbstverwaltung im Betrieb umzusetzen, so ergeben sich daraus für die Arbeitenden im Vergleich eine Reihe von unmittelbaren Vorteilen: […] Keine (Fremd-)Ausbeutung, keine Chefs und Hierarchien, (begrenzt) selbstbestimmte Zielsetzung der Arbeit, selbstbestimmte Arbeitsorganisation, keine Enteignung des Arbeitsprodukts. […]
Gelingt es einer hinreichend großen Zahl von Kollektivbetrieben, nicht nur am Markt zu überleben, sondern sich in eigenen, nach dem Prinzip „kollektiver Selbstversorgung“ funktionierenden ökonomischen Zusammenhängen zu vernetzen, so könnte dies den vorherrschenden kapitalistischen Reproduktionstyp sukzessive zurückdrängen und letztlich ersetzen. […] Dann wären Kollektivbetriebe „Laboratorien“ einer neuen Ökonomie. […]
Ein solcher „kollektiver Sektor“ würde über eigene, von Staat und Kapital unabhängige ökonomische Ressourcen verfügen. Damit ließe sich die gewerkschaftlichen Arbeit in den kapitalistischen Betrieben und auch die Arbeit im politischen und kulturellen Feld beträchtlich unterstützen. Politisch „bewusste“ Betriebe könnten Ressourcen bereitstellen, ihre Marktmacht zur Unterstützung von Streiks o.ä. einsetzen und als Rückzugsraum für AktivistInnen dienen. […]
Damit aus einem Betrieb ein Kollektivbetrieb wird, muss er sich unserer Konzeption nach an drei Prinzipien orientieren: Er muss (a) basisdemokratisch organisiert und verwaltet werden, er muss sich (b) an der Idee des Gemeineigentums bzw. des Gemeinnutzens orientieren und er muss (c) Alternativen zur Marktwirtschaft entwickeln. […]
Nun leben wir aber in einer Gesellschaft, die alles andere als herrschaftsfrei ist, und wir müssen davon ausgehen, dass sich die vorhandene ungleiche Machtverteilung inklusive der zugehörigen Persönlichkeitsaspekte, Verhaltensmuster und Ambitionen (zunächst) auch in Kollektivbetrieben einstellt – trotz basisdemokratischer Entscheidungsstrukturen. Kollektivbetriebe müssen daher vorhandene, spontan entstehende oder auch durch die Organisation des Betriebs (unabsichtlich) selbst herbeigeführte Machtunterschiede zwischen den Kollektivmitgliedern reflektieren und Verfahren zu ihrer Auflösung entwickeln. […]
Die besten basisdemokratischen Organisationsprinzipien nützen nicht viel, wenn ihre Einhaltung nicht kontrolliert oder durchgesetzt werden kann. In einem Kollektivbetrieb muss daher Transparenz aller betrieblichen Vorgänge für alle Mitglieder des Kollektivs bestehen und die innere Struktur und die Verfahren der Entscheidungsfindung müssen nachvollziehbar und rechtsverbindlich in einem Statut niedergelegt sein.
[…] Kollektivbetriebe sollten Produkte herstellen, die nicht auf einen möglichst großen Markterfolg oder Profit, sondern auf gesellschaftliche Nützlichkeit abzielen. […] Gemeineigentum darf nicht als eine Art „gemeinschaftliches Privateigentum“ missverstanden werden. Ein Kollektiv sollte sich eher als „Verwalter“ oder „Betreiber“ seiner Firma denn als ihr „Eigentümer“ verstehen. Dies wird relevant z.B. bei Fragen der Gründung, der grundsätzlichen Ausrichtung oder der Auflösung eines Kollektivbetriebs. […]
Ein Kollektivbetrieb ist nicht einfach eine basisdemokratisch organisierte Firma, sondern er soll Teil einer neuen, über den Kapitalismus hinaus weisenden ökonomischen Ordnung sein. Deshalb ist seine Einbindung in Zusammenhänge erforderlich, die dieses Ziel auch auf politischer Ebene verfolgen. Die Mitglieder eines Kollektivs sind nicht nur sich selbst verantwortlich, sondern auch der Community, welche den kulturell-politischen Rahmen ihres ökonomischen Projekts ausmacht. Dieser Community sollte auch formal eine Einflussnahme möglich sein. […]
Der durch die Marktkonkurrenz hervorgerufene Druck zur Ökonomisierung der betrieblichen Abläufe und zur marktgerechten Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen wird als eine der wichtigsten Ursachen für die oft beobachtete allmähliche Transformation von Kollektivbetrieben zu „kleinen geilen (kapitalistischen) Firmen“ angesehen. […] Es muss daher eins der vordringlichsten Ziele eines Kollektivbetriebs sein, sich durch Entwicklung von Alternativen zum Markt sukzessive vom der kapitalistischen Marktwirtschaft unabhängig zu machen. Das ist natürlich nur in Kooperation mit anderen Kollektivbetrieben (auch der gleichen Branche!) möglich und erfordert neben der Selbstorganisation der Menschen als Produzenten auch die Selbstorganisation als Konsumenten.
[…] Zusätzlich zu den formalen Entscheidungsstrukturen müssen Verfahren zum Abbau informeller Machtstrukturen entwickelt und angewendet werden. Die wichtigsten Quellen informeller Macht in Kollektivbetrieben sind: (a) ungleich verteilte Sachkompetenz bzw. Vorerfahrungen (v.a. bezüglich der betrieblichen Schlüsselkompetenzen), (b) ungleiche Höhe des eingebrachten Kapitals, (c) einseitig verteilte Verantwortung oder Befugnisse und (d) ungleich verteilte repräsentative Aufgaben (Vertretung des Betriebs nach außen).
Zu den wichtigsten Verfahren zur Reduzierung informeller Machtunterschiede zählen die klare Definition, zeitliche Begrenzung und Rotation wichtiger betrieblicher Funktionen, der Abbau von „Informationsmonopolen“ durch allgemeine Weiterbildung in Schlüsselkompetenzen (z.B. betriebliches Controlling, fachliche Basisqualifikation, Entscheidungs- und Repräsentationskompetenz), die Bevorzugung „vertikaler“ gegenüber „horizontaler“ Arbeitsteilung, das Streben nach schneller „Kapitalneutralisierung“ (vorrangige Ablösung oder Angleichung privater Darlehen von Kollektivmitgliedern) sowie die Inanspruchnahme externer Hilfe (z.B. in Form von Organisationsentwicklung oder „Supervision“).
Was als gesellschaftlich nützlich anzusehen ist, kann natürlich nicht abstrakt definiert … werden. Ebenso wenig lässt sich „gesellschaftliche Nützlichkeit“ einfach als die Summe der Wünsche der KonsumentInnen bestimmen. Stattdessen müssen Freude/Nutzen eines Produkts/einer Dienstleistung für die KonsumentInnen oder die Gesellschaft insgesamt ins Verhältnis gesetzt werden zum Schaden, der durch Herstellung, Distribution oder Konsum entsteht. […]
Alle Menschen, die in einem Kollektivbetrieb arbeiten, müssen Mitglieder des Kollektivs und gleichberechtigt in die kollektiven Entscheidungsstrukturen einbezogen sein. […] Sollte ein Kollektiv sich entscheiden, doch LohnarbeiterInnen zu beschäftigen, so muss ein außergewöhnlicher Grund vorliegen (z.B. Urlaubs- oder Krankheitsvertretung, etc.) und es muss eine klar definierte zeitliche Befristung vereinbart sein, d.h. nur als Ausnahme und nur vorübergehend. […] Ein Kollektiv, das vorübergehend LohnarbeiterInnen beschäftigt, sollte sich von einer externen Instanz (z.B. der FAU) kontrollieren lassen. […]
Eine über die angemessene Entlohnung hinausgehende Ausschüttung von Gewinnen an Kollektivmitglieder ist mit der Idee des Gemeineigentums nicht vereinbar. Das gilt natürlich auch für den Fall der Liquidierung des Betriebs und den dadurch möglicherweise anfallenden Gewinn. […] Erwirtschaftet ein Betrieb Überschüsse, so sollten diese, sofern sie nicht für Investitionen benötigt werden, für eines der drei folgenden Ziele verwendet werden: a) Erhöhung der Einkommen der Arbeitenden, b) Senkung der Konsumentenpreise, oder c) Förderung des Aufbaus herrschaftsfreier Strukturen. […]
Ein Kollektivbetrieb muss ein explizites, transparentes und verbindliches Entlohnungssystem haben. Es sollte grundsätzlich auf einem einheitlichen Stundenlohn basieren und kann zusätzlich […] den unterschiedlichen (legitimen) Bedarf der Kollektivmitglieder berücksichtigen (z.B. aufgrund unterschiedlich hoher Mieten bei gleicher Wohnqualität, höherem Bedarf durch Kinder oder auch Krankheit oder Behinderung, etc.). Andere Kriterien jedoch, insbes. solche, welche üblicherweise den Marktwert der Arbeitskraft bestimmen (z.B. besondere (seltene) Qualifikationen, akademische Titel, Position im Betrieb, gutes Aussehen, besonderes Verhandlungsgeschick, etc.) dürfen bei der Entlohnung keine Rolle spielen. […]
Ein Kollektivbetrieb in unserem Sinne agiert nur notgedrungen am Markt. Nicht Konkurrenzfähigkeit ist sein Ziel, sondern bedarfsgerechte Produktion. Er muss also bemüht sein, die Konkurrenzbeziehungen des Marktes sukzessive durch Kooperationsbeziehungen im Rahmen einer durch Konsumenten und Produzenten gemeinsam kontrollierten Ökonomie zu ersetzen. Das beginnt bei der Kooperation mit anderen Kollektivbetrieben und setzt sich fort im Aufbau solidar-ökonomischer Netzwerke von Produzenten- und Konsumentenorganisationen.
Um im Rahmen der bürgerlichen Rechtsordnung handlungsfähig zu sein, benötigt jeder Betrieb eine Rechtsform (z.B. e.V., GmbH, eG, etc.). Keine der bürgerlichen Rechtsformen für Betriebe lässt jedoch einen basisdemokratischen Organisationsaufbau zu. In den Kapitalgesellschaften hängt das Stimmecht von der Höhe der Einlage ab, und auch die Genossenschaft, die wohl demokratischste unter den bürgerlichen Rechtsformen, erlaubt nur eine repräsentativ-demokratische Struktur. Um basisdemokratische Strukturen für einen Betrieb rechtsverbindlich zu machen, bedarf es eines zweiten Vertrags zwischen den Mitgliedern des Kollektivs, dem Statut. In diesem Binnenvertrag werden zum einen die eigentlich gewünschten betrieblichen Normen, Institutionen und Verfahren niedergelegt, zum anderen unerwünschte Auswirkungen der
bürgerlichen Rechtsform durch geeignete Regelungen kompensiert. […]
Aus unserer Sicht ist eine schriftliche, rechtsverbindliche Niederlegung der basisdemokratischen Strukturen und Verfahren eines Kollektivbetriebs unabdingbar. Kollektiven, die glauben, ohne eine solche schriftliche Regelung auskommen zu können, stehen wir sehr misstrauisch gegenüber. […]
Bei diesem Text handelt es sich um Auszüge aus dem Positionspapier „Kollektivbetriebe“ der FAU Hamburg. Zusammenstellung und Bearbeitung: Redaktion BuG. Das komplette Positionspapier findet sich auf www.libertaereszentrum.de im Textarchiv.
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