Lena Stoehrfaktor, Teil der Berliner HipHop Crew „Conexion Musical“, sprach mit der DA über Selbstverwaltung, Szenemechanismen, ihr zweites Soloalbum und das Verhältnis von Konsum und politischer Musik.
Direkte
Aktion: Lena,im Januar 2012 habt Ihr bei Conexion Musical Dein neues
Album „Die Angst vor den Gedanken verlieren“ releast. Wie
gestaltet ihr Produktion & Vertrieb?
Lena:
Wir produzieren alles selber. Bei dem neuen Album hat Claudito die
Aufnahmen mit mir gemacht. Die Beats sind diesmal nicht fast alle von
Blank, sondern von verschiedenen Leuten. Wir kaufen uns von dem
Geld was wir durch Auftritte und CD-Verkauf einnehmen die Geräte zum
Produzieren, nehmen alles in der Conexion Zentrale auf und lassen es
extern mastern. Den CD-Verkauf machen wir auch selbst. Die
Leute haben die Möglichkeit, die CDs bei uns zu bestellen oder sie
bei Auftritten zu kaufen. Wir haben auch anderen Merch, wie
ausgeleierte T-Shirts und Vinyl mit eingeknickten Ecken, zumindest
wenn wir unterwegs sind.
Politische
Musik aus selbstverwalteten Strukturen wird häufig von prekären
Lebensbedinungen der Künstler_Innen begleitet. Wie geht Ihr mit diesem
Problem um?
Nach
der Definition von prekär, die ich gerade nachgelesen habe, leben
wir auf jeden Fall prekär. Ich bekomme zum Glück seit ca. einem
Jahr ein Stipendium und hoffe, ich kann es behalten, aber alleine
schon der Gedanke, dass ich es nicht mehr bekomme, macht mir Angst.
Ich bin auch normalerweise kein Stipendium-Mensch, deshalb ist das
’ne krasse Ausnahme für mich. Meine Bandkollegen leben prekärer als
ich, die haben kein Stipendium. Es ist auch schwierig mit der Musik
am Wochenende unterwegs zu sein und
unter der Woche der Existenzsicherung nachzugehen. Das ist sehr
anstrengend und auch ein Grund dafür, dass ich ab jetzt erstmal
alleine unterwegs sein werde. Wir verdienen mit der Musik kein Geld,
das geht alles in die Bandkasse und auch wieder drauf bei neuen
Produktionen.
Conexion
Musical und Lena Störfaktor – da klingelt bei vielen gleich das
Bild von selbstbewusstem Autonomenrap, kämpferischen Häuserkampftracks, kompromisslosen Ansagen gegen Staat & Kapital. In „Die Angst
vor den Gedanken verlieren“ positionierst Du Dich aber mehrmals
klar gegen
linkes Gepose und das Setzen von Style vor Inhalt – ist nicht genau das
im politischen Rap weit verbreitet?
Das
Gepose ist sehr weit verbreitet im politischen Rap und es langweilt
mich komplett. Früher haben wir auch geposed, zum Beispiel im „Autonom“-Video. Das war übertrieben, aber wir waren noch
jung. Wenn wir das heutzutage noch machen würden, hätten wir uns
gar nicht weiterentwickelt und es wäre uns sehr peinlich. Ich
denke es gibt auch einen Unterschied zwischen direkten Ansagen und
Gepose. Wenn ich etwas direkt und kämpferisch sagen will, weil ich
es so fühle, kann das kuhl sein und nicht geposed. Wenn ich aber
kämpferische Allgemeinplätze verwende, nur damit es kämpferisch
klingt, es aber nicht von Herzen kommt sondern eher ein Klischee
bedient, kommt es geposed. Das ist manchmal auch ein schmaler
Grat. Das Problem, dass ich beim politischen Rap in Deutschland sehe,
ist, dass sehr wenig Selbstreflexion bei den Künstlern vorhanden
ist. Da wird ständig Nazis auf die Fresse gehauen, das System
gefickt und Bullen plattgemacht, aber die eigene Rolle im System oder
die Resignation im Kampf gegen dieses und sich selbst wird kaum
reflektiert bzw. thematisiert. Das finde ich sehr schade. Ich finde
es viel interessanter, wenn es einen nachvollziehbaren Bezug gäbe
zwischen Aufstand und Persönlichkeit und ich die Persönlichkeit im
Aufstand wiedererkennen kann, mit all ihren Widersprüchen. Was mir
auch nicht gefällt, ist die Oberflächlich- und Belanglosigkeit,
an der sich Politrap meistens aufhält, egal aus welcher Ecke. Wenn
es darum geht wer die geilste Sonnenbrille, den tollsten Glitzer, den
schönsten Körper, die coolste Mobactionjacke und die meisten
Tattoos hat, kann ich damit gar nix anfangen. Dann kann ich auch
gleich die Gala lesen und mir angucken wer welches Kleid bei der
Bambi-Verleihung anhatte. Das hat für mich überhaupt nix mit
Aufstand zu
tun, sondern nur was mit Ego-Befriedigung. Das ist auch für mich
auch keine Provokation und kein dem-Mainstream-etwas-entgegensetzen
oder sonstwas! Wenn Leute sich stylen wollen, sollen sie das machen
und ich würde nie was dagegen sagen, aber sie sollen mir das nicht
als politischen Aktivismus verkaufen, außer es provoziert wirklich,
aber das tun die Dinge, die ich da oben aufgezählt habe alle nicht
oder seit wann steht Glitzer am Rand der Gesellschaft? Wie gesagt, da
kann ich die Gala aufschlagen und da habe ich meinen Glitzer. Ich
kann einfach mit Stylecodes, und Symbolik nichts anfangen. Wenn aber
wirklich kleidungsmäßig Geschlechterrollen aufgebrochen werden,
sehe ich die Provokation und den politischen Akt schon. Das
mache ich z.B. mein Leben lang, jeden Tag und muss mich
nicht mal verkleiden. Sorry, jetzt bin ich abgeschweift
Dein
neues Album ist jedenfalls keine Ansammlung von Demoparolen, ganz im
Gegenteil – teilweise lässt sich auch eine deutliche Frustration gegenüber
den Mechanismen und dem Alltag innerhalb linksradikaler Szenen raushören.
Opportunismus, szene-interner Populismus, Egogehabe und Machtgeplänkel – all dies wird von Dir innerhalb der Linken thematisiert. Hast
Du darauf schon Reaktionen bekommen? Hast Du die Hoffnung, dass sich hier
etwas ändert?
Die
Reaktionen, die ich bekomme sind oft positiv, aber das liegt auch
daran, dass die Leute die mir Rückmeldung geben, meine Homies sind
oder einfach Leute, die meine Mucke schätzen und zu mir sagen, dass
da viel Wahrheit drinsteckt, in der Szenekritik. Die sehen die Szene
ja auch kritisch. Die Leute, die sich davon gedisst fühlen, sagen
mir das weniger persönlich, die lästern, denke ich, eher und fühlen
sich heimlich ertappt. Die hassen mich bestimmt auch dafür und tun
so als hätten sie es
nicht gehört. Es wird einfach ignoriert. Mit denen habe ich
aber auch nix zu tun. Ich muß auch sagen, dass diese Szenekritik
einfach sehr wahr ist und deswegen auch keiner sagen kann „ach,
alles Quatsch“ oder so. Das wäre ja realitätsfern. Ich
spreche halt aus Erfahrung und das hört man und jeder, der irgendwas
mit der linken Szene zu tun hat, muss Teile davon in meinen Disses
wiedererkennen. Ich disse mich damit ja auch selber, weil ich mich
auch in dieser Szene bewege und ich finde es voll wichtig die
Umstände, in denen ich mich bewege, kritisch zu beleuchten. Nur so
können politische Bewegungen vorankommen, meiner Meinung nach. Ich
denke viel wird sich nicht ändern, aber ein bißchen schon, in den
Köpfen, deswegen mache ich das alles. Und natürlich, um mich
auszukotzen, das fühlt sich gut an.
Programmatisch
sagst Du im Titelsong des Albums: „Ich kämpfe für den Freiraum
in den Köpfen“. Gleichzeitig thematisierst Du sehr viel Deiner eigenen
Gefühle, Gedanken, dein eigenes Handeln. Hoffst Du, dass sich andere
hier wieder finden können? Oder willst Du sie bestärken, sich ebenso
wie Du eine eigene Sprache anzueignen?
Ich
hoffe, dass sich Leute teilweise in meinen Texten wiederfinden, dass
sie verstehen, was ich meine und ich sie zum Nachdenken anrege. Ich
möchte den Leuten aber nicht das Denken abnehmen oder den Anschein
erwecken, ich hätte den Plan. Da jeder seine eigene Realität hat,
kann das, was ich sage nicht alle anderen repräsentieren. Ich bin
auch offen für Kritik und Diskussionen, darüber freue ich mich
sehr. Und wieso eigentlich oder?! 🙂 Klar, möchte ich, dass jeder
sich seine eigene Sprache sucht, auch seinen eigenen Weg, um sagen zu
können, was sie möchten.
Deine
Texte sind, wie schon gesagt, mal explizit politisch, mal äußerst individuell,
fast initim. Hast Du eine eigene Idee von Individualität, entgegen
dem Wettbewerbsindividualismus unserer Zeit?
Ich
versuche in meinen Texten ehrlich zu sein und Gefühle zu
thematisieren und mich nicht danach zu richten, was Leute von mir
erwarten. Einfach das zu schreiben, was ich denke und nicht das zu
schreiben, von dem Leute denken es wäre individuell. Das ist für
mich ein Stück Individualität. Das interessante dabei ist, dass ich
glaube, dass viele tief drinnen so ähnlich fühlen wie ich, sich
aber viele nicht trauen ihre Gefühle so zu äußern und somit ist es
wieder unindividuell.
Du
gibst auch wieder, wie Du Dich entwickelst und in der Rückschau selber
siehst – ganz deutlich etwa in „Freu Dich part II“, nicht
so sehr Fortsetzung
als viel mehr Reflektion und schließlich Distanzierung zu einem
Deiner bekanntesten Titel. An anderer Stelle blickst Du dann voller Verachtung
auf diejenigen, die sich nach ein paar rebellischen Jahren ihre Nische
suchen und ihr Treiben zur Jugendsünde erklären. Klarkommen auf der einen
Seite, Überzeugungen treu bleiben auf der anderen – ist das ein Problem
in der linksradikalen Szene?
Ich
denke, wenn man älter wird, ist die Gefahr größer es sich im System
bequem zu machen, da die Verantwortung für die eigene Existenz
größer erscheint und eventuell die Existenz anderer noch mit
dranhängt. Meine Existenz basiert auch auf Widerstand, deshalb ist
meine Existenz eher in Gefahr, wenn ich keinen Widerstand ausübe,
aber das kostet auch Kraft. Es ist auch nicht mehr so einfach
rebellisch zu sein, weil man vieles schon durch hat und mehr in
Selbstzweifel kommt, glaube ich. Das wesentliche ist, finde ich, sich
Gedanken zu machen, zu hinterfragen und aktiv zu sein,
in verschiedenen Formen. Da bietet das älter werden viele Chancen.
Man darf einfach den politischen Aktivismus und Gesellschaftskritik
nicht als Jugendphase abtun, denn das ist eine billige Ausrede. Und
Klarkommen ist gut, um durchzublicken und zu handeln, in jedem Alter.
Die andere Frage ist ob die linksradikale Szene dafür Platz bietet.
Es wäre schön.
Zusammen
mit der New Yorker / Chicagoer HipHop Crew Rebel Diaz und Quesel
MC widmest Du Dich in „Kein Frieden mit der Mitte“ dem
Rassismus aus
eben jener Mitte der Gesellschaft. Kannst Du etwas zu den inhaltlichen Diskussionen
zwischen Euch bei der Entstehung des Tracks erzählen?
Mich
hatte dieses Thema sehr beschäftigt und interessiert auch im Bezug
auf die Extremismusdebatte. Ich wollte ansprechen, dass Rassismus aus
der Mitte der Gesellschaft kommt und kein Randphänomen ist und das
genau diese „Mitte“ erklären möchte, was extrem ist und
was nicht. Ich wollte das Lied mit jemandem zusammen machen und habe
die Leute von Rebel Diaz ankontaktiert, weil ich weiß, dass sie sich
auch viel mit Rassismus und Gesellschaftskritik beschäftigen. Ich
habe ihnen in schlechtem Englisch versucht zu erklären, worum es
geht, sie haben was drauf geschrieben und es hat ganz gut gepasst.
Einen
eigenen Bezug, den ich hier nicht als Frage sondern mehr als Input
aufführen möchte, hatte ich zu dem Titel „Ich bin das was du studierst“,
und zwar zu dem genauen Wortlaut: An der Universität Kiel gab es
im laufenden Wintersemester 2011/2012 ein Soziologieseminar mit dem „schönen“
Titel „Abweichendes Verhalten“. Und allen Ernstes wurde
auch eine
Sitzung inklusive Referat mit der Themenbezeichnung „Homosexualität“ abgehalten,
in dem dann u.a. tabellarisch die Antworten lesbischer Befragter
zu den Umständen ihres „Coming Outs“ aufgeführt wurden.
Und viele
sich implizit als Heteros outende Studierende debattierten über das Funktionieren
lesbischer Sexualität… Der Titel und sein Inhalt in deinem
Album sind also tatsächlich erschreckend authentisch.
Krass.
das ist leider kein Einzelfall, ne?! Realität!
Zum
Abschluss nochmal schön plakativ zurück auf Start: Die wohl derzeit erfolgreichste
politische Musik in linken Zusammenhängen sind unzählige Elektro-Abwandlungen
à la Audiolith. Die Inhalte werden in dieser Art von Musik
häufig parolenhaft rezipiert, die Kreativität findet maßgeblich
nur in
Melodien und Beats statt. Dazu fällt mir der Satz aus Deinem Album „Wenn
deine Revolution nur aus Tanzen besteht, ist es nicht meine Revolution“
ein – schlechte Zeiten für inhaltsvolle politische Musik?
Das
ist für mich das Gleiche wie mit der Stylesache. Wenn die Leute
Technoparty machen wollen, sollen sie das machen. Sie sollen mir aber
die Technoparty nicht als die große Revolution verkaufen, weil ich
sie dann auslachen werde. Ich gehe auch einmal im Jahr auf eine
Technoparty, genauso wie ich auch mal Strandurlaub mache, aber das
ist für mich kein politischer Akt, sondern wenn ich das mache, passe
ich mich daran an, was diese Gesellschaft unter „Freizeitgestaltung“
versteht und nutze diese Möglichkeiten, weil ich auch in diesem
System lebe und mir das nach den
Möglichkeiten, die ich habe, eventuell etwas Entspannung bereitet.
Wenn
ein Label wie Audiolith, dessen Musik ich komplett schrecklich finde,
den Aufstand in Form von Ballermanngesängen, deren Inhalt zum
Größtenteil „Wir machen Party gegen Deutschland“ ist
und dem Verkauf von Markenprodukten verkauft, dann ist das nicht
meine Revolution und genau das trifft es, was ich mit dem Lied
aussagen wollte. Wir haben mit Conexion Musical viele enttäuschende
Erfahrungen gemacht, weil die Leute unsere Mucke mochten als mehr
Parolen drin waren und jetzt ankommen und sagen „Warum seid ihr
denn so depressiv geworden?“, obwohl unserer Meinung nach die
Stimmung, die wir mit unserer Mucke ausdrücken der Zeit entspricht.
Auch auf der musikalische Ebene ist es so, dass wir sehr
experimentelle Beats haben und die Leute können damit nichts
anfangen, weil sie ihr Popmusikgehör nicht hinterfragen. Wir kriegen
dann mit wie irgendwelche 90er Jahre Bravohits Mucke mit „Nazis
Raus“-Gesängen kombiniert werden und das feiern dann die Leute
so einen auf „Schalalalaaa…“. Das finde ich alleine schon
auf der künstlerischen Ebene krass traurig. Ich denke, es ist eine
sehr schwere Zeit für politische Musik, da diese Zeit auch sehr
schwer für politische Aufstände insgesamt ist. Es wird einfach noch
zu fröhlich konsumiert, um sich mit der Tragik unseres Daseins
auseinanderzusetzen und radikal zu protestieren.
Vielen
Dank für das Interview!
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