Mit der Krise stellt sich auch die Frage nach selbstverwalteten Betrieben neu
Das Beispiel Argentinien ist da schon anders gelagert. Als im Jahr 2001 die argentinische Wirtschaft kollabierte – damals wurden reihenweise Betriebe geschlossen und verweigerten die Banken den Zugriff auf Ersparnisse –, entstand eine soziale Bewegung, in deren Zuge viele Belegschaften die Produktion in Selbstverwaltung wieder aufnahmen. Dabei ging es weniger um Selbstentfaltung als um Existenzerhaltung. Tatsächlich konnten sich viele der besetzten Betriebe bis heute halten. Aktuelle Studien belegen allerdings auch, dass ein schleichender Prozess der Anpassung an die kapitalistische Realität stattgefunden hat, auch wenn eine deutliche Mehrheit der Betriebe immer noch Kriterien der Selbstverwaltung erfüllt. Zudem wurden, nachdem sich die wirtschaftliche Situation wieder stabilisiert hatte, den selbstverwalteten Betrieben vom Staat gewisse Existenzsicherheiten zugebilligt, womit sie auch einen Teil ihres subversiven Potentials verloren. Es ist daher nicht klar, ob sie heute eher ein Symbol für die Flexibilität des Kapitalismus darstellen oder eben doch darauf verweisen, dass eine andere Wirtschaftsform möglich ist. Vermutlich trifft beides zu.
Diese Ambivalenz zeigt sich denn auch in den neuesten Diskussionen um alternative Ökonomien, die im Zuge der Wirtschaftskrise deutlichen Aufwind bekommen haben (siehe Die dritte Säule). Den einen gelten sie als positive Kompensatoren der kapitalistischen Defizite, andere sehen darin den Ansatz für eine gesellschaftliche Transformation. Die Frage nach dem transformatorischen Potential ist allemal berechtigt. Immerhin vernichtet die Krise zunehmend soziale Errungenschaften, Arbeitslosigkeit und Verarmung nehmen drastisch zu. Zwar hat dies große Protestbewegungen, allen voran in Griechenland hervorgebracht, doch einen Hebel zur Durchsetzung von Alternativen konnten sie bisher nicht finden. Selbst Generalstreiks und militante Kämpfe stoßen an ihre Grenzen, so dass eine Einflussnahme auf den Staat im Sinne einer sozialistischen Umgestaltung unrealistisch scheint. Ganz offensichtlich fehlt es der Linken an einer zielführenden Anti-Krisenstrategie von unten.
Die Idee vom Aufbau einer Gegenökonomie ist nicht neu. Teile der historischen Arbeiterbewegung kannten diesen Ansatz als Form des „konstruktiven Sozialismus“. Dass er sich nicht erfolgreich entfaltete, muss nicht heißen, dass er an sich nicht taugt. Es könnte vielmehr damit zu tun haben, wie er konkret umgesetzt und wie er in die Bewegung eingebettet wurde. Tatsache ist nämlich auch, dass lange Zeit die (gescheiterte) Idee von der Eroberung der politischen Macht dominierte und Konzepte eines „Sozialismus von unten“ an den Rand gedrängt wurden. Das Potential von Gegenökonomien wurde also niemals umfassend erprobt.
Selbstverwaltete Betriebe – seien sie Übernahmen oder Neugründungen – stellen gewiss kein Allheilmittel dar. Doch es gibt Anlass zur Annahme, dass sie über eine kurzfristige Kompensationsfunktion hinaus auch eine langfristige Perspektive bieten können. Dafür müssten sie aber Teil einer breiteren Strategie sein und im Wechselverhältnis mit einer vorwärts strebenden sozialen Bewegung stehen. Wenn diese es ernst meint, mit den kapitalistischen Realitäten brechen zu wollen, ohne erneut den Irrweg des „Staatssozialismus“ zu beschreiten, wird sie ohnehin nicht an jenem Feld vorbeikommen. Und welche Zeit könnte besser geeignet sein, damit anzufangen, als eine, in der ganze Betriebe danach schreien, weiter oder anders bewirtschaftet zu werden?
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