Marlene Krauses „Choking on Heroes“ als kompromissloser Bruch mit der Gefühlsindustrie des politischen Comics
Im Hamburger Buchladen Strips & Stories, zwischen Reeperbahn und dem Heiligengeistfeld, wird dem Auge einiges geboten – Kennerinnen und Kenner stoßen hier auf erlesene Schätze aus der Welt der Comics und der Graphic Novels. Gerade letzteres ist thematisch überwiegend von der Neuverarbeitung von Geschichte und der kreativen Umsetzung politischer Themen geprägt. Dabei spielt die ästhetische, ausdrucksstarke Gestaltung meist die wichtigere Rolle, so dass zuweilen der Eindruck entstehen kann, das jeweilige Thema sei bloß die Leinwand, auf der farbenprächtig oder durch markante Zeichnungen Emotionen und Eindrücke entfaltet werden. Gerade die Graphic Novel lebt im Allgemeinen vom Hochglanz, neben der Lektüre ist ihr Gebrauchswert auch der des Ausstellungsstückes im Wohnzimmer oder der Bibliothek. Aber dies ist ja bereits ein Problem der Rezeption, mithin nichts, was den Werken und ihren UrheberInnen zum Vorwurf gereicht werden könnte. Eine gekonnte Verbindung zwischen Form und Inhalt verstärkt zudem wechselseitig die Wirkung beider Aspekte, erlaubt das immer wieder Neulesen durch vielfältige Interpretationsangebote gerade im Bereich visuell hervorgerufener Emotionen und Assoziationen. Die verkürzte Erzählform der – wenn vorhanden – verwendeten Sprache schafft im Verbund mit den Bildern einen schwer definierbaren Zwischenraum von Prosa und Poesie, der allerdings immer die Gefahr entweder der stilistischen Verflachung oder aber der schwülstigen Übertreibung in sich birgt; emotionsstarke Bilder können durch ebenfalls emotionsstarke Wörter mal noch stärker, mal aber auch einfach kitschig wirken. Das Comic bedient viele Themen und Genres, kann sich aber immer notfalls ins Augenzwinkern retten; die Graphic Novel aber lebt oft von einem Ethos – es meint die eigene Geschichte, auch die heiteren, bitter ernst. Kontrastiert wird solch ein Anspruch durch die erleichterte Konsumierbarkeit seiner Form. Die Frage, warum ein gewisses Thema gerade in gezeichneten Bildern erzählt werden sollte, mag möglicherweise in sich schon ignorant gegenüber dem Werk sein – und muss aber in Anbetracht der Explosion der Neuerscheinungen im Bereich der historischen oder politischen Graphic Novels, vor allem seit dem Welterfolg von Art Spiegelmans Maus, wohl dennoch gestellt werden. Und LiteratursoziologInnen der mittlerweile ganz, ganz alten Schule mögen auch noch die Frage hinzufügen: Wer produziert hier eigentlich warum für wen? Mit den Bedingungen von „Industrie“ und dem speziellen Fetischcharakter der Kunst zu argumentieren schafft sicherlich eine Voreinstellung, die es den einzelnen Werken schwer macht, sich bei der Betrachtung zu entfalten. Die Widersprüchlichkeit eines politischen Zugangs zu thematisch politischer Kunst wird im Bereich der Graphic Novels auch gerade dann deutlich, wenn in einem Fachgeschäft wie dem Strips & Stories in Hamburg, zwischen Reeperbahn und Heiligengeistfeld, auf einer Comic-Release ein radikaler Gegenentwurf präsentiert wird.
Es ist ein kleines Heftchen mit rotem Cover – aus Pappe. Gerade mal 18 Seiten dünn, im DINA5 Format. Die Zeichnungen: Schwarzweiß. Der Inhalt nicht. Die Künstlerin Marlene Krause reizt alle Freiheiten aus, die das Format und der DIY-Stil ihr bieten: Sie wirft Vergangenheit und eine zeitlose Gegenwart durcheinander, komprimiert das Chaos der Geschichte in einem chaotischen Arrangement, welches selbst die Begrenzung durch das Ende der Seiten sprengt und sich ohne einengende Balken und Kästen entfalten kann. Die Geschichte Federica Montseny Mañés, der Frau, die die Widersprüche sowohl ihrer wie auch unserer Zeit und eben auch die Projektionen vieler Linker in sich vereint, dargestellt als exzentrische Bühnenmaskerade. Die erste Ministerin Europas, die gleichzeitig Anarchistin war, eine Unmöglichkeit, die ihre Begründung nur im Kontext der Dramaturgie des Spanischen Bürgerkrieges finden kann. Warum diese Geschichte darstellen? Bevor die Lesenden diese Frage überhaupt stellen können, wird sie im Comic Choking on Heroes selbst gestellt, in jener Stoßrichtung, wie sie der Titel bereits suggeriert; doch sie wird lediglich gestellt, aber nicht beantwortet. Das chaotische Zeitgeschehen wird unterbrochen von einem Dialog zweier Menschen in einer zeitlosen Wüste, Kieselsteine gegen den Durst schluckend. Die Euphorie und die Niederlagen der vergangenen Zeiten finden ihre Entsprechung im Zynismus und Pessimismus heutiger Vereinzelung; in Kritik und Unzufriedenheit, die sich kaum noch kollektiv, sondern tendenziell nihilistisch äußern. Das Drama des historischen Anarchismus auf der Bühne, das Drama heutiger AnarchistInnen in der Wüste. Form und Inhalt stellt Marlene Krause provokativ in diesem Verhältnis gegeneinander: Die Geschichte Federica Montsenys stellt sie zwar in durcheinander geworfenen, nicht voneinander abgegrenzten Bildern mit surrealistischem Unterton dar, ihre Wörter und ihre Personen jedoch füllt sie mit geballter Historizität. Auf wenigen Seiten erscheinen viele AkteurInnen der damaligen Zeit und offenbaren profunde Kenntnisse über die Ereignisse innerhalb der libertären Bewegung Spaniens zu Zeiten des Bürgerkrieges. Marlene Krause bietet Eckpunkte für eine historische Orientierung dar, die in Thesenform formuliert werden, aber eben nicht für sich selbst sprechen; ein Verständnis ihrer Bilder zu Federica Montseny und dem Spanischen Bürgerkrieg, der Zerrissenheit der libertären Bewegung angesichts der Widersprüche ihrer Zeit, muss sich das geneigte Publikum in eigener Recherche selbst erarbeiten. Hingegen ist jene bizarr anmutende Szenerie, in der zwei junge Menschen über Individualität und Gemeinsinn, die Zwecklosigkeit von Idealen und ihre Frustration philosophieren, in klare Bilder gegossen, im traditionellen Comicstil voneinander getrennt, mit einer vorgegebenen Chronologie. Je konkreter das Ereignis, desto unkonkreter, phantastischer die Form – und umgekehrt. Die Beziehung zwischen Form und Inhalt thematisiert Marlene Krause gerade von ihrer Gegensätzlichkeit her; ohne Glanz und Glamour. Im Strips & Stories stellt ihr Werk auf gerade mal 18 Seiten somit nicht bloß vielfältige Fragen an die Geschichte und unser Innerstes, sondern an das Medium Comic/Graphic Novel als solches.
Siehe auch: marlenekrause.blogspot.de
Interview mit Torsten Bewernitz und Gabriel Kuhn.
Der revolutionäre Syndikalismus, wie wir ihn kennen, gehört vielleicht der Vergangenheit an. Damit er überleben…
Rezension zum Buch der Sanktionsfrei e.V. Gründerinnen über Bürgergeld, Armut und Reichtum.
Arbeits- und Klimakämpfe verbinden - zum neuen Buch von Simon Schaupp und dem Film Verkehrswendestadt…
Alter Chauvinismus oder die Kehrtwende in eine neue Fürsorglichkeit.
Rezension zu „Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut“
Leave a Comment