„Wir müssen vereint bleiben, um Gerechtigkeit durchzusetzen“, erklärt Maria Corona entschlossen und ernst der General Assembly an einem der ersten Tage von Occupy Wall Street (OWS). Sofort hallt der Ausruf durch das „People‘s Mic“ kämpferisch über den besetzten Liberty Square: „Ohne die Gewerkschaft gibt es keine Stärke!“ Und nochmals wiederholt die Menge überzeugt die Worte der Sprecherin. Gemeint ist die anarcho-syndikalistische Basisgewerkschaft Industrial Workers of the World (IWW). Maria arbeitete bei Flaum, einem Zulieferer koscherer Lebensmittel. Bis sie und ihre 22 Arbeitskollegen gefeuert wurden, nachdem sie sich aufgrund respektloser Behandlung und Lohnraub gegen ihren Boss auflehnten. Die Vernetzung der Wobblies – wie die Mitglieder der IWW genannt werden – mit OWS brachte nicht nur Unterstützung für die konkreten Arbeitskämpfe, sondern führte auch zu einem wachsenden Bewusstsein innerhalb der Bewegung über die Bedeutung und Lage migrantischer ArbeiterInnen als Teil der „99 Prozent“. Durch Arbeitsgruppen wie Occupy Your Workplace und Immigrant Workers Justice werden OWS-Aktive für Klassenkampf und Syndikalismus sensibilisiert. Der andere Teil der IWW-Philosophie – Anarchismus – ist bereits sehr präsent und bewusst in der Bewegung vorhanden, da sie auch zum großen Teil von AnarchistInnen initiiert wurde, selbst wenn dieser Teil im Laufe der Zeit zunehmend marginalisiert wurde. Die bewusste Verbindung der allgemeinen Kapitalismuskritik von OWS mit Arbeitskämpfen ist ein wichtiges Anliegen der Wobblies, die in beiden Spektren aktiv sind. Diese Bestrebungen trugen auch dazu bei, dass der 1. Mai dieses Jahr früh geplant wurde und groß angelegt ist. Da der Tag zur Würdigung der ArbeiterInnen in den USA eigentlich der 3. September ist – auch in bewusster Abgrenzung zu den kommunistischen, anarchistischen und syndikalistischen Wurzeln des Internationalen Tags der Arbeit – passiert am 1. Mai, der in den USA kein Feiertag ist, meistens nicht sonderlich viel. Mit der Gründung der Mayday-Koalition von OWS mit Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen soll das dieses Jahr anders werden. Dezentrale militante und direkte Aktionen in der ganzen Stadt sollen Aufsehen erregen und eine Großdemonstration am späten Nachmittag soll die vereinte Front von ArbeiterInnen und Occupy Wall Street zeigen. Das allgemeine Motto ist der Generalstreik: „Ein Tag ohne die 99%.“
Die Wobblies suchten in der Flaum-Kampagne jedoch nicht nur den Kontakt zu OWS, sondern auch zu jüdischen Communities und internationalen syndikalistischen Netzwerken. Der dadurch erzielte massive Andrang an Anrufen aus aller Welt – Occupier, Rabbis, GewerkschafterInnen, AktivistInnen, ArbeiterInnen – an das Management von Flaum, aber auch an all die Feinschmecker-Restaurants und Delikatessen-Märkte in New York, die Lebensmittel von Flaum beziehen, führte zu einem Riesenerfolg: Mehr als 120 der renommierten Abnehmer beendeten die Kooperation mit dem Lieferanten.
Dies ist ein sehr repräsentatives Beispiel der Taktiken in den vielen Arbeitskämpfen, die die Wobblies in den letzten Jahren erfolgreich geführt haben. „Wir kämpfen immer bis zum Schluss, bis zum Sieg“, betont Daniel Gross, eine der treibenden Kräfte in diesen Prozessen. In vorherigen Kampagnen konnten die ArbeiterInnen durch gerichtliche Verhandlungen sogar bis zu 470.000 $ der unterschlagenen Mindestlöhne und Überstunden zurückerhalten. Mit der allgemeinen Kampagne Focus on the Foodchain konzentrieren sie sich durch Unterstützung der Non-Profit Organisation Brandworkers auf die Ausbeutung in der Lebensmittelindustrie in New York City. Dieser Schwerpunkt wurde auch gewählt, da „vor allem die Verarbeitung und der Vertrieb von Lebensmitteln ein relativ unsichtbarer Teil der Lebensmittelkette ist und die ArbeiterInnen hier daher besonders unterdrückt und schlecht behandelt werden“, so Joseph Sanchez, ein Delegierter von IWW und Mitarbeiter bei Brandworkers. Während das Management ausschließlich aus weißen US-Amerikanern besteht, sind die meisten ArbeiterInnen People of Colour, größtenteils aus Lateinamerika, aber auch aus China und Südostasien. Die unwürdige Behandlung ist ein sehr zentraler Punkt in den meisten Kämpfen, der den ArbeiterInnen sogar wichtiger ist als Lohnfragen. „Wir werden als Küchenschaben bezeichnet und als Tiere gesehen! Mich interessiert nicht so sehr das Geld. Wir kämpfen für würdevollen Umgang“, stellt Maria Corona klar.
Der Mangel an Respekt, seitens der Bosse wird auch deutlich in den unzähligen Fällen fehlender Implementierung von Sicherheits- und Gesundheitsstandards. Vor einem Jahr führte dies sogar zum Tod eines 22-jährigen Arbeiters der Tortilla-Fabrik Chinantla. Hätte sich das Management an die vorschriftsmäßigen Minimalvorkehrungen zur Sicherheit der ArbeiterInnen gehalten, wäre Juan Baten nicht in das Mischgerät gefallen. Durch juristische Hilfe für Juans Witwe, Solidaritäts- sowie Öffentlichkeitsarbeit konnten die Wobblies und Brandworkers erfolgreich zur Verhaftung des Bosses beitragen.
Auch im aktuellen Kampf von Focus on the Foodchain spielt Respekt eine zentrale Rolle. Seit die große Brotmanufaktur Tom Cat – Marktführer in diesem Bereich in New York – von einem texanischen Investor aufgekauft wurde, haben sich die Arbeitsbedingungen der Lieferanten enorm verschlechtert. „Wir werden beschimpft und angeschrien, wie Kinder behandelt“, beschwert sich Dario Pinos, der von den ArbeiterInnen direkt gewählte Leiter und Vertreter. Ein wirkungsvoller Eskalationsplan von 3 Monaten soll zur Kündigung des Managers Walter Knox führen. Die Strategie, die mit symbolischen Taktiken begann, involviert im Verlauf immer mehr direkte Aktionen und Methoden, um realen wirtschaftlichen und öffentlichen Druck auszuüben. Denn „man sollte seine wirkungsvollsten Waffen nie gleich zu Beginn enthüllen“, so Daniel Gross. Nach einer massiven Telefonaktion mit solidarischer Beteiligung aus dem ganzen Land aber auch Europa, bei der sich hunderte AnruferInnen bei den Managern über den unwürdigen Umgang mit den Fahrern beschwerten, kündigte bereits der erste Abteilungsleiter. Doch auch in diesem Fall wird nicht aufgehört, bis Walter Knox geht. Auch wenn die etablierte Gewerkschaft, bei der die Arbeiter eigentlich organisiert sind, alles tut, um ihre Mitglieder zu beschwichtigen und ruhig zu halten. Die
wütenden Fahrer versuchen nun zweigleisig zu fahren und mithilfe der radikaleren IWW nach Jahren der Demütigung endlich Gerechtigkeit zu erlangen. Denn, wie einer der Tom Cat Arbeiter es auf den Punkt brachte: „Was kannst du mehr im Leben tun, als für deine Rechte zu kämpfen? Geld verschwindet schnell, aber die Erfahrung des Kampfes bleibt mit dir.“
Mit einer gerichtlichen Abfindung musste das Unternehmen Flaum Appetizing, Anfang Mai, nun den ArbeiterInnen 557.000 US$ für unterschlagene Löhne zahlen.
Die New York Times berichtet: http://cityroom.blogs.nytimes.com/2012/05/07/kosher-food-manufacturer-to-pay-577000-in-settlement/
Interview mit Torsten Bewernitz und Gabriel Kuhn.
Der revolutionäre Syndikalismus, wie wir ihn kennen, gehört vielleicht der Vergangenheit an. Damit er überleben…
Rezension zum Buch der Sanktionsfrei e.V. Gründerinnen über Bürgergeld, Armut und Reichtum.
Arbeits- und Klimakämpfe verbinden - zum neuen Buch von Simon Schaupp und dem Film Verkehrswendestadt…
Alter Chauvinismus oder die Kehrtwende in eine neue Fürsorglichkeit.
Rezension zu „Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut“
Leave a Comment