Kleine Anekdote zu Anfang: Für das Jahr 2013 wünscht sich die SPD eine Sonderbriefmarke „150 Jahre SPD“ – die CDU-Mitglieder im Ausschuss für Sondermarken aber machen darauf aufmerksam, dass es das Jubiläum des Allgemeinen Deutschen Arbeiterverbands (ADAV) ist, das gefeiert wird, und verbannt so die Parteiwerbung aus der Briefbeförderung. Ähnlich argumentierend könnte man nun natürlich behaupten, dass die „Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit“ express gerade erst ihr 40jähriges Bestehen feiern würde. Bei „express“ denkt die Mehrheit der Bevölkerung wahrscheinlich an den Kölner Express, eine Boulevard-Zeitung aus dem Verlagshaus DuMont im Springer-Stil. Dabei ist dieser Kölner Express, gegründet 1964, zwei Jahre jünger als das Diskussionsblatt der Gewerkschaftslinken. 1962 gründete sich der express international, der zehn Jahre später mit der Sozialistischen Betriebskorrespondenz zum express fusionierte.
Proletarische Gegenöffentlichkeit
Die Printmedienlandschaft, die sich positiv auf eine dissidente und gegen den Mainstream gerichtete Arbeiterbewegung beruft, lässt sich grob in drei Richtungen einteilen: Mit dem express ist diejenige verbunden, die nicht mit der Ausrichtung der DGB-Gewerkschaften einverstanden ist, sie aber von innen verändern und der Basis der Gewerkschaften eine Stimme geben möchte. Die zweite Richtung, die kämpferische Gewerkschaften für notwendig hält, aber keine Hoffnungen in ein Veränderungspotential des DGB setzt, präsentieren wir in der Direkten Aktion. Damit stehen wir zwischen der Positionierung des express und der dritten Richtung, die Gewerkschaften allgemein als hemmend für eine Arbeiterautonomie betrachtet, in Deutschland vertreten durch die Wildcat. Alle drei Zeitungen eint jedoch dasselbe inhaltliche Interesse und entsprechend ähnliche Themen, die immer wieder zu einer Zusammenarbeit führen.
Am 16. Juni, einen Tag vor dem Jahrestag eines der wichtigsten Arbeiteraufstände in Deutschland, lud die aktuelle express-Redaktion zur Jubiläumsfeier. Selbst als altgedienter Redakteur der Direkten Aktion fühlte man sich hier als Nesthäkchen unter verdienten AktivistInnen, die teilweise tatsächlich bereits seit 50 Jahren aktiv waren und sind. Die ersten Ausgaben des express international entstanden dabei noch in gemütlicher Wohnzimmeratmosphäre. Drei Jahre zuvor hatte die SPD ihr Godesberger Programm verabschiedet und damit Abschied von sozialistischer Programmatik und dem Profil einer Arbeiterpartei genommen, 1961 schloss sie dann den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) aus. Der DGB zog 1963 mit einem neuen Grundsatzprogramm hinterher. Diese Wende der großen Arbeiterorganisationen waren für die Gewerkschafts- und Betriebslinke Signal sich zu formieren.
Es ist kaum weiter verwunderlich, dass der express international seinen ersten Höhepunkt um 1968 erlebte, keineswegs lediglich in Studierendenkreisen, sondern auch im Rahmen der Septemberstreiks bis hin zu den sogenannten „Ausländerstreiks“ (Ford Köln, John Deere Mannheim, Pierburg Neuss etc.), die – nunmehr vom express – in zahlreichen Broschüren und ab 1972 im Kritischen Jahrbuch „Gewerkschaften und Klassenkampf“ analysiert und diskutiert wurden.
Bis heute sind es zwei Aspekte, die den express lesenswert und relevant für soziale Bewegungen machen: Zum einen die sich durchziehende Basisorientierung, die sich u.a. 1992 in dem kurzfristigen Versuch einer Regionalisierung der Redaktionen niederschlug, um insbesondere die ostdeutsche Betriebs- und Gewerkschaftslinke zu unterstützen. Bis heute ist dies eine der wesentlichen Stärken des express, z.B. durch die lebhafte Vernetzung mit der GoG (früher „Gruppe oppositioneller Gewerkschafter“, heute: „Gegenwehr ohne Grenzen“) bei Opel Bochum oder der alternative bei Mercedes-Benz. Der zweite Aspekt ist (wie auch in der DA) die frühzeitige Thematisierung von Entwicklungen wie Prekarisierung und Dienstleistisierung.
Intergewerkschaftliche Solidarität
Während die DA als Zeitung der FAU zweimonatlich kürzere Berichte von Arbeiterkämpfen präsentiert, die ansonsten im Blätterwald unerwähnt blieben, ist das Format des express darauf ausgelegt, längere Analysen und Theoriediskussionen zu veröffentlichen – eine Möglichkeit, die die DA nur in den Rubriken „Zeitlupe“ und „Hintergrund“ hat. Die Gewerkschaftslinke, die sich seit 50 Jahren um den express formiert, analysiert dabei nicht nur kritisch Tarifverhandlungen und deren Ergebnisse, sondern auch betriebliche und juristische Themen, die von allgemeiner Relevanz sind. So rekrutierte sich aus dem express-Umfeld auch die linksgewerkschaftliche Solidaritätsgruppe mit dem Allgemeinen Syndikat der FAU Berlin, als dieser im Babylon-Konflikt verboten wurde sich Gewerkschaft zu nennen. Gregor Zattler veröffentlichte eine hervorragende Analyse zu diesem Fall (express 3/2010).
Das zeigt vor allem eins: Im Gegensatz zur DGB-Spitze weiß die Gewerkschaftslinke, dass einiges Handeln der ArbeiterInnen nicht zwangsweise Einheitsgewerkschaft bedeuten muss, sondern ein kooperatives und solidarisches Miteinander unter Gewerkschaften – lokal, regional und international, egal ob die Gewerkschaft nun FAU, IWW, IG Metall, GDL oder cockpit heißt.
In diesem Sinne gratulieren wir gerne und hoffen auf weitere 50 Jahre express und eine weitere intergewerkschaftliche Solidarität und Zusammenarbeit.