In einer Volksabstimmung sprach sich die Schweizer Bevölkerung gegen eine Verlängerung des Jahresurlaubs aus
Eine der zentralen Forderungen der ArbeiterInnenbewegung schon seit dem frühen 19. Jahrhundert war die Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. In gewaltsamen und oft auch blutigen Konflikten wurden der 8-Stunden-Tag, die 5-Tage-Woche und auch der bezahlte Urlaub erkämpft.
Knapp 200 Jahre später wird die Bevölkerung eines der fortschrittlichsten Industrieländer in einer freien und geheimen Wahl gefragt, ob sie anstelle von 4 Wochen einen gesetzlichen Mindesturlaub von 6 Wochen haben will. Ohne Streiks und Barrikaden und Demonstrationen kann der Weg der Arbeitszeitverkürzung mit friedlichen, demokratischen Mitteln konsequent weiter gegangen werden.
„Nein danke“, ist allerdings die Antwort der Schweizer Bevölkerung in einer Volksabstimmung Anfang dieses Jahres. Eine klare Mehrheit von zwei Dritteln entscheidet sich gegen die Verlängerung des bezahlten Urlaubs. In keinem einzigen Kanton erreicht die sogenannte Ferien-Initiative mehr als 50%. Selbst in den progressiven Westschweizer Kantonen des Jura, in denen vor über 140 Jahren eine starke anarchistische und syndikalistische Bewegung aktiv war und für Schweizer Verhältnisse immer noch extrem links gewählt wird, wurden gerade einmal 49% Ja-Stimmen gezählt.
Wie kann das sein? Dass direkte Volksabstimmungen mitunter die erschreckende wirkliche Meinung der Bevölkerung widerspiegeln, passiert ja immer wieder. Hier sei nur auf die sogenannte Minarett-Abstimmung verwiesen. Fremdenfeindlichkeit ist ja leider selbst in modernen Industrienationen bei einer deutlichen Mehrheit zu finden. Aber dass die Mehrheit, und auch in der Schweiz sind über 80% der Haushalte direkt oder indirekt lohnabhängig, so eindeutig gegen ihre eigenen Interessen votiert, ist mehr als nur verwunderlich. Und die Wahlbeteiligung von über 45% zeigt, dass die Ablehnung kein statistischer Ausrutscher war.
Allerdings ist es generell schwierig der Schweizer Bevölkerung ein Ja zu einer Veränderung zu entlocken. Die Angst vor Veränderung ist ein einfach zu bedienendes Instrument der Initiativ-Gegner. Besonders wenn finanzkräftige Institutionen einer Initiative ablehnend gegenüberstehen, ist die Panikmache im öffentlichen Raum nahezu omnipräsent. So auch bei der Ferien-Initiative, bei der auf nahezu jeder Plakatwand der Slogan „Mehr Urlaub – Weniger Jobs“ zu lesen war. Seltsam ist allerdings, dass dieser Slogan bei einer Arbeitslosigkeit von gerade einmal 3% auf fruchtbaren Boden fällt, war dies doch, wenn man den Analysen glauben mag, der Hauptgrund für die Ablehnung. Politisch wurde eher argumentiert, dass man nicht per Gesetz in die sozialpartnerschaftlichen Lösungen zwischen ArbeitgeberInnen und Gewerkschaften eingreifen solle. So sei es durchaus möglich, längere Urlaubszeiten in den Tarifverträgen auszuhandeln. Bei gerade einmal 10% gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten und Gewerkschaften, die nur äußerst ungern in harte Auseinandersetzungen gehen, ebenfalls kein besonders schlagkräftiges Argument.
Viel besser lässt sich die Ablehnung dieser Initiative durch das nahezu vollständige Fehlen eines Klassenbewusstseins erklären. Das Bewusstsein, dass es das Ziel aller Lohnabhängigen ist, die eigene Lebenszeit möglichst teuer zu verkaufen, selbst dann, wenn man persönlich schon mehr als 4 Wochen Urlaub hat oder damit zufrieden wäre.
Die Ferien-Initiative wurde daher auch nicht als demokratische Entscheidung über eine generelle Erhöhung des Stundenlohns um knapp 4% gesehen, geschweige denn so von den Gewerkschaften kommuniziert.
Auch hier zeigt sich, dass jedes politische Instrument, und sei es so progressiv wie die direkte Demokratie, nutzlos bleibt, wenn es nicht aktiv mit Leben gefüllt wird. Ohne Klassenbewusstsein bringen einem die besten ArbeitnehmerInnenrechte nichts. Ohne Visionen und Utopien verwaltet auch die direkte Demokratie nur den gegebenen Ist-Zustand.
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