Trucker wehren sich gegen miese Arbeitsbedingungen. Zwei Interviews
Kannst du deine Organisation vorstellen?
Unsere Kraftfahrerclubs (KCD) sind 2011 gegründet worden, damit unser Beruf wieder Anerkennung in der Öffentlichkeit findet. Ein gemeinsames und faires Miteinander ist das Hauptziel unseres Vereins. Nur so erreichen wir, dass die Fahrer wieder zusammen für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. Wir haben im Laufe der Zeit begriffen, dass wir uns dafür auch politisch betätigen müssen. Das machen wir, indem wir uns mit Gewerkschaften und Organisationen aus anderen Ländern zusammensetzen, aber auch mit Organisationen der Unternehmer. Wir wollen uns weniger mit tariflichen Fragen auseinandersetzen, wir wollen die Politik und den Gesetzgeber anpacken, damit es bessere Rahmenbedingungen gibt. Auch die Öffentlichkeit sollte darüber nachdenken, dass ein unzufriedener Fahrer unmotiviert zur Arbeit geht, und dass ein unmotivierter Fahrer ein Sicherheitsrisiko ist. Man sollte also nicht über die Fahrer herziehen und sie abkassieren, sondern über die Situation der Fahrer in der Öffentlichkeit nachdenken und mit der Politik und den Gewerkschaften daran arbeiten, dass die Ursachen bekämpft werden.
Wie sieht es aus mit den Arbeitszeiten für Berufskraftfahrer?
Die Arbeitszeiten bestehen aus Schichten von 13 bzw. 15 Stunden. Wir machen zwar unsere Pausen, aber viele Fahrer lassen sich drängen, in diesen Be- und Entladetätigkeiten zu verrichten. Ich persönlich lasse mir die Zeit nicht mehr wegnehmen. Wochenendarbeit wird oft nur durch Spesen abgegolten. Für die 24 Stunden, die die Fahrer meistens weg von zu Hause sind, gibt es überhaupt keinen finanziellen Ausgleich außer den Spesen. Und die reichen lange nicht mehr, um damit den Unterhalt auf Rasthöfen zu bestreiten.
Und die Bezahlung?
Das Schlimme ist, dass in der Branche nur noch pauschal bezahlt wird. Jede Stunde, die du extra machst, wird nicht bezahlt. Früher hat man noch Stundenlohn gekriegt. Das ist erst in den 90er Jahren ausgeartet, wobei damals noch relativ vernünftig gezahlt wurde. Ende der 90er wurde dann in vielen Speditionen das Urlaubs- und Weihnachtsgeld gestrichen, die Löhne gingen teilweise runter. Heute sind wir an einem Punkt angelangt, wo die Fahrer in Deutschland Billiglohnarbeiter sind und als solche auch in Europa „gehandelt“ werden.
Wie hat eine solche Situation entstehen können?
In den 90ern wurde alles auf einen LKW gesetzt, was einen Führerschein hatte. Die Branche ist explodiert. Viele waren froh, dass sie einen Job hatten, und es gab die Träumer, die einfach LKW fahren wollten. Die Fahrer haben sich nicht für die vorangegangen Auseinandersetzungen und Löhne interessiert. In dieser Zeit sind auch die Frachtpreise weiter gefallen. Firmen, die die gewerkschaftlich ausgehandelten Löhne nicht mehr tragen konnten, sind einfach aus dem Tarifverbund ausgetreten. Die Gewerkschaften haben so ihre Bedeutung verloren. Heute geht es den Fahrern lohntechnisch schlechter als je zuvor. Viele Zusatzzahlungen sind weggefallen. Wir haben auch ein Lohngefälle zwischen Nord und Süd – und natürlich zwischen Ost und West. „Mindestlohn“ klingt in einem solchen Moment zwar gut, aber mit den Mindestlöhnen, von denen man jetzt spricht, von 7,50 oder 8 Euro, wird es nicht besser. Wichtig wäre, auch dafür bezahlt zu werden, dass wir fünf volle Tage die Woche nicht zuhause sind. Die Spesen entschädigen einen nicht dafür.
Welchen Einfluss hat die Politik in dem Gewerbe?
Die EU betreibt eine Politik der Deregulierung, und die sorgt für einen enormen Konkurrenzdruck. Die Statistiken belegen, dass die Frachtpreise sinken, worunter gerade die kleinen Firmen leiden. Das bricht vielen das Genick, v.a. den selbstfahrenden Unternehmern. Und das schwächste Glied in der Kette sind die Fahrer. Die einzige Möglichkeit, etwas zu ändern, ist, die Politik, egal mit welchen Mitteln, auf die Problematik aufmerksam zu machen. Einige Politiker sind auch an Gesprächen interessiert. Aber wir erreichen nichts, wenn es nur einzelne sind. Sollte die Politik nicht hören wollen, muss man eben auch mit den uns zur Verfügung stehenden härteren Mitteln reagieren.
Wie würdest du die Arbeitszeiten für Berufskraftfahrer beschreiben?
Eine 40- oder 48-Stunden-Woche kann in diesem Gewerbe nicht eingehalten werden. In vielen Speditionen hält man sich nicht an die Lenk- und Ruhezeiten und werden die gesetzlichen Arbeitszeiten überschritten. Wenn man mal ein wenig überzieht, weil man keinen Parkplatz findet, wie es mir gerade passiert ist, ist das etwas anderes. Ich wurde kontrolliert, aber die Polizei kennt die Situation, und weil es nachweislich nur einmal vorkam, war es kein Problem. Es gibt aber Fahrer, die sich alles gefallen lassen, die ihren Tachografen manipulieren oder mit mehreren Fahrerkarten arbeiten.
Über so etwas öffentlich zu sprechen, ist unter Fahrern verpönt, weil es das Image ihres Berufes ruiniert?
Ich sehe das nicht so. Ganz im Gegenteil: Wenn die Fahrer an die Öffentlichkeit gehen, dann wollen sie ja, dass der Druck von ihnen genommen wird und dass das Problem gelöst wird. In Frankreich sagt ja auch keiner: „Ihr seid kriminell, weil ihr auf die Straße gegangen seid und für bessere Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten gestreikt habt.“ Viele LKW-Fahrer hier haben eine große Achtung vor den Kollegen, die es in Italien, Frankreich oder Spanien einfach gemacht haben.
Du bist ja auch mit einer Homepage an die Öffentlichkeit gegangen.
Mir geht es im Moment gut, aber ich habe auch schon Schlimmes in diesem Beruf erlebt. Es gibt so viele Fahrer mit einem miesen Job, und ich will ihnen Mut machen, sich einen besseren zu suchen. Es werden überall Fahrer gesucht. Die Onlinebefragung auf meiner Homepage zeigt erschreckende Ergebnisse: Jeder Zweite hat haarsträubende Arbeitszeiten. Einige arbeiten zu Lohnbedingungen, die kaum besser sind als Hartz IV. Ich habe mit Fahrern aus Polen gesprochen, die wurden besser bezahlt als einige hier in Ostdeutschland. Die Fahrer müssen sich einfach mal klarmachen, dass ohne sie nichts läuft.
Es heißt, dass im Osten Deutschlands die gesetzlichen Regeln besonders häufig gebrochen werden.
Es dürfte wohl im Osten schlimmer sein, es ist aber kein rein ostdeutsches Problem. Ich bin selbst für eine Firma in den alten Bundesländern gefahren. Da hatte ich Kollegen, die sind mit Tricks und verschiedenen Fahrerkarten fast rund um die Uhr gefahren.
Siehst Du die Möglichkeit, dass die vereinzelten Fahrer zusammenkommen, um über die Situation zu diskutieren und vielleicht etwas zu bewegen?
Durchaus. Ich war zum EM-Spiel Deutschland gegen Holland an einem Autohof. In der Halbzeit haben sich die ganzen Fahrer über den Streik am Hafen von Antwerpen unterhalten. Wir haben da auch über unsere miesen Bedingungen geredet. An solchen Orten rücken alle zusammen und tauschen sich aus, egal ob Holländer, Polen oder Deutsche. Ich habe das Gefühl, dass sich hier etwas bewegt.
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