Er könnte so schön sein, der technische Fortschritt. Plackerei und Hunger würden der Vergangenheit angehören, und der Mensch hätte Zeit, sich den schönen Dingen des Lebens zu widmen – um einer höheren Kultur entgegen zu schreiten. Derlei hoffnungsvolle Utopien wurden sicherlich schon seit Anbeginn der Zivilisation geträumt. Bereits der griechische Philosoph Aristoteles schrieb über 300 Jahre vor Christus: „Wenn jedes Werkzeug auf Geheiß, oder auch vorausahnend, das ihm zukommende Werk verrichten könnte, wie des Dädalus Kunstwerke sich von selbst bewegten oder die Dreifüße des Hephaistos aus eignem Antrieb an die heilige Arbeit gingen, wenn so die Weberschiffe von selbst webten, so bedürfte es weder für den Werkmeister der Gehilfen noch für die Herren der Sklaven.“
Heute, wo die Technologisierung Ausmaße erreicht hat, die Aristoteles sich kaum vorzustellen vermochte, hält sich der utopische Optimismus in Grenzen. Der technische Fortschritt insbesondere der vergangenen hundert Jahre hat zu einem globalen Strukturwandel geführt, der nicht nur die Menschheit in eine instabile Gesamtlage versetzt, sondern auch deren lebensnotwendige Biosphäre an einen kritischen Punkt gebracht hat. Auch von einer Befreiung von Arbeit und Hunger kann kaum die Rede sein. Noch nie in der Geschichte lebten so viele Menschen in extremer Armut wie heute, noch nie waren so viele Menschen auf der Welt – mittlerweile deutlich über zwei Milliarden – proletarisiert. „Allein in Südkorea“, so Lucien van der Walt und Michael Schmidt, „gibt es gegenwärtig mehr Industriearbeiter als in der gesamten Welt des Jahres 1848, zu der Zeit, als Karl Marx und Friedrich Engels das Kommunistische Manifest verfassten – und Industriearbeiter stellen nur ein Segment der Arbeiterklasse dar“.
Dabei ist es keineswegs der technische Fortschritt an sich, der diese Verwerfungen begründet. Seine Auswirkungen ergeben sich vielmehr aus den Produktionsverhältnissen, in die er eingebettet ist, Verhältnisse, in denen nur eine kleine Minderheit über die Produktionsmittel verfügt – sei es auf privat- oder staatskapitalistischer Basis. Für diese ist die Technologisierung ein Segen, steigert sie doch die Produktivität und damit auch deren Reichtum. Für die breite Masse der Lohnabhängigen jedoch ersetzt eine neue Maschine nicht die Arbeit, sondern nur sie selbst als Arbeitskraft. Und schon gar nicht fließt ihnen der daraus resultierende Ertrag zu. Sie werden einfach – zumindest ein stückweit – überflüssig gemacht. Wenn heute der Apple-Produzent Foxconn in China Millionen Industrieroboter anstelle von ArbeiterInnen zum Einsatz bringen will, denkt dabei kaum jemand an mehr Freizeit. Nicht, dass die Arbeit bei Foxconn, das für seine brutalen Arbeitsbedingungen berüchtigt ist, besonders erhaltenswert wäre. Doch von den Einkommensquellen abgeschnitten zu werden – und das bedeutet es konkret für viele Lohnabhängigen –, ist eben auch keine Perspektive. Gegen solche Konsequenzen der Technologisierung wehrten sich schon die „Maschinenstürmer“ im England des 19. Jahrhunderts.[1]
Von der gesteigerten Produktivität, die die Technologisierung mit sich bringt, profitiert die große Masse somit nur indirekt und langsam. Zwar hat sich in Europa die Zahl der pro Kopf geleisteten Arbeitsstunden von 1900 bis zum Jahr 2000 etwa halbiert, allerdings hat sich im selben Zeitraum auch die Produktivität deutlich erhöht, und zwar pro Kopf um das sechsfache.[2] Konkret in Deutschland kam es im 20. Jahrhundert zu einer stetigen Verkürzung der tariflichen Wochenarbeitszeit, von einem Zehn-Stunden-Tag bei einer Sechs-Tage-Woche im Jahr 1900 bis zur Einführung der 35-Stunden-Woche in einigen Branchen.
Bezug nehmend auf die um den Acht-Stunden-Tag ausgefochtenen Kämpfe der Arbeiter- und Soldatenräte 1918, stellte Rudi Dutschke bereits 1967 fest: Heute „arbeiten unsere Arbeiterinnen und Arbeiter und Angestellten lumpige vier, fünf Stunden weniger pro Woche. Und das bei einer ungeheuren Entfaltung der Produktivkräfte, der technischen Errungenschaften, die eine wirklich sehr, sehr große Arbeitszeitreduzierung bringen könnten, aber im Interesse der Aufrechterhaltung der bestehenden Herrschaftsordnung wird die Arbeitszeitverkürzung, die historisch möglich geworden ist, hintangehalten, um Bewusstlosigkeit – das hat etwas mit der Länge der Arbeitszeit zu tun – aufrechtzuerhalten.“
Im letzten Jahrzehnt wurden selbst diese Arbeitsverkürzungen jedoch in vielen Bereichen zurückgenommen. Selbst der Acht-Stunden-Tag existiert häufig nur noch auf dem Papier, werden gesetzliche Regelungen in der Praxis doch gerne umgangen.[3]
Es stellt sich also, blickt man auf die Entwicklung der Produktivkräfte, die Frage nach der gesellschaftlichen Verteilung von Arbeit und damit letztendlich auch nach den Arbeitszeiten. Unter WirtschaftswissenschaftlerInnen ist dabei umstritten, ob technischer Fortschritt im Kapitalismus wirklich zu struktureller Arbeitslosigkeit führt. Während einige Ökonomen, darunter auch Karl Marx, davon ausgingen, dass Produktivitätssteigerungen bei gleich bleibender Nachfrage Arbeitskraft „freisetzt“, meinen insbesondere Freunde des freien Marktes, sie wirkten beschäftigungsneutral. Schließlich führe die Technologisierung zu einem Sinken der Preise und damit auch zu mehr Einkommen in der Bevölkerung. Bei dieser, so die Logik, steige dadurch auch die Nachfrage an anderen Produkten – wofür dann wieder Arbeitskräfte benötigt würden.
Dieser angenommene „Rebound-Effekt“ ist bis heute zu einem integralen Bestandteil von Beschäftigungspolitik geworden. Diese zielt u.a. auf eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ab, damit freigesetzte Arbeitskräfte in andere Branchen transferiert werden, wo die Nachfrage gestiegen ist. Soweit die Theorie. In der Praxis funktioniert diese „Kompensation“ offenbar nicht ganz. Zwar trumpfte etwa Deutschland zuletzt mit sinkenden Arbeitslosenzahlen auf und rühmt sich, zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen zu haben. Ein prüfender Blick zeigt jedoch, dass der Anteil von Teilzeitarbeit enorm zugenommen hat.[4] D.h., es befinden sich zwar viele Menschen in einem Beschäftigungsverhältnis, das von ihnen erbrachte Arbeitsvolumen hat insgesamt aber deutlich abgenommen.
Hieran schließt sich die Frage nach den Grenzen des Wachstums an. Denn Wachstum ist nach obiger Logik Voraussetzung dafür, dass die Arbeitskraftfreisetzung überhaupt kompensiert werden kann. Gleichzeitig behaupten zahlreiche Ökonomen, insbesondere der neoklassischen Schule, technischer Fortschritt schaffe überhaupt erst Wachstum, weil nur so die Marktakteure langfristig ihren Ertrag steigern könnten. Ein irrsinniger Kreislauf, den man nicht nur mit Blick auf die Erschöpfung natürlicher Ressourcen in Frage stellen sollte. Es fragt sich nämlich auch, wann die „Rendite“ der Technologisierung denn endlich mal ausgezahlt werden soll. Wann also, wie es der englische Ökonom John Stuart Mill bereits im 19. Jahrhundert formulierte, „die industriellen Verbesserungen anstatt nur der Vermehrung des Vermögens zu dienen, ihre ursprüngliche Wirkung hervorbrächten, nämlich die Arbeit zu verkürzen“.
Mill ging davon aus, dass irgendwann das Wachstumsziel erreicht sei, dann nämlich, wenn Wohlstand für alle herrsche. Er bezeichnete diese Phase, in der es zu einem Stillstand in Bezug auf die Kapital- und Bevölkerungszunahme käme, als „stationären Zustand“ der Wirtschaft. Nun ist es aber so, dass die gewachsene Produktivität sich keineswegs in ein wohlständiges Leben aller übersetzt hat. Vielmehr bleibt der Wohlstand weiterhin vielen vorenthalten. Nicht nur das: in den vergangenen Jahrzehnten hat sich sogar eine beispiellose Konzentration des gesellschaftlichen Reichtums in immer weniger Händen ergeben.[5] Der in den „Reaganomics“ der 1980er Jahre angenommene „Trickle-down“-Effekt, nachdem der Wohlstand nach unten durchsickere, ist ausgeblieben. Das neoliberale Paradigma, dass der freie Markt den „Wohlstand der Nationen“ realisiere, hat sich somit als Mär erwiesen. Zu keinem Zeitpunkt der Geschichte war die gesellschaftliche Verteilung des produzierten Reichtums ineffizienter.[6]
Ähnliches wie Mill fordern heute die sogenannten WachstumskritikerInnen. Sie wünschen eine Abkehr vom eindimensionalen Ökonomismus und eine Umverteilung der Arbeit, die für alle eine Verkürzung der Arbeitszeiten zur Folge haben soll. Der britische Ökonom Tim Jackson sieht gewissermaßen den „stationären Zustand“ zwar nicht erreicht, hält ihn aber für realisierbar. Zumindest in den hoch entwickelten Wirtschaften der „westlichen Welt“ sei Wohlstand ohne Wachstum bereits möglich. Wachstumskritiker plädieren daher für einen Paradigmenwechsel, der Arbeit und Leben in ein Gleichgewicht bringen, das Leben also nicht länger der Arbeit opfern soll. Doch wer die Träger dieses Wandels sein sollen, bleibt dabei offen. Kann womöglich der Kapitalismus selbst diesen Wandel befördern?
Immerhin hat etwa in Europa über das letzte Jahrhundert tatsächlich eine Reduktion der Arbeitszeit stattgefunden und man könnte den Trend zur Teilzeitarbeit auch als Umverteilung von Arbeit betrachten. Auch die Tatsache, dass die Freisetzung von Arbeitskraft in hoch technologisierten Bereichen zu einer Zunahme von sogenannten „unproduktiven“ Berufen (z.B. WissenschaftlerInnen, Ärzte, aber auch KünstlerInnen) geführt hat, könnte als Trend zur Befriedigung humaner, sozialer und kreativer Bedürfnisse gesehen werden. Zugleich hat sich durch Automatisierung die Rolle des Menschen zunehmend von der Produktion auf Administration, Planung, Kontrolle, Wartung und Dienstleistungen verschoben, während viele gefährliche Tätigkeiten heute durch Maschinen ausgeführt werden können. Sogar bestimmte Firmen setzen indessen auf neue Arbeitszeitmodelle.[7]
Doch dabei sollte man sich nicht von der Oberfläche täuschen lassen. So gingen Produktivitätssteigerung und Arbeitszeitverkürzung auch mit einer Intensivierung von Arbeit einher. Diese wird also effizienter, häufig auf Kosten der physischen oder gar psychischen Gesundheit von Lohnabhängigen, insbesondere dort, wo die Grenze zwischen Arbeits- und Privatleben immer weiter verschwimmt.[8] Der Trend zur Teilzeitarbeit wiederum ist ein Trend der Prekarisierung, bei dem Menschen zwar weniger arbeiten, aber auch entsprechend weniger Lohn erhalten. Die Früchte der Produktivitätssteigerung bleiben somit den „Arbeitgebern“ vorbehalten. Auch die „unproduktiven“ Berufe sind häufig höchst prekär[9] oder stützen sich auf die öffentliche Hand, so dass sich deren Finanzierung kaum aus dem Ertrag der Produktivitätssteigerung speist. Entsprechend ist in Zeiten klammer öffentlicher Haushalte denn auch ein Stellenabbau etwa im Bildungs- oder Gesundheitswesen festzustellen. Und die neuen, angenehmen Arbeitszeitmodelle betreffen in der Regel nur besonders begehrte Arbeitskräfte, die man vor dem Hintergrund eines Fachkräftemangels mit attraktiven Arbeitsbedingungen zu binden versucht.
Die Technologisierung mag daher Bedingungen geschaffen haben, die so einiges möglich machen, die kapitalistischen Produktionsverhältnisse jedoch verhindern, dass sich dies in einen Nutzen für die gesamte Gesellschaft übersetzt. Sollen die Forderungen der WachstumskritikerInnen also nicht nur ein zahnloses, wenn auch vernünftiges, politisches Plädoyer sein, so bedarf es der AkteurInnen, die an diesen Produktionsverhältnissen auch zu rütteln vermögen, die die gewünschte Umverteilung von Arbeit also auch gegen die Interessen der ProduktionsmitteleignerInnen erzwingen können. Dies führt zu der Frage nach der Konfrontation von Interessen zwischen „Kapital und Arbeit“.
Für die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung war der Kampf um Arbeitszeiten schon immer ein zentrales Tätigkeitsfeld. Lange Zeit nahmen Forderungen nach Arbeitsverkürzung sogar einen höheren Stellenwert ein als die Forderung nach höheren Löhnen. Davon zeugen viele der ersten Gewerkschaftskämpfe, die einer Verkürzung der Arbeitszeit galten. Auch die Tradition des ersten Mai als „Arbeiterkampftag“ wurde 1886 im Zusammenhang mit Aktionen für den Acht-Stunden-Tag geboren. Im Prinzip jedoch sind Auseinandersetzungen um Zeit oder Lohn „Ausdruck desselben Interessenkonflikts, wenn auch jeweils unter verschiedenen Prämissen: Lohnkämpfe sind meist nur dann erfolgversprechend …, wenn es einen wirtschaftlichen Aufschwung gibt und die Preise gleichzeitig steigen. Kämpfe um Zeit … scheinen dagegen einfacher geführt werden zu können.“[10] Vor allem aber ist der Drang nach mehr Freizeit und damit mehr Lebenszeit[11] ein naheliegender: Vielen Menschen war und ist frei verfügbare Zeit wichtiger als ein höheres Einkommen.
Das Kapital hat allerdings nur ein sehr begrenztes Interesse an verkürzten Arbeitszeiten. Und zwar nur insofern eine gewisse Regeneration der Arbeitskraft auch eine höhere Produktivität gewährleistet.[12] So geht die neoklassische Wirtschaftstheorie etwa davon aus, dass die erzeugte Menge an Waren und Dienstleistungen, aber auch der Arbeitslohn umso höher sei, je länger die Arbeitszeit ist. Allerdings stellt man auch fest, dass mit steigender Arbeitszeit das sogenannte „Arbeitsleid“ zunehme – mit entsprechendem Produktivitätsverlust und Abnutzung der Arbeitskraft. Als „optimale“ Arbeitszeit gilt daher diejenige, bei der der Nutzen des zu zahlenden Lohns dem Schaden des zusätzlichen Arbeitsleids entspricht. Außerdem sei ein gewisses Maß an Freizeit und Einkommen der Lohnabhängigen – gesamtkapitalistisch betrachtet – der Nachfrage und damit der Konjunktur förderlich.[13]
Vor allem aber tangieren Arbeitsverkürzungen die Interessen des Kapitals, weil damit eine Veränderung im Angebot der Arbeitskräfte einhergeht. Denn grundsätzlich sind für das Kapital Bedingungen am rentabelsten, in denen ein Angebotsüberhang an Arbeitskräften besteht und diese in Konkurrenz gesetzt sind. Für das Kapital ist daher ein Szenario der Vollbeschäftigung, was ja das Resultat von Arbeitsumverteilung wäre, ein Alptraum. Es würde, wenn Menschen relativ einfach in die Arbeit ihrer Wahl finden, seine „Short-Side-Position“ verlieren, über billige Arbeitskräfte verfügen und die Arbeitsbedingungen diktieren zu können.
In Anbetracht dieser Interessenkonstellation ist es fraglich, inwiefern politische Vorschläge der Arbeitsverkürzung überhaupt durchsetzbar sind. Es lässt sich einiges an gut klingenden Argumenten für eine solche anführen: sei es die gerechtere Verteilung von Arbeit und der Abbau sozialer Ungleichheit, sei es die Förderung einer nachhaltigeren Gesellschaft, die mehr Raum für soziale, ökologische, intellektuelle oder künstlerische Bedürfnisse lässt. Doch die Vernunft bleibt in der Regel ungehört, stehen ihr doch mächtige Interessen gegenüber. Es wäre daher Aufgabe der Gewerkschaftsbewegung, die nötige Schlagkraft zu organisieren, um diese zu überwältigen. Der Kampf um Arbeitszeiten ist dabei von doppelter Bedeutung: Zum einen führt jede Arbeitszeitverkürzung – Lohnausgleich vorausgesetzt – zu einer qualitativen Verbesserung des Lebens. Zum anderen mindert jede Arbeitszeitverkürzung das Angebot an Arbeitskräften und stärkt somit die Verhandlungsmacht der Lohnabhängigen. Arbeitszeitverkürzungen sind somit eine wichtige strategische Etappe, um letztlich selbst die „Short-Side-Position“ einzunehmen und aus dieser heraus größere Wandlungen durchsetzen zu können.
Doch wie könnte, sollten sich die Kräfte der Arbeitsverkürzung durchsetzen, die gesellschaftliche Verteilung von Arbeit letztendlich aussehen? Es gibt einige theoretische Modelle gerechter Arbeitsverteilung, etwa von dem französischen Sozialphilosophen André Gorz, der in den 1980er Jahren eine mögliche Wochenarbeitszeit von weniger als zehn Stunden errechnete. Auch aus anarchistischen Kreisen gibt es Überlegungen zu diesem Komplex. Am weitesten geht dabei zweifellos Darwin Dante, der Anfang der 1990er Jahre das Konzept der Fünf-Stunden-Woche vorlegte. In einer Modellrechnung legt er dar, dass bereits im Jahre 1990 eine durchschnittliche Arbeitszeit von fünf Stunden pro Woche ausreichend gewesen wäre. Dante nimmt sich dabei Faktoren des Kapitalismus vor, die eine Verschwendung oder Nichtnutzung von Arbeitskraft zur Folge haben, so etwa das Problem der Überproduktion, die systematische Verfallsrate von Gebrauchsartikeln und die damit verbundene Rohstoff- und Energieverschwendung. Würde man diese Faktoren ausschalten und Arbeit gerecht verteilen, legt Dante dar, wäre eine radikale Arbeitsverkürzung möglich.
Ob Dantes doch sehr idealtypisches Modell wirklich als Orientierung für eine libertär-sozialistische Ökonomie dienen kann, darf bezweifelt werden. Man muss dieses wohl eher als eine mathematische Offenlegung kapitalistischer Wirkmechanismen lesen, die aufzeigt, wie weit dieses System der eigentumsbasierten Warenwirtschaft allgemeinen Reichtum und eine höhere Lebensqualität verhindert. Kurz: dass der Kapitalismus eigentlich ein zutiefst überholtes Modell ist, das den technologischen Fortschritt in destruktive Bahnen lenkt. Darüber hinaus ist der Nutzen von Dantes Modellrechnung allerdings geringfügig. Denn seine Rechnungen basieren nun mal auf den Produktivitätszahlen des Kapitalismus selbst. Und eine nichtkapitalistische Ökonomie würde zwangsläufig andere Produktions- und Allokationsformen entwickeln, die in mancher Hinsicht nicht dieselbe Effizienz wie der Kapitalismus bei der Ausbeutung bzw. Nutzung von Arbeitskraft erzielt – und auch gar nicht soll.
Vor allem setzt Dantes Modell, soll das Ideal der Arbeitsverteilung erreicht werden, eine höchst effiziente und ebenförmige Zuteilung von Arbeitskraft in eine durchgeplante Partition von Arbeitsfeldern voraus. Doch wer bestimmt, welche Arbeit von wem zu verrichten ist? Der Kapitalismus kennt dafür den Mechanismus des freien Marktes samt seiner sozialen Verwerfungen, der Staatskommunismus die Zentralplanwirtschaft auf Kosten der individuellen Freiheit. Beides will eine libertäre Ökonomie vermeiden. Doch wie genau und wie effizient die Produktionsplanung und die Allokation von Arbeitskräften und Gütern in dieser funktionieren sollen, ist nach wie vor unklar.
Anmerkungen:
[1] Siehe dazu Sie wollen uns zu Maschinen machen!
[2] Dies wohlgemerkt bei einer Halbierung des Arbeitsvolumens pro Kopf.
[3] Siehe dazu Arbeit ohne Ende
[4] Lag dieser 1960 noch bei 3,9%, wuchs er bis 1999 auf 20,6%. 2011 betrug er bereits 26,6%.
[5] Global betrachtet: Allein in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich das Welt-Bruttosozialprodukt mehr als verdoppelt. Noch 1960 verdienten die reichsten 20% der Menschheit 30 Mal so viel wie die ärmsten 20%. Heute beträgt die Differenz mehr als das 80fache. Und das reichste 1% der Weltbevölkerung hat so viel wie die ärmeren drei Milliarden Menschen.
[6] Beispiel: Die globale Landwirtschaft könnte zwölf Milliarden Menschen normal ernähren. Dennoch sterben täglich über 100.000 Menschen an Hunger, fast eine Milliarde sind permanent unterernährt.
[7] Siehe dazu Maloche nach Maß
[8] Insbesondere die Burn-Out-Problematik nimmt bekanntlich zu. Der Zusammenhang zwischen steigenden Anforderungen am Arbeitsplatz, wachsendem Stress, zunehmendem Konkurrenzdruck und Erkrankungen ist dabei erwiesen.
[9] Siehe Taylorismus 3.0
[10] Siehe Die Vermessung der Arbeitswelt
[11] Nachweislich und offensichtlich besteht ein Zusammenhang zwischen verkürzten Arbeitszeiten und längerer Lebenserwartung.
[12] Interessanterweise war es der „frühsozialistische“ Unternehmer Robert Owen, der um 1800 die Arbeitszeit in seiner Baumwollspinnerei im schottischen New Lanark von 13-14 Stunden auf 10,5 Stunden reduzierte, und aufzeigte, dass Arbeitszeitverkürzung und soziale Angebote zu einer höheren Produktivität führen können.
[13] Freilich muss das gesamtkapitalistische Interesse nicht vom Unternehmer an sich erkannt werden. Gerade in Verwertungskrisen neigt das Kapital zu kurzfristigen Profitstrategien, die sich negativ auf den Nachfrage-Angebot-Zyklus auswirken und mittelfristig den Unternehmen auf die Füße fallen. Der momentane Trend der Prekarisierung und Wiederanhebung der Arbeitszeit kann als ein solcher Ausdruck gewertet werden.
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