Luciano Romero sollte im September 2005 vor dem Permanenten Tribunal der Völker in Bern aussagen. Das unabhängige Gremium, vor dem auf internationaler Ebene Menschenrechtsverbrechen angeklagt werden, ist in Bern angesiedelt. Als Romero zur Unternehmens- und Gewerkschaftspolitik des Nestlé-Konzerns in Kolumbien aussagen soll, bleibt sein Stuhl leer. Der ehemalige Angestellte von Nestlé und engagierte Gewerkschafter wird am 10. September mit 50 Messerstichen ermordet. Die Täter sind Paramilitärs der lokalen Gruppe AUC (Autodefensas Unidas de Colombia). Dem Konzern Nestlé wird in diesem Falle nun erstmals eine Mittäterschaft am Mord eines Gewerkschafters vorgeworfen.
In Kolumbien herrscht seit Jahrzehnten ein blutiger Krieg zwischen der Armee und nichtstaatlichen bewaffneten Akteuren, zu denen linksgerichtete Guerillatruppen und rechte Paramilitärs zählen, die allesamt in den florierenden Drogenhandel verwickelt sind. Die meisten Opfer in diesem Konflikt sind jedoch Zivilisten.
In den vergangenen 25 Jahren töteten staatliche Sicherheitskräfte oder rechte Paramilitärs mehr als 2500 Gewerkschaftsmitglieder. Damit hält der lateinamerikanische Staat einen traurigen Spitzenplatz unter den für GewerkschafterInnen gefährlichsten Ländern. Arbeits- und MenschenrechtsaktivistInnen sind Bedrohungen und gewalttätigen Übergriffen durch Paramilitärs, aber auch durch die Guerilla ausgesetzt. Die staatlichen Stellen können dies nicht verhindern und sind sogar selbst in Übergriffe verwickelt. Deutlich wird dies besonders bei absurden Schauprozessen gegen AktivistInnen. Die Kriminalisierung gewerkschaftlicher und politischer Arbeit ist in Kolumbien ein beliebtes Instrument um soziale Bewegungen und Proteste zu zerschlagen. Amnesty International geht davon aus, dass es eine systematische militärisch-paramilitärische Strategie gibt, die zum Ziel hat, gewerkschaftliche Arbeit zu unterbinden. Mittel zum Zweck sind Einschüchterungen, Drohungen und gewaltsame Übergriffe. Mit diesen weit verbreiteten und koordinierten Methoden liegen nicht nur Verletzungen der Menschenrechte, sondern auch internationaler Arbeitsrechtskonventionen vor.
Im konkreten Fall von Luciano Romero erhielt der bei der Nestlé-Tochter Cicolacangestellte Aktivist lange vor seiner Ermordung Todesdrohungen von der AUC. Romero arbeitete in einer Milchpulverfabrik von Nestlé-Cicolacin Valledupar, einer Kleinstadt in der nördlichen Provinz Cesar. Er engagierte sich für die Rechte politischer Gefangener, vertrat im Betrieb bei Kollektivverhandlungen die Belegschaft, war Mitglied des örtlichen Vorstandes der Lebensmittelgewerkschaft Sinaltrainal. Diese Aktivitäten führten schließlich 2002 zu seiner Entlassung. Trotzdem geht das Berliner Menschenrechtsbüro ECCHR davon aus, dass der Nestlé-Konzern dafür verantwortlich ist, dass Romero überhaupt ins Visier der Paramilitärs geriet:
Als 1999 im Cicolac-Werk ein Bombenanschlag verübt wurde, unterstellten örtliche Nestlé-Manager dem Gewerkschafter die Urheberschaft. Ebenfalls ohne jeglichen Beweis bezichtigten Cicolac-Funktionäre Romero und andere Sinaltrainal-Mitglieder der Mitgliedschaft in der Guerilla. In einem durch den jahrzehntelangen Bürgerkrieg geprägten Klima, in einer Region, in der die rechten AUC-Schwadronen noch immer eine bedeutende Macht darstellen, gleicht dies einem Todesurteil. Aufgrund der Drohungen beantragte die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte Schutz für Romero. Für den Schutz von GewerkschafterInnen war bis zu seiner Auflösung der kolumbianische Geheimdienst DAS zuständig. Inzwischen wurde bekannt, dass der DAS E-Mails zwischen Romero und seinen Anwälten sowie dem Tribunal der Völker überwachte. Zudem steht fest, dass Mitarbeiter des DAS Listen von zu schützenden Personen an Paramilitärs weiterreichten. Es ist daher wenig verwunderlich, dass die AUC in Valledupar von Geheimagenten über die Aktivitäten Romeros informiert wurde. Das Schicksal Romeros ist kein Einzelfall: Seit 1986 starben mehr als 20 Mitglieder der Sinaltrainal durch Verbrechen, 13 von ihnen arbeiteten für ein Nestlé-Unternehmen. Diese permanente Bedrohung schränkt gewerkschaftliche Aktivitäten massiv ein und kommt daher den Interessen der Fimen entgegen.
Hand in Hand mit den Paras
Doch existiert überhaupt eine Verbindung zwischen paramilitärischen Gruppen und dem Nestlé-Konzern?
Vor Gericht sagte ein ehemaliger Anführer der AUC aus, Cicolac habe Geld an seine Organisation gezahlt. Zudem gibt es traditionell enge Verbindungen zwischen Großgrundbesitzern, in Valledupar die Milchbauern, und den Paramilitärs. So gehörten zu den Lieferanten von Cicolac führende Paramilitärs der Region Cesar. Sinaltrainal wies die Schweizer Zentrale mehrfach auf diese Verknüpfungen hin, Nestlé wies jede Verantwortung zurück.
Doch gerade die Verbindung von Großgrundbesitzern und Paramilitärs wurde vielen GewerkschafterInnen zum Verhängnis. Eigentlich zeichnete sich die Cicolac-Fabrik durch überdurchschnittlich hohe Löhne und gute Sozialleistungen aus, doch im Frühling 2002 begann sich dies zu ändern. Die Geschäftsführung verlängerte den Vertrag mit Sinaltrainal nicht mehr, worauf die Gewerkschaft mit einem Arbeitskampf drohte. Die Nestlé-Cicolac-Führung informierte in der Folge die örtlichen Milchproduzenten: Bei höheren Löhnen müsse der Milchpreis sinken und man warnte, die Fabrik könne in eine andere Region verlegt werden. Der Streik wurde abgeblasen, als für Paramilitärs typische Todeslisten mit den Namen von Gewerkschaftsführern auftauchten. Daraufhin nahm Nestlé eine völlige Umstrukturierung des Konzerns vor: unter fadenscheinigen Argumenten wurden neun Gewerkschafter entlassen, einer von ihnen Romero. 2003 verkaufte Nestlé 50% der Fabrik an den neuseeländischen Konzern Fonterra. Das Werk wurde umbenannt, die komplette Belegschaft gekündigt. Die neuen MitarbeiterInnen erhielten natürlich einen weitaus geringeren Lohn, die Gewerkschaft Sinaltrainal war aus dem Betrieb verdrängt.
Prozess in der Schweiz
Für den Mord an Luciano Romero verurteilte ein kolumbianisches Gericht inzwischen fünf führende Paramilitärs. Ermittlungen, die Mitglieder des Geheimdienstes DAS betreffen, sind jedoch eingeschlafen. Während des Romero-Prozesses ordnete der Richter an, zudem die Verantwortung der Nestlé-Cicolac-Manager und des Konzerns als Ganzes zu prüfen. Auch in diese Richtung wurde nie ernsthaft ermittelt. Nun hat die auf Menschenrechte spezialisierte Anwaltsgruppe European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) zusammen mit Sinaltrainal eine Anzeige gegen führende kolumbianische Manager und die Schweizer Konzernspitze eingereicht. Die Anklage lautet auf fahrlässige Tötung wegen Unterlassens. Ein eidgenössisches Gericht soll jetzt die zwei zentralen Vorwürfe prüfen: Zum einen habe Nestlé trotz Kenntnis der Situation keine Schutzmaßnahmen für GewerkschafterInnen getroffen. Zum anderen verschärften die örtlichen Geschäftsführer die Lage noch, indem sie Romero als Unterstützer der Guerilla und als den Drahtzieher des Anschlags denunzierten. Dieses Verhalten widerspricht jedoch den Corporate Business Principles, in denen sich Nestlé zur Einhaltung der ILO-Normen zu Arbeits- und Gewerkschaftsrechten verpflichtet. Dies kann nicht an die lokalen Unterorganisationen des Konzerns verlagert werden, sondern unterliegt der zentralen Kontrolle. Damit gibt es laut ECCHR klar eine Mitschuld des Konzerns am Tod Romeros.
Sollte es in diesem Fall tatsächlich zu einer Verurteilung kommen, hätten die Schweizer RichterInnen einen Präzedenzfall geschaffen, dessen Folgen auch andere multinationale Unternehmen fürchten müssten.