Nicht Arbeit macht das Leben schön, sondern deren Abwesenheit. Dennoch steht die Freizeit nach wie vor im Schatten der Arbeit
Denn nicht nur das Credo eines Schäuble, der jüngst als neuer Chef der Eurogruppe im Gespräch war, lautet: Wer länger lebt, muss länger arbeiten. Früher sorgten fünf Erwerbsfähige für einen Rentner, 2030 würden es nur noch zwei sein, so wird prognostiziert. Gleichzeitig verlängert sich mit der Lebenserwartung der Zeitraum, in dem eine Rente bezogen wird. Also beschloss die große Koalition aus SPD und CDU schon 2007 die Rente mit 67. Jüngst verabschiedete man auch in Polen ein solches Gesetz. Die OECD setzt nun noch eins drauf und dachte laut über einen Automatismus nach: die Kopplung des Rentenalters an die Lebenswartung.
Wie ist dieser Rollback beim Rentenanspruch aufzuhalten? Schließlich kritisieren die Gewerkschaften zu Recht, dass durch Erwerbslosigkeit „Ü50“ Rentenkürzungen im Alter vorprogrammiert seien. Zumal in den belastenden Berufen, die einhergehen mit geringerem Verdienst (und entsprechend Rente) und mit einer niedrigeren Lebenserwartung. Bereits 2006 schätzte das Rostocker Zentrum zur Erforschung des demografischen Wandels den Unterschied zwischen Besser- und Geringverdienern auf gut zweieinhalb Jahre. Aber faktisch fundierte Argumente reichen hier nicht aus. Die Rentendebatte erweist sich als ein Raumgreifen der Arbeit in der Gesellschaft.
Die Gewerkschaftsbewegung hatte seit jeher ein gespaltenes Verhältnis zur Arbeit, die das Individuum notwendigerweise zur Gemeinschaftlichkeit nötigt – und es prägt. Erst recht im Betrieb. Dort lässt sich kaum jemand gern vorhalten, ein Drückeberger zu sein. Das hat weniger mit Arbeitsethos als mit Kollegialität zu tun. Denn vor allem in kleinen und mittleren Betrieben, in denen immerhin 80 Prozent der Beschäftigten arbeiten, fällt ein Ausfall häufig direkt auf die KollegInnen zurück. Gleichzeitig wird kaum jemand behaupten, nichts lieber zu tun als zu arbeiten. Ungeachtet der weichen Effekte von Arbeit, wie soziale Anerkennung und Selbstwertgefühl, kann es im kapitalistischen Normalbetrieb fremdbestimmter Lohnarbeit gar nicht anders sein.
Zwar sind die Zeiten theoretischer Debatten inzwischen Vergangenheit: Das „Manifest gegen die Arbeit“ und das „Manifest der glücklichen Arbeitslosen“ bilden, zumindest in der radikalen Linken, das Sediment eines breiten Konsens, wirbeln aber schon lange keinen Staub mehr auf. Aber Stellenwert und Verständnis von Arbeit und Freizeit, von Notwendigkeit und Freiheit spielen auf der politischen Tagesordnung noch immer eine Rolle. Etwa bei der Rentenfrage. Aber auch in der schwelenden Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen, das nach linkem Verständnis das „Recht auf Faulheit“, auf Müßiggang und Kreativität absichern und den kapitalistischen Druck auf die Einzelnen lindern soll. Eine Abkehr vom grobschlächtigen Götzen Arbeit wird auch unter Ökonomen diskutiert. Dort sucht man derzeit nach einem alternativen Wohlstandsmaßstab zum Bruttoinlandsprodukt und bezieht etwa auch die „Qualität der Arbeit“ und die Freizeit mit ein.
Natürlich, die Überspitzung auf „Leben ohne Arbeit“ ist wahnwitzig. Ebenso wahnwitzig ist jedoch ein Voluntarismus des Fleißes. Wer in der Euro-Krise mit dem Finger auf die „faulen Griechen“ und sonstigen Südländer zeigt, offenbart sich als weltfremd. Tatsächlich lag die Wochenarbeitszeit in Griechenland vor der Rezession bei gut 44 Stunden, in der Bundesrepublik hingegen bei unterdurchschnittlichen 41 Stunden. So liegt die Jahresarbeitszeit hierzulande auf dem Niveau von 1998 – bei 1.660 Stunden. In Griechenland sind es 500 Stunden mehr und durchschnittlich sieben Tage weniger Urlaub als für die ach so fleißigen Deutschen.
Betrachtet man die spanische Volkswirtschaft, die nach einem (arbeits-)intensiven Bauboom vor allem unter einer Kettenreaktion leidet, die auf dem Immobilienmarkt ihren Ausgang nahm, könnte man durchaus zu einem anderen Schluss kommen: Es wurde nicht zu wenig gearbeitet, sondern zu viel! Denn Arbeit um der Arbeit willen lohnt sich nicht. In diesem Sinne ist wohl auch David Graeber zu verstehen, der in einer Diskussion mit Steinmeier (SPD) in Berlin betonte: „Wenn Schulden ein Versprechen auf zukünftige Arbeit sind, dann sollten wir über die Schulden reden.“ Letztlich stellt sich damit die Frage des Primats der Gesellschaft über die Politik.
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