Gewerkschaftliche und genderpolitische Fragen müssen miteinander diskutiert werden - ein streitbarer Diskussionsversuch
Das Thema Gender ist in die politische Kultur längst eingezogen. Jedoch ist es nach wie vor ein umstrittenes, ein umkämpftes Feld. Verschiedene feministische Strömungen, soziale Bewegungen bis hin zu Konservativen und Maskulisten – alle pflegen munter ihre, untereinander kontroversen Diskurse. Auch in Gewerkschaften ist das Thema durchaus präsent. Historisch nicht ohne Mühen behaftet, wird in vielen Gewerkschaften mittlerweile eine explizite Frauen-, Gleichstellungs- oder Genderpolitik betrieben. Beispiele wie ver.queer, ein Netzwerk von Transgender, Lesben, Schwulen und Bisexuellen innerhalb von ver.di zeugen von der Existenz und der Aneignung von Gewerkschaft im Kontext von Sexualität und Gender. Wie hoch dabei die Ausstrahlungskraft solcher Ansätze in DGB-Gewerkschaften ist, bei denen ein Großteil der Mitglieder inaktiv ist, ist fraglich. Zumindest haben begrüßungswerte genderpolitische Gewerkschaftsansätze eher weniger Tragweite, schaut man auf die standorttreue DGB-Politik, die gerade in der Krise jene Sektoren von Leiharbeit und prekärer Beschäftigung begünstigt hat, von der auch immer mehr Frauen betroffen sind.
In Deutschland ist die Organisierung von Frauen mit 32 Prozent in den DGB-Gewerkschaften relativ gering. Durch die lange Zeit dominierende starke Orientierung an Stammbelegschaften und der Vernachlässigung prekärer Wirtschaftszweige insbesondere mit atypischer Beschäftigung ist dies jedoch wenig verwunderlich. Hier versuchen SyndikalistInnen seit einigen Jahren, wie mit der Kampagne „Keine Arbeit ohne Lohn“ und der Organisierung prekär Beschäftigter Profil zu zeigen.
Schaut man auf Buchtitel wie von Michaela Rosenberger, die in ihrem Buch Habt ihr keine Männer über engagierte Gewerkschafterinnen in der NGG schreibt, ist eine „Frauengewerkschaft“ bereits anscheinend jene, in der 40 Prozent der Mitglieder Frauen sind. Doch gerade in einzelnen Branchengewerkschaften zeichnet sich ein anderes Bild. Auch wenn in vielen Gewerkschaften Männer einen großen Mitgliederanteil ausmachen, was insbesondere bei Branchengewerkschaften wie der IG BAU oder der GdP auffällt, schlagen sich klassische Berufsrollenverteilung heute ebenso auf die Zahlen der weiblichen Mitglieder nieder. Gerade in den Bereichen Gesundheit, Bildung und öffentlicher Dienst ist die Mitgliederstruktur sehr ausgeglichen. So hatte die GEW im Jahr 2003 sogar ca. 68 Prozent weibliche Mitglieder, ver.di 49 Prozent und selbst die Ärztegewerkschaft „Marburger Bund“ hat mittlerweile mehr weibliche als männliche Mitglieder. Hier gilt es hinzuschauen, wie sich dieses Verhältnis auf die Praxis auswirkt und welche Bedingungen dafür ausschlaggebend sind, ein ausgewogenes Mitgliederverhältnis zu erlangen.
Denn leider scheint es innerhalb des deutschen Anarchosyndikalismus mit solchen Entwicklungen noch zu hapern. Die Mühen von AktivistInnen dies zu ändern, sollten deutlichere Beachtung finden. Es stellt sich ganz allgemein die Frage, warum Gewerkschaften oftmals mehr das Aktionsfeld von Männern darstellen. Die Tatsache, dass Gewerkschaften in denen Männer dominieren, auf den ersten Blick nicht sonderlich attraktiv erscheinen, ist oftmals ein Verhängnis aus dem Organisationen nur schwer ausbrechen können. Hier hängt viel von der gewerkschaftlichen Kultur ab.
Schließlich vermisst man auch innerhalb der hiesigen Syndikate vielerorts ein ausgewogenes Verhältnis in der Mitgliederstruktur – Marginalität hin oder her. Zwar ist in der aktuell gültigen Prinzipienerklärung aus den 90er Jahren ein ganzer Abschnitt zum Thema „Frauen“ und damit verbundenen Unterdrückungsverhältnissen sowie Patriarchatskritik enthalten, jedoch führte auch dies eher weniger zu gewünschten Effekten. Vielmehr war es die Theoretisierung zuvor erfolgter praktischer Arbeit und Diskussionen aus den 80ern, als sich die Arbeitsgruppe „Frau und FAU“ konstituierte. Neben inhaltlichen Debatten, die Kritik an Patriarchat und Kapital aus anarchistischer wie klassenkämpferischer Sichtweise zusammenführten, gab es auch praktischen Erfahrungsaustausch sowie die Zielformulierung einen weiblichen Mitgliederanteil in der damaligen FAU von 30 Prozent zu erreichen.
Darüber hinaus hat der aktuelle Anarchosyndikalismus in seiner noch jungen Vergangenheit kaum noch Ideen entwickelt und Impulse gesetzt, die Eindruck und Wirkung hinterlassen hätten. Und das trotz der Tatsache, dass in den letzten Jahren innerhalb der FAU viele positive Entwicklungen und Prozesse stattgefunden haben und in Syndikaten wie beispielsweise Berlin eine starke gewerkschaftliche Praxis und damit Mitgliederwachstum entstanden ist. Dabei blieben andere Felder wie Geschlechterpolitik öfters auf der Strecke. Dabei zeigen gerade Diskussionen wie bei der Podiumsdiskussion zur DA-Ausgabe „Sex Works“ mit einem überfüllten Berliner Gewerkschaftslokal, wie viel Raum, Interesse und Möglichkeiten für gewerkschaftliche Intervention in Arbeitsbereichen besteht, in denen auch Genderfragen präsent sind – auch wenn es in diesem Fall um das anziehungsstarke Thema der Sexarbeit ging.
Wichtig für die Aneignung von Genderthemen in die gewerkschaftliche Praxis ist es Fragen zu stellen, Antworten zu suchen und die Themen ebenso sichtbar zu machen wie andere soziale Fragen auch. Trotz der gewerkschaftlichen Priorität sollten SyndikalistInnen darauf achten eine Breite an Themenfeldern im gewerkschaftlichen Kontext zu bearbeiten. Weder zu stark ökonomische noch anarchistische Fokussierungen haben signifikante Entwicklungen in Genderfragen angestoßen, womit Chancen nach einem weitergehenden Profil ungenutzt blieben.
Dass Gewerkschaften trotz einzelner Aktivitäten eine eher sekundäre, bisweilen auch reagierende Rolle in den Debatten einnehmen, ist bei einer entsprechenden Analyse der sozioökonomischen Dynamiken fatal. Auch hier gilt es vor der eigenen Haustür zu kehren und sich insbesondere im Rahmen der gewerkschaftlichen Kampagnenpolitik zu fragen, wie man beispielsweise Themen wie „equal pay gap“ (nicht) behandelt hat, die zum Standard syndikalistischer und aktueller Positionierung gehören sollten. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit der Reproduktionssphäre (siehe Hintergrund).
Die verschiedenen Arbeitsbeziehungen wiederum zementieren durch ihr ökonomisches Gewicht die gesellschaftlichen und sozialen Beziehungen. Vorurteile und Rollenmuster, die sich ebenso auf der Arbeit verfestigen, erschweren es rein politisch orientierter Genderarbeit diese Muster im Alltag aufzubrechen. Auch hier zeigt sich erneut, eine gewerkschaftliche Eingliederung dieses Feldes ist inhärent wichtig. Ganz klassisch geht es um die Frage der Veränderung von oben durch Politik oder der Veränderung an der Basis durch Selbstorganisierung. Syndikalistische Genderarbeit, die sich am Arbeitsplatz beispielsweise klar gegen (sexistische) Diskriminierung und für gleichwertige Arbeitsverhältnisse einsetzt, wirkt auch auf Belegschaften. Genderthematiken, klassische wie weitergehende, gehören als gesellschaftliche Debatten ebenso in die Gewerkschaften, die als gesellschaftliche Akteure handeln wollen Im alltäglichen Umgang in der Lohnarbeit müssen jene Aspekte solange präsent sein, bis sie tatsächlich obsolet geworden sind, was den Standpunkt der Kultur-, Sozial- wie eben auch der ökonomischen Kampforganisation stärkt.
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