Arbeitskämpfe müssen auch vom Standpunkt der Reproduktion aus geführt werden
Arbeit ist ein unabdingbares Mittel menschlicher Bedürfnisbefriedigung und gesellschaftlicher Entwicklung. Und sie ist ein umkämpftes Feld. Wer welche Arbeit macht und wie diese materiell und ideell bewertet wird, bestimmt in kapitalistischen Ökonomien maßgeblich über die Verteilung von gesellschaftlichem Reichtum, von Anerkennung und von Lebensperspektiven. Arbeitsbeziehungen sind daher ein Ort ständiger gesellschaftlicher Auseinandersetzungen.
Laut der letzten Regierungsstatistik zur Zeitverwendung (BMBFSFJ 2003) wurden 2001 in der BRD 56 Mrd. Stunden Erwerbsarbeit erbracht. Dem standen 96 Mrd. Stunden unbezahlter Arbeit gegenüber. Frauen verrichten laut dieser Studie über drei Fünftel der gesamten unbezahlten Arbeit. Sie geben an, überwiegend Haushaltsarbeit, Einkäufe und Betreuungsarbeit zu übernehmen. Bei Männern ist der Anteil dieser Tätigkeiten an unbezahlter Arbeit jeweils geringer, dafür widmen sie ehrenamtlichen und handwerklichen Tätigkeiten mehr Zeit.
Mit der Entwicklung des industriellen Kapitalismus und der bürgerlichen Lebensweise hat sich die Trennung der Arbeit und damit auch der Vergesellschaftung in die zwei Sphären Produktion und Reproduktion durchgesetzt. In einer bürgerlich-kapitalistischen Ökonomie hat Arbeit also verschiedene gesellschaftliche Formen. Das Privateigentum an Produktionsmitteln und die moderne Fabrikarbeit brachten einen Zugriff auf menschliche Arbeitskraft mit sich, der zwischen lohnvermittelter und nicht lohnvermittelter Arbeit unterscheidet. Für die Reproduktion der in der Produktionssphäre verbrauchten Arbeitskraft interessiert sich das Kapital nicht. Die dafür nötige Arbeit wird nicht als solche bewertet und den Einzelnen überlassen, solange sie nicht direkt Mehrwert schaffend organisiert ist. Parallel dazu etablierten sich bürgerliche Gesellschaftsformen, die an die vorkapitalistischen patriarchalen Strukturen anknüpften und eine Vergeschlechtlichung der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit durchsetzten; darunter die im eigenen Privathaushalt zusammenlebende heterosexuelle, eheliche Kleinfamilie als hegemoniale Lebens- und Reproduktionsweise (vgl. Beer 1990).
Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit wurden zum Scharnier, das die in den zwei Sphären arbeitenden Subjekte in reproduktive Einheiten aneinander band. Reproduktionsarbeit wurde durch die Klassifikation als private und im eigenen Haushalt erbrachte Nicht-Arbeit, als „Liebesdienst“, abgewertet, wie es Gisela Bock und Barbara Duden (1977) formulierten. Die gesellschaftliche Produktivität von reproduktiver Arbeit wurde in diesem Zuge negiert; durch die Privatisierung wurde sie quasi entpolitisiert. Nicht zuletzt der Staat setzte durch, dass weibliche Arbeitskraft (zusätzlich zur Lohnarbeit) in die Familie verbannt und dort zur unbezahlten Übernahme der reproduktiven und regenerativen Aufgaben herangezogen wurde. Das griffigste Beispiel hierfür ist die bis 1977 gültige Vorschrift des Bürgerlichen Gesetzbuches der BRD, wonach Frauen nur zur Erwerbstätigkeit berechtigt waren, solange sie ihre Arbeit in Ehe und Familie nicht vernachlässigten. Tarifkompromisse zwischen Gewerkschaften und Kapital, die eine ungleiche Behandlung von Männern und Frauen ermöglichten, taten ein Übriges. Zunächst erfolgte dies ganz direkt über Abschläge für Frauenlohngruppen. Nachdem diese Praxis in der BRD 1955 vom Bundesarbeitsgericht verboten wurde, wurden sogenannte Leichtlohngruppen eingeführt. Aus direkter wurde indirekte Lohndiskriminierung, indem Frauen diesen Einkommensgruppen überproportional häufig zugeordnet wurden. Mittels solcher Strukturen erlangten Frauen oftmals nur einen ungleich prekäreren Erwerbstätigenstatus als Männer, wodurch ihnen eine eigenständige Existenzsicherung erschwert und patriarchale Abhängigkeitsbeziehungen gefestigt wurden. Bis heute ist Teilzeiterwerbsarbeit unter Frauen deutlich verbreiteter als unter Männern. Dabei schränken vor allem Mütter die Erwerbstätigkeit wegen familiärer Arbeit ein, während dieses Motiv bei Vätern eine viel geringere Rolle spielt (BMFSFJ 2012). In ökonomischen Krisenzeiten sind Frauen oft überproportional von Entlassungen betroffen: staatlich subventionierte Kurzarbeit bringt die Männerdomäne Metall- und Elektroindustrie über die erste Krisenphase 2009, Schlecker-Verkäuferinnen müssen 2012 selbst sehen, wo zukünftig das Einkommen herkommt.
An gewerkschaftlichen Kämpfen waren immer auch Frauen beteiligt, obwohl ihnen bis ins 20. Jahrhundert viele politische Rechte vorenthalten wurden. Die Kämpfe gegen die direkte Lohndiskriminierung führten sie teilweise alleine, wenn ihnen männliche Kollegen und männlich dominierte Gewerkschaften (zunächst) die Solidarität verweigerten. Relativ bekannt dafür ist der Kampf von migrantischen Arbeiterinnen beim Automobilzulieferer Pierburg AG in Neuss. Dieser begann 1973 als wilder Streik und mit ihm wurde letztlich die Abschaffung der Lohngruppe 2 durchgesetzt, die kurz zuvor zwischen Betrieb und Belegschaftsvertretung vereinbart worden war. Mit gewerkschaftlicher Unterstützung der IG Druck und Papier klagten um 1980 mehrere Frauen über Jahre und am Ende erfolgreich gegen die geschlechtliche Lohndiskriminierung im Gelsenkirchener Großfotolabor Heinze. In dem Spielfilm Made in Dagenham (Nigel Cole, 2010) wird die Geschichte des Streiks von Näherinnen bei Ford in Dagenham/UK erzählt, die sich 1968 gegen ihre Einstufung als unqualifizierte Arbeiterinnen wehrten und letztlich den Anstoß gaben für die Einführung des Equal-Pay-Acts in Großbritannien 1970. Dieser Film zeigt aber auch, dass die Frauen nicht nur den Konzern gegen sich hatten, sondern im Prozess ihrer Politisierung und Solidarisierung mit dem Widerstand umgehen mussten, der ihnen aus ihrem persönlichen Umfeld entgegen schlug. Ihre Ehemänner, Väter, Brüder und Söhne nahmen sie entweder einfach nicht ernst oder sie versuchten, ihre politische Arbeit zu verhindern. So verband sich für die kämpfenden Frauen der Einsatz für ihre eigenen arbeitspolitischen Interessen mit der Widersetzung gegen vorherrschende Weiblichkeitsnormen, die sie sprachlos und politisch passiv machen sollten.
Es ist diese Notwendigkeit sowohl im Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit als auch in patriarchalen Strukturen für ihre Interessen zu kämpfen, den italienische Feministinnen in den 1970er Jahren als doppelte Militanz bezeichneten. Es ging darum, „zweierlei Kämpfe zu führen: einen direkt gegen das Kapital, den anderen gegen die patriarchale Kultur und ihre Folgen, die sich wiederum das Kapital zunutze gemacht und zynisch ausgebeutet hat“ (Ravaioli 1977: 163). Mit der Strategie der doppelten Militanz wendeten sie sich gegen ein reduktionistisches Herrschaftsverständnis der Arbeiterbewegung, in dem das Kapitalverhältnis und das Privateigentum als Grund aller Herrschaft und Ungleichheit galten und patriarchale Strukturen nicht des Kampfes wert waren bzw. die Bewegung selbst durchzogen. Mit dieser Annahme sind patriarchale Unterdrückungsverhältnisse, das Private und die Lebensweise in Teilen der alten und Neuen Linken oftmals zum Nebenwiderspruch erklärt worden.
Diese Sichtweise war nicht immer vorherrschend. Alexandra Kollontai setzte sich für die Überwindung sexueller Moralvorstellungen im revolutionären Russland ein, die die weibliche Autonomie einschränkten und trieb die Kollektivierung von Arbeiten voran, die bis dato in der Familie stattfanden. Damit sollte Frauen der Zugang zu gesellschaftlicher Beteiligung erleichtert werden. Bei August Bebel, teilweise auch bei Clara Zetkin, fand sich noch ein dialektisches Verständnis von Frauenemanzipation, in dem die ökonomische Unabhängigkeit vom Ehemann und die Überwindung der bigotten Sexualmoral als Schritte der Befreiung verstanden wurden, die sich auf eine umfassende Utopie sozialer Revolution bezogen. Daraus wurde erst in der späteren Arbeiterbewegung die Verkürzung auf eine doppelte Unterdrückung von Frauen durch das Kapital: als Verkäuferinnen ihrer Arbeitskraft und als Geschlechtswesen. Und die Schlussfolgerung: Befreiung gibt es erst im Sozialismus, also nach der Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln. Erst diese Ansicht begründete eine Absage an feministische Projekte bzw. an viele politische Projekte, die nicht unmittelbar auf die Aufhebung des Widerspruchs zwischen Kapital und Proletariat zielten. Vielen marxistischen Organisationen galten die Lohnabhängigen als die treibende Kraft sozialer Veränderungen, als das kollektive revolutionäre Subjekt. Frauen waren insoweit als politische Subjekte relevant, als sie Lohnarbeiterinnen waren. Sobald sie sich als patriarchal Unterdrückte organisierten, wurde ihnen der Vorwurf der Spalterei und der Orientierung an Nebenwidersprüchen gemacht (vgl. Haug 2000).
Auch unbezahlte Arbeit als Produzentin der Ware Arbeitskraft spielt durchaus eine Rolle in der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie. In der Analyse des Doppelcharakters der Arbeit beschreibt Marx in kritischer Weise die Zentralisierung der Lohnarbeit in der politischen Ökonomie und den machtvollen Prozess, durch welchen alle anderen Lebensbereiche dem Zwang zur Lohnarbeit untergeordnet werden. Es ist demgegenüber als verkürzte Kritik zu verstehen, wenn die (männliche) Lohnarbeit in einer Weise ins Zentrum der Politik der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften rückte, in der die unbezahlte Reproduktionsarbeit nicht als Bestandteil der umkämpften Arbeit, sondern als Privatsache bzw. als Vorbedingung statt als Effekt kapitalistischer Arbeitsteilung und Verwertung galt.
Zwischen der Frauenbewegung und der Arbeiterbewegung bzw. der Neuen Linken führte der ab den späten 1970ern geführte Kampf um die Definition von Arbeit und von politischen Schauplätzen der Emanzipation zu Brüchen und Verwerfungen. In kontroversen Debatten um die ökonomische Bedeutung der unbezahlten Hausarbeit und in Auseinandersetzung mit einem lohnarbeitsbezogenen Arbeits- und Ausbeutungsbegriff brachten Feministinnen ein Verständnis von Arbeit in Stellung, das die gesamte gesellschaftlich notwendige Arbeit, d.h. sowohl bezahlte als auch unbezahlte Tätigkeiten umfasst – und patriarchale Strukturen im Hier und Jetzt markierte. Mit einem erweiterten Arbeitsbegriff kritisierten und politisierten sie Ausbeutung und soziale Herrschaft nicht nur im unmittelbaren Verhältnis von Kapital und Arbeit, sondern auch in dem nur scheinbar außerhalb des Kapitalverhältnisses stehenden Bereich der Reproduktionsarbeit im Privathaushalt und in privaten Beziehungen. Feministinnen haben das umkämpfte Feld Arbeit neu abgesteckt, indem sie als produktive Arbeit definierten, was vorher durch Nichtentlohnung und Nichtbeachtung als Teil gesellschaftlicher Produktivität unsichtbar geblieben war (Dalla Costa 1973). Sie haben das Verständnis von Vergesellschaftung in Arbeitsbeziehungen verändert, indem sie den Blick auf Arbeitsteilung als ein Zwangsverhältnis erweiterten: Sie stellten nicht nur die Frage, wie Frauen aufgrund ökonomischer Abhängigkeit von Männern zu Haushaltsarbeit, Sorgearbeit, emotionaler Arbeit etc. gezwungen werden, sondern auch nach den aktiven, handlungsmächtigen Aneignungen der gesellschaftlichen Bedingungen, die durch die Identifikation mit geschlechtlichen und sexuellen Normen stabilisiert werden (Haug 1980, Boudry et. al. 1999). Feministinnen dezentrierten sowohl das Subjekt als auch den Gegenstand von Arbeitskämpfen. Dies birgt angesichts der aktuellen neoliberalen Entwicklungen auch heute wichtige politische Ansätze – einige Entwicklungen erfordern jedoch auch ein Weiterdenken.
Es ist als Erfolg feministischer Interventionen zu sehen, dass die privat und familiär erbrachte reproduktive Arbeit heute als Arbeit bzw. als gesellschaftlich notwendige Tätigkeit anerkannt wird. Diese Anerkennung kann aber ebenso einer konservativen geschlechterpolitischen Motivation folgen, wenn etwa derzeit die Familienministerin die gesellschaftliche Bedeutung der häuslichen Bildung und Erziehung von Kindern hervorhebt, um mit dem Betreuungsgeld die Mutterideologie zu zementieren. Insbesondere mit Blick auf die staatliche Familienpolitik und auf Bereiche der Sozialpolitik wird deutlich, wie darin unbezahlte Arbeit und freiwilliges Engagement heute zwar diskursiv sichtbarer und höher bewertet werden, eine materielle Existenzsicherung lässt sich damit aber nicht bestreiten. Im Gegenteil: Staatliche Investitionen in soziale Infrastruktur sind auf die Steigerung der Erwerbstätigkeit ausgerichtet und einkommensabhängige Transferleistungen festigen die soziale Ungleichheit, statt Arbeit und Reichtum umzuverteilen. Lohnarbeit wird weiterhin als das Wundermittel zur Bewältigung der Erwerbslosigkeit, der Finanzierungsprobleme der Sozialsysteme und des demographischen Wandels gepriesen. Die Erhöhung der Erwerbstätigenquote von Frauen, insbesondere Müttern, ist dabei in der BRD und
EU-weit der präferierte Weg. Nur bei der Gruppe der Älteren wird ein vergleichbares Potenzial zur Steigerung der Erwerbstätigenquote ausgemacht (BfA 2011).
Dieses Paradigma prägt heute maßgeblich die krisenhafte politische Regulierung der Reproduktionsarbeit. Als Krise sozialer Reproduktion bezeichnet Gabriele Winker (2012) „den zugespitzten Widerspruch zwischen Profitmaximierung einerseits und Reproduktion der Arbeitskraft andererseits“. In den alltäglichen Erfahrungen hat die Krise zum einen Ursachen in der Erwerbssphäre, wo prekäre Beschäftigung zunimmt und der Leistungsdruck und die Arbeitszeiten steigen. Zum anderen trifft dies im Reproduktionsbereich auf eine äußerst unzureichende staatliche Erbringung von sozialen Dienstleistungen im Pflege-, Erziehungs-, Gesundheits- und Bildungsbereich. Insbesondere bei Menschen mit Sorgeverpflichtungen für Kinder und unterstützungsbedürftige Erwachsene steigen alltägliche Zeitkonflikte und Existenzsorgen. Frauen sind davon zwar überproportional betroffen, die Auswirkungen sind aber ebenso deutlich einkommensabhängig. Im mittleren Einkommensbereich ist das fordistische Reproduktionsmodell, also Familienernährer plus Reproduktionsarbeiterin mit Zuverdienst, tendenziell immer noch finanziell attraktiv. Zwischen oberen und unteren Einkommensklassen nimmt die soziale Ungleichheit hingegen zu – nicht zuletzt durch die qualitativen Unterschiede in der Prekarisierung der Reproduktion. Für Personen bzw. Familien im Niedriglohnbereich verschärft sich die Doppelbelastung von Lohn- und Reproduktionsarbeit, da der zeitliche und finanzielle Schonraum besonders für Betreuungsaufgaben zusehends beschnitten wird. Ein Ausdruck der Privatisierung der Reproduktion im Zuge entgrenzter Lohnarbeitsverhältnisse in den höheren Einkommensklassen ist hingegen die zunehmende Ökonomisierung von Reproduktionsarbeit: Wenn weniger eigene oder fremde unbezahlte Arbeitskraft dafür zur Verfügung steht, ist eine nahe liegende „Lösung“ meist der Rückgriff auf haushaltsnahe Dienstleistungen und Pflege (Winker 2011). Durch dieses „Outsourcing“ reproduktiver Arbeit an DienstleisterInnen entsteht ein Schattenarbeitsmarkt auf dem in der BRD vorrangig Migrantinnen, oftmals aufenthaltsrechtlich illegalisiert oder prekarisiert, beschäftigt sind. Ökonomisierte Reproduktionsarbeit zeichnet sich hier durch niedrige Löhne, hohe Flexibilitätsanforderungen, fehlende Sozialversicherungen und schlechte Arbeitsbedingungen aus. Der private Charakter des Arbeitsortes trägt sein Übriges zu den besonderen Ausbeutungs- und Abhängigkeitsformen bei. Im Jahr 2000 lagen laut den Daten des Sozio-ökonomischen Panels geschätzte vier Millionen solcher Beschäftigungsverhältnisse vor, Tendenz steigend (Schupp 2002).
Einerseits ist also ein erweiterter Arbeitsbegriff, der feministischen Kämpfen entstammt, heute breit anerkannt, findet aber nur diskursive, nicht materiell-existenzsichernde Anerkennung. Andererseits hält sich die Vorstellung vom Privaten als dem „ganz Anderen“ zur Ökonomie dennoch hartnäckig und ist weder in der Arbeitsforschung noch in gewerkschaftlicher Politik wirklich überwunden. Dadurch wird die Entwicklung umfassender emanzipatorischer Ansätze einer sozial gerechten Verteilung der gesamten Arbeit verhindert. Den Gewerkschaften ist die Reproduktionsperspektive im Prinzip nicht fremd, insofern sie die Lebensqualität der Arbeitenden gegen die Verwertungsinteressen des Kapitals verteidigen. Entsprechend skandalisiert der DGB-Index Gute Arbeit (2007), dass 42 Prozent der Beschäftigten in Deutschland „unter Bedingungen arbeiten, durch die Familie, Freundschaft und private Interessen zu kurz kommen“. Hier könnte eine verkürzte Analyse anschließen, die implizieren würde, dass die arbeitspolitischen Kämpfe primär in der Erwerbssphäre stattfinden müssen, um ihren Zugriff auf das Private einzudämmen.
Der Blick auf die Reproduktionssphäre und die unbezahlte Arbeit zeigt allerdings, mit welchen Konflikten und mit welchen Ungleichheiten dies einhergeht und erweitert die politischen Perspektiven, im Sinne der Analyse der genannten Krise sozialer Reproduktion, auf die Ursachen in der Regulierung der reproduktiven Arbeit selbst. In unteren und mittleren Einkommensklassen trifft die mangelnde sozialstaatliche Absicherung auf zunehmend verwertungsorientiert flexibilisierte Erwerbsarbeit. Auch dort, wo keine prekäre Beschäftigung im engeren Sinne vorliegt, kann dies zu Prekarisierung im Lebenszusammenhang führen, insofern sich daraus Planungs- und Gestaltungsunsicherheiten sowie eklatanter Zeitmangel in der Sorge für andere und der eigenen Regeneration ergeben (WSI-Mitteilungen 8/2011). Aber auch die scheinbar gelingenden Reproduktionsmodelle der höheren Einkommensklassen, der eher privilegierten Beschäftigten, können mit einer Einschränkung der Lebensqualität einhergehen. Die Klagen von Hochqualifizierten über fehlende Muße und Selbstsorge und ständige Selbstdisziplinierung als Workaholic sollten ernst genommen werden als Brüche im System der Profitmaximierung (Hausotter et al. 2012). Und im informellen haushaltsnahen Dienstleistungssektor hat sich eine Form von Lohn für Hausarbeit etabliert, die mit kritischen, feministischen Positionen nicht vereinbar ist. Die feministischen Analysen der 1970er Jahre lassen sich demgegenüber aber nicht einfach in Stellung bringen, sind sie doch selbst teilweise in dichotomen Ansätzen verhaftet, die das Los aller Frauen als unbezahlte Reproduktionsarbeiterinnen betonen und dieser neoliberalen Ungleichheit zwischen Frauen eher ratlos gegenüber stehen. Sinnvoller sind Ansätze zur Analyse sozialer Ungleichheit, die kapitalistische Verwertungslogik und Arbeitsteilung ins Zentrum setzen und dabei die feministischen Debatten um Intersektionalität (vielfältig verschränkte Ungleichheiten und Diskriminierungen) anwenden. Dann wird deutlich, dass Produktion und Reproduktion über die Klammer der kapitalistischen Verwertungsmaxime miteinander verbunden sind, dass die ideologischen Begründungen spezifischer Arbeitsteilungen flexibel sind (Leistungsprinzip, Naturalisierung) und dass dabei auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen Differenzen und Ungleichheiten entstehen (Winker/Degele 2009).
Dieser kurze Blick auf Ungleichheiten zeigt, dass eine arbeitspolitische und gewerkschaftliche Antwort auf die Reproduktionskrise nicht sein kann, bei Gleichstellungspolitik in der Erwerbsarbeit stehen zu bleiben und die Themen der Reproduktionsarbeit als Frauenpolitik zu behandeln. Es ist zwar richtig, Diskriminierungsschutz einzufordern und Ungleichheit mit Quotierung zu begegnen. Politische Perspektiven vom Standpunkt der Reproduktion aus zu entwickeln, zielt aber vor allem auf Kämpfe um Arbeitszeit und Umverteilung. Arbeit muss sich an den Bedürfnissen der Menschen messen lassen. Arbeitszeitverkürzung in der Erwerbssphäre und die Vergesellschaftung der Reproduktionskosten, d.h. ihre existenzsichernde Anerkennung, wenn sie individuell erbracht werden und der Ausbau sozialer Infrastruktur wären erste Schritte (vgl. auch die Forderung einer Care Revolution in Winker 2012). In diesem Sinne würde Lohn für Hausarbeit weder Frauen zu Reproduktionsarbeiterinnen machen und in die Privatsphäre verbannen, noch die Etablierung eines prekären Dienstleistungssektors bedeuten, der Anderen hochbezahlte, entgrenzte Lohnarbeit ermöglicht. Hier sind Modelle der Arbeitszeitreduzierung durchzusetzen, die nicht nur Menschen mit höheren Einkommen offen stehen (wie es etwa bei Sabbatjahren der Fall ist), sondern mit der Umverteilung von Arbeit und Einkommen einhergehen müssen.
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