Betrieb & Gesellschaft

Mehr als binär

Die spezifische Situation von Trans*Personen im Berufsleben wird in der zweigeschlechtlichen Betrachtung oft vernachlässigt

In allen Bereichen dieser Gesellschaft spielt das Geschlecht einer Person eine zentrale Rolle. Dies gilt auch und ganz besonders für das Berufsleben und für alles was damit zusammenhängt, wie Schule, Ausbildung, Studium oder das Jobcenter. Welches Geschlecht eine Person hat, wirkt sich auf die Einstellungs- und Karrierechancen, die Bezahlung, das Risiko, arbeitslos zu werden, und oft sogar schon auf die Berufswahl aus. Und natürlich spielt es eine Rolle im alltäglichen Zusammentreffen, ob am Arbeitsplatz, in der Schule oder im Amt.

Für trans*geschlechtliche Menschen wird die Frage wie ihr Geschlecht von Anderen wahrgenommen wird, zu einem zentralen Thema. Sie müssen damit umgehen, dass es – zumindest eine Zeit lang – Widersprüche gibt zwischen dem im Pass eingetragenen, dem von anderen zugeschriebenen und/oder dem selbst empfundenen Geschlecht. Diese Widersprüche werden teilweise ausgelebt, teilweise – soweit das überhaupt möglich ist – versteckt. Im ersteren Fall kann dies zu Diskriminierung führen, im letzteren Fall herrscht häufig eine dauerhafte Angst vor Entdeckung und den damit verbundenen Konsequenzen.

Diskriminierungsproblematiken in Alltag und Arbeitswelt

Allgemein können mehrere Situationen unterschieden werden, die für Trans*Personen im Arbeitsleben typisch sind und sich teilweise überschneiden:

– Die Person tritt in einem anderen Geschlecht auf, als dem, dem sie sich zugehörig fühlt (z.B. weil der Eintrag im Personalausweis nicht mit dem eigenen Erleben übereinstimmt).

– Die Person hat einen uneindeutigen Geschlechtsausdruck, d.h. Menschen können sie nicht sofort eindeutig einem Geschlecht zuordnen.

– Die Person tritt in dem Geschlecht auf, dem sie sich zugehörig fühlt, hat aber während ihrer Vergangenheit auch schon als Person des anderen Geschlechts gelebt.

Jede dieser Varianten bringt spezifische Probleme mit sich. Jannik Franzen und Arn Sauer zitieren in ihrer Untersuchung „Benachteiligung von Trans*Personen, insbesondere im Arbeitsleben“ aus dem Jahr 2010 mehrere Studien, die in verschiedenen Ländern Europas sowie den USA durchgeführt wurden und die unterschiedlichen Formen von Trans-Diskriminierung im Arbeitsleben aufführen. Diese reichen von Spott, Beschimpfungen und Verächtlichmachung der Person bis hin zu sexuellen Belästigungen und körperlicher Gewalt. Menschen, die als Trans*Personen erkennbar sind, sind am Arbeitsplatz einem großen Risiko ausgesetzt, von diesen Formen der Diskriminierung betroffen zu sein. Durch ein mögliches „Outing“ der eigenen Trans*Vergangenheit besteht auch für diejenigen Personen ein dauerhaftes Diskriminierungsrisiko, die von ihrem Äußeren nicht erkennbar geschlechtlich uneindeutig sind.

Insbesondere die Transition selbst, der Prozess des sozialen „Geschlechtswechsels“, ist eine Phase im Leben von Trans*Personen, in der ein massiv erhöhtes Diskriminierungsrisiko besteht, da sie beginnen, in Kleidung und Aufmachung „des anderen Geschlechts“ aufzutreten, oder das dokumentierte Geschlecht nicht mit dem gelebten Alltagsgeschlecht übereinstimmt. Viele Trans*Personen wechseln vor oder während ihrer Transition den Arbeitsplatz oder treten dort unerkannt im „falschen“ Geschlecht auf, um Diskriminierungen vorzubeugen. Im Verhältnis zu Vorgesetzten gibt es häufig Probleme beim Ausstellen von Arbeitszeugnissen im gewählten Geschlecht, beim Tragen geschlechtsspezifischer Arbeitsuniformen oder dem Schutz vor Anfeindungen in der Belegschaft.

Über diese, im direkten Kontakt auftretenden Diskriminierungen hinaus gibt es weitere Faktoren, die Trans*Personen überdurchschnittlich oft betreffen: Die Chance, auf einen Arbeitsplatz eingestellt zu werden, insbesondere einen, der den eigenen Qualifikationen entspricht, ist signifikant niedriger als für Cisgender-Personen, also Menschen, bei denen Geschlechtsidentität und körperliches Geschlecht übereinstimmen. Dementsprechend ist die Arbeitslosigkeit unter Trans*Personen überdurchschnittlich hoch. Sie werden häufiger bei Beförderungen übergangen und verdienen im Mittel erheblich weniger als der Bevölkerungsdurchschnitt. Dies hat natürlich auch Auswirkungen in Form von – statistisch gesehen – schlechterer Gesundheit und niedrigerer Lebenserwartung.

Zentrales Merkmal vieler dieser Benachteiligungen ist die „Unsichtbarkeit“ transfeindlicher Motivationen. Für die Bundesrepublik gibt es bislang keine Studien, die die Situation von Trans*Personen allgemein in den Blick nimmt, geschweige Untersuchungen über ihre Situation speziell am Arbeitsplatz.

Gewerkschaften in der Pflicht

Für Gewerkschaften bedeutet dies, dass sie sich im Zusammenhang mit Trans*Personen zunächst mit den spezifischen Problemen und Fragestellungen dieser Personengruppen beschäftigen müssen. Um die Interessen von Trans*Personen zu vertreten, ist die Kenntnis des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) mindestens so wichtig wie Kenntnisse in Arbeitsrecht. Angesichts der immer noch bestehenden gesellschaftlichen Unsichtbarkeit von Trans*Personen besteht einer der ersten wichtigen Schritte darin, diese als Zielgruppe explizit anzusprechen und damit ein Wissen über ihre Existenz zu vermitteln. Ein allgemein aktives Eintreten gegen Diskriminierungen jeglicher Art schafft ein für Trans*Personen strukturell ansprechenderes Umfeld. Auch bei der Interessenvertretung ist es Aufgabe der Gewerkschaften, für die Gleichbehandlung von Trans*Personen in allen Bereichen der Arbeitswelt einzutreten. Dies sollte aktiv durch Öffentlichkeitsarbeit, öffentliches Eintreten für die Rechte von Trans*, sowie Antidiskriminierungsschulungen in Betrieben und für die eigenen Mitglieder erfolgen, um langfristig Trans*Personen zu unterstützen. Sich für die Würde Aller am Arbeitsplatz und letztlich darüber hinaus einzusetzen, ist schließlich syndikalistisches Kerngeschäft. Auch in der gewerkschaftlichen Arbeit dürfen Trans* daher nicht unsichtbar bleiben.

Louzie Brödel

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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Louzie Brödel

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