Betrieb & Gesellschaft

Das katastrophale Ausmaß

Ein Interview mit Christoph Marischka von der Informationsstelle Militarisierung e.V.

Die Bundeswehr ist Arbeitgeber und Interventionsarmee. Ob Ressourcensicherung, Einsatz im Inneren oder Sandsäcke bei Dammbrüchen – die Bundeswehr soll zum Allrounder werden. Die DA sprach mit Christoph Marischka von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen über den Einsatz im Inneren, Aufstandsbekämpfung und Streik sowie das Spannungsverhältnis von Gewerkschaft und Militär.

Im August urteilte das Bundesverfassungsgericht zum „Luftsicherheitsgesetz“, dass Streitkräfte auch im Inneren eingesetzt werden können. Kannst du uns erklären was das für Auswirkungen hat?

In erster Linie stellt es einen Tabubruch dar, ein Bruch mit der bisherigen Tradition, die als Folge des deutschen Faschismus den Einsatz der Bundeswehr im Inneren verbietet. Erst recht wenn sie mit einem spezifisch militärischen Profil im Inneren eingesetzt werden kann.

Ist der Einsatz im Inneren denn an Bedingungen geknüpft, unterliegt er Beschränkungen? Es war dabei viel die Rede von Situationen mit „katastrophalen Ausmaß“.

Der Begriff des „katastrophalen Ausmaß“ ist überhaupt nicht definiert und unterliegt damit letztendlich der Interpretation der Bundesregierung. Damit ist ein weiterer Begriff eingeführt, der neue Eingriffsbefugnisse eröffnet. In der Verfassung wie in der Rechtsprechung gibt es bereits eine Menge von Begriffen die verschiedene Einsätze zulassen. Beispielsweise den länderübergreifenden Notstand, den Verteidigungsfall, den äußeren und inneren Notstand. Meiner Meinung geht es dabei um eine Kompetenzausweitung und einen Bruch mit dem öffentlichen Tabu des Bundeswehrmilitäreinsatzes im Inneren; dass eben dieses Tabu geschwächt, letztlich abgeschafft wird.

Im Weißbuch der Bundeswehr verortet die Bundeswehr ihre Aufgaben in der Ressourcensicherung, im GÜZ wird die Aufstandsbekämpfung trainiert. Wie nah sind wir dem Szenario einer nach innen wie außen fungierenden Bundeswehr, die vor allem die kapitalistische Ökonomie stabilisieren soll und deren Prinzipien verteidigt?

Es ist ziemlich klar, dass die Kompetenzen auch der Sicherung von wirtschaftlichen Interessen dienen sollen und es gibt ja schon länger die Bemühungen das Band zwischen Wirtschaft und Militär zu intensivieren, wie mit dem Celler Trialog, wo hochrangige Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Militär einen Austausch pflegten. Dies geschah auch unter dem Aspekt, dass sich diese Eliten im Falle von schweren Arbeitskämpfen zusammentun. Das wird interessant wenn man sich den Begriff der Katastrophe anschaut: So ist die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes ein entscheidendes Kriterium dafür, ob etwas als Katastrophe deklariert werden kann.

… Also ist der Schutz wirtschaftlicher Infrastruktur treibender Moment?

Der Bundeswehreinsatz im Inneren ist immer mit dem Schutz der sogenannten kritischen Infrastrukturen gekoppelt, die eine wichtige Rolle in der Definition der „Katastrophe“ spielen. Auch der Begriff der kritischen Infrastrukturen ist dabei nicht eindeutig umrissen. Dennoch ist klar, dass es dabei um Banken und Bankenviertel geht, um Häfen und Flughäfen, Eisenbahnlinien etc., welche die Punkte sind, an denen Streiks ja noch wirkmächtig sein können und auch insbesondere befürchtet werden. Hier zielt der Einsatz der Bundeswehr im Inneren also auf die streikanfälligen Punkte ab.

Bei den letzten Auseinandersetzungen im Transportsektor hat man ja deutlich gemerkt, welche Angst vor Streiks, und seien sie nur einige Stunden, an Flughäfen oder bei der Bahn besteht …

In den ganzen Modellen des Katastrophenschutzes und den Übungsszenarien der Bundeswehr spielt dieser Schutz der kritischen Infrastrukturen eine entscheidende Rolle. Dies ist auch die denkbarste Rolle der Bundeswehr, dass eben die Absicherung von Bahnhöfen, Häfen und Flughäfen militärisch vollzogen wird. Gleichermaßen dazu zählen auch explizit Banken, Regierungsviertel und Cluster von solchen Institutionen.

Szenarien der Aufstandsbekämpfung, die auf gewerkschaftliche Proteste abzielen, sind an sich relativ selten, da Ziel der Öffentlichkeitsarbeit ist, dies zu verschleiern. Viel eher wird die Aufstandsbekämpfung anhand eines wilden Mobs dargestellt. Beispiele mit gewerkschaftlichem Protest, offensichtlich oder kaschiert wie bei einer Übung in Belgien, wo ein Mob, der vorgeblich ethnische Gewalt ausgeübt hat, in Arbeitskleidung der Hafenarbeiter sich auf ein Hafengelände zurückgezogen hatte, zeugen dennoch davon, dass dieses Szenario, wo militärisch ein Hafen geöffnet wird, ernst genommen wird.

Schutz kritischer Infrastrukturen wie beispielsweise bei einem Generalstreik, Aufstandsbekämpfungsszenarien anhand von Gewerkschaftsprotesten – ist es da nicht ein Affront, wenn Gewerkschaften wie Verdi eine Fachgruppe Bundeswehr unterhalten, in der sich Militärangehörige organisieren?

Das führt dort immer wieder zu Konflikten. Ich finde jedoch wichtig festzuhalten, dass SoldatInnen nicht nur Täter sind, sondern ebenso Opfer von Kriegen. Je mehr man also die innere Solidarisierung und die Wahrnehmung von Menschenrechten in den unteren Rängen des Militärs fordert, desto größer sehe ich auch die Chance, dass es aus der Bundeswehr heraus Widerstände gibt, sowohl gegen die Militarisierung in der Außenpolitik als auch bezüglich des Einsatzes im Inneren. Jedoch ist das noch sehr weit weg. Andererseits gab es auch schon Beispiele wie den Einsatz im Kongo, bei dem der Widerspruch aus der Bundeswehr teilweise Öffentlichkeit geschaffen hat, die letzten Endes dazu führte, dass kein Einsatz der Bundeswehr stattfand.

Das stelle ich mir für die Gewerkschaftsarbeit nicht praktikabel vor, in der Antimilitarismus ein Grundpfeiler sein sollte.

Das ist ein schwieriger Grat, wo auch innerhalb von Verdi tiefe Gräben existieren zwischen der grundsätzlichen Kritik an der Bundeswehr, die vollauf berechtigt ist und der organisierten ArbeitnehmerInnenschaft, die dann auch vor allem zivile Bundeswehrangestellte mit einschließt.

Ein großes Konfliktpotential, gerade wenn beispielsweise Gewerkschaften wie die GEW fordern, dass die Bundeswehr nicht mehr an Schulen werben soll. Bei den jungen Leuten wird dabei besonders stark mit der „zivilen Karriere“ geworben.

Die Werbung mit dieser zivilen Komponente ist etwas, wogegen ich die größte Abscheu hege. Wir erleben wie Studierende der Politikwissenschaft, Konfliktforschung und Ethnologie für die Planungs- und Strategiestäbe der Bundeswehr angeworben werden, die dann letztendlich die Menschen in die Einsätze schicken und Öffentlichkeitsarbeit machen, die die Wahrnehmung der Bundeswehr in der Gesellschaft weiter ausdehnen soll. Damit sind auch nicht unbedingt alle SoldatInnen glücklich. Viele, die sich aus wirtschaftlichen Gründen oder Unbekümmertheit zum Dienst melden, würden sicherlich lieber zu Hause bleiben als in gefährliche Einsätze geschickt zu werden.

Ein „Klassenkonflikt“ in der Bundeswehr?

Im Grund denke ich, dass es so etwas wie Arbeits- oder Klassenkampf auch innerhalb der Bundeswehr geben kann, gerade auch, wenn es um den Einsatz im Inneren geht. Da gibt es schon Beispiele, dass Soldaten sich weigerten oder lieber Einheiten aus weit entfernten Regionen angekarrt wurden.

Redaktion

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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