Hintergrund

Die Militarisierung des Arbeitskampfes

Eine für ausgestorben gehaltene Form des Klassenkampfs von oben kehrt zurück

Als Jack London vor 100 Jahren Streikbrecher mit Klapperschlange, Kröte und Vampir verglich, hatte er keinen verarmten Leiharbeiter vor Augen, der Angst vor der eigenen Courage hätte oder sich ökonomisch nicht in der Lage sähe zu streiken, sondern uniformierte Paramilitärs, die mit Schusswaffen auf streikende ArbeiterInnen losgingen. Die bekannteste Streikbrechermiliz waren die Detektive der Firma Pinkerton‘s National Detective Agency.

Unser Verständnis eines Streikbrechers hat sich maßgeblich verändert: Der Streikbrecher heute ist schlicht der Arbeiter oder die Arbeiterin, der/die nicht mitstreikt – oder absichtlich vom Unternehmen mit dem Angebot einer Prämie angeheuert wird, um den Streik zu unterlaufen. Dass uniformierte Menschen auf streikende ArbeiterInnen schießen, kommt uns unwahrscheinlich vor.

Der Staat hat aber schon immer, wenn es hart auf hart ging, das Militär gegen streikende ArbeiterInnen eingesetzt. Dass uns das fremd vorkommt, liegt auch daran, dass man die heutigen Tarifauseinandersetzungen in Deutschland schon fast nicht mehr als Streik bezeichnen kann – in anderen Staaten nimmt die Form des militärischen Streikbruchs schon längst wieder alte Formen an. Ein paar Beispiele aus jüngerer Zeit:

USA

2002 und 2003 kam es mehrfach zu kurzen Arbeitsniederlegungen der Hafen- und Werftarbeiter an der Westküste der USA. Politisch brisant war dies vor allem vor dem Hintergrund des „Kriegs gegen den Terror“ in Afghanistan und 2003 im Irak, da militärische Logistik und Versorgungsnachschub betroffen waren. Der 1. Mai 2003 war sogar ein politischer Streik gegen diesen Krieg.

Die Bush-Administration sah bereits in den Streiks im Rahmen der Tarifverhandlungen 2002 die „nationale Sicherheit“ gefährdet – letztlich ist dies die Formulierung, die den Einsatz von Militärs gegen Streikende legitimieren sollte. Soweit kam es zwar nicht, aber der Einsatz der Truppen in US-amerikanischen Häfen wurde auch wörtlich angedroht. Mit Berufung auf den Taft-Hartley-Akt unterband schließlich George W. Bush den Streik und zwang die Docker dazu, unter einem unternehmensfreundlichen Tarifvertrag wieder an die Arbeit zu gehen. Damit stellte sich Bush jr. mal wieder in die Tradition Ronald Reagans, der schon in den frühen 1980ern auf ähnliche Weise den Widerstand der Docker brach.

Frankreich

Ähnlich wie in den USA wurden im Herbst 2010 auch in Frankreich Unternehmer und Regierung in dem Moment nervös, als die Häfen blockiert wurden. Es waren die Kranfahrer, die dafür sorgten, dass z.B. im Hafen von Marseille 70 Schiffe nicht gelöscht werden konnten. Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Jean-Luc Chauvin empfand das als Herausforderung „der Staatsgewalt“ und forderte den Militäreinsatz. Nahezu zeitgleich mussten Militärs im Oktober 2010 tatsächlich als Streikbrecher herhalten und den Müll einsammeln.

Wer meint, Frankreich scheue einen solchen Militäreinsatz, täuscht sich – es kommt immer auch darauf an, wer streikt: Als zwei Jahre zuvor die indigene Gewerkschaft USTKE in den Häfen Kanakys (Neukaledoniens) streikte, schoss französisches Militär mit Gummigeschossen (die in Frankreich selber verboten sind) auf die Streikenden. AugenzeugInnen berichteten von Bildern wie aus einem Kriegsfilm.

Griechenland

Ebenfalls 2010: Gegen die Zumutungen des Sparprogramms der Troika aus IWF, EU und EZB streikten die Tank- und Lastwagenfahrer – konkret gegen die Bestrebungen, die Branche zu liberalisieren. Auch hier ist der Einsatz von Militärs als Streikbrecher offenbar recht normal. Die griechische Regierung ließ Militärfahrzeuge rollen, um Sprit zu transportieren – sowohl für öffentliche Einrichtungen wie auch für private Tankstellenbesitzer, die im Dienste der Regierung stehen. Tankstellen wurden teilweise unter Polizeischutz mit Benzin beliefert. Die Versorgungslage war nach acht Tagen Streik deutlich kritisch geworden, was darauf hinweist, dass die LKW-Fahrer tatsächlich eine erhebliche Macht in die Waagschale werfen konnten, die letztlich nur militärisch gebrochen werden konnte. Letztlich hat dieser nahezu klassische Streikbruch die Tank- und LastwagenfahrerInnen zum Streikabbruch gezwungen. Durch die militärische Maßnahme wurden 90 Prozent der Versorgungslücken geschlossen: Der Streik wurde zwecklos.

Spanien

Besonders dreist trieb es im Dezember 2010 die spanische Regierung: Während des Streiks der Fluglotsen übertrug Ministerpräsident Zapatero die Lufthoheit ans Militär. Nach nur einem Tag verhängte die Regierung in einer Sondersitzung des Kabinetts den Ausnahmezustand über das Land – die Fluglotsen fielen damit unter das Militärgesetz. Das Innenministerium drohte mit militärischen Schnellverfahren gegen die Streikenden. Juristische Grundlage: Aufruhr. Der Streik war spontan, nach der Ankündigung der Verlängerung der Dienstzeiten hatten Fluglotsen ihren Arbeitsplatz verlassen oder sich krank gemeldet. Die Militärpolizei stürmte eine Streikversammlung in einem Madrider Hotel, mehrere Fluglotsen berichteten, dass sie von Militärs mit vorgehaltener Waffe zum Arbeiten gezwungen wurden.

Einsatz im Inneren

Insbesondere das Beispiel Spanien mach deutlich: Der Militäreinsatz ist immer noch eine Option, wenn es hart auf hart kommt. Die europäischen Gewerkschaften, so kommentierte labournet.de das spanische Beispiel, täten so, als ginge sie das nichts an. Dabei ist es offensichtlich, dass diese Form militärischer Intervention momentan zunimmt.

Auffällig ist, dass es sich bei fast allen Beispielen von militärischen Interventionen um Beispiele aus dem Transportsektor handelt. „In den globalen Transportketten steckt ein größeres ‚systemisches Risiko‘ als in den unkontrollierten Finanzströmen“ hat die Redaktion der Wildcat kürzlich betont. Und auffällig oft geht es auch um Rohstoffe – um Öl und Sprit. Auch wenn die Antikriegs-Parole „Kein Blut für Öl!“ verkürzt sein mag, bezweifelt ja nun doch niemand, dass die „neuen Kriege“ etwas mit Rohstoffen – und insbesondere Öl – zu tun haben. Das gilt ganz offenbar auch für den Klassenkrieg im Inneren.

Die militärische Intervention von Arbeiterkämpfen kommt offenbar immer dann in Frage, wenn es das Kapital an der richtigen Stelle erwischt. Wenn die Arbeitermacht am strategisch richtigen Ort zum Einsatz kommt, ist Schluss mit lustig. Ausgestorben ist die Option des Niederschießens von ArbeiterInnen noch lange nicht – es muss nur, wie in Kriegssituationen üblich, richtig begründet werden.

„Aber bei uns ja wohl nicht!“ wird sich manch eine/r denken. „Wirklich nicht?“ möchte man gegenfragen und auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom August 2012 verweisen: Seitdem ist der Einsatz der Bundeswehr im Inneren legal. Bei „Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes“ allerdings nur, wie es einschränkend heißt. Aber wie das mit Juristendeutsch so ist, ist das Auslegungssache: Dass das theoretisch auch Streiks betreffen könnte, daran ließ die Bundesregierung schon 2009 in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linkspartei keinen Zweifel. Und dabei geht die Bundesregierung momentan sicherlich noch von geregelten Tarifkonflikten aus – das Streikgeschehen könnte sich ja durchaus nach südeuropäischem Vorbild zumindest mal ein wenig „radikalisieren“. Verschärft wird eine solche Möglichkeit noch durch die europäischen Bestrebungen das Streikrecht einzuschränken: Im März 2012 hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, die Rechtmäßigkeit von Streiks von ihrer „Verhältnismäßigkeit“ abhängig zu machen. Sollte ein Streik dann gar „politisch“ oder „wild“ sein, kann er ganz schnell den Stempel „Terrorismus“ aufgedrückt bekommen. Wir werden sehen, ob das dann eine „Ausnahmesituation katastrophischen Ausmaßes“ ist…

Torsten Bewernitz

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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Torsten Bewernitz

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