Kürzlich bekam ich unangenehme Post: Einschreiben mit Rückschein – das ist nie was Gutes. In diesem Fall war es eine Unterlassungserklärung von Martin Hohmann. „Martin wer?“, mag sich jetzt der Leser denken. So ging es mir im ersten Moment auch. Auf Unterlassungsklagen muss der Satiriker eingerichtet sein, aber bislang zeigten sich die Protagonisten meiner Texte – von Sarrazin bis Ratzinger – recht dickfellig. Nicht so Martin Hohmann. Nach längerem Grübeln kam es mir: Zu einem gänzlich anderen Thema hatte ich in einem Nebensatz fälschlicherweise geschrieben, Hohmann sei 2003 aus der CDU ausgeschlossen worden, weil er die Juden als „Tätervolk“ bezeichnet habe. Die Wahrheit ist, dass Hohmann seinerzeit sagte: „Juden waren in großer Anzahl sowohl in der Führungsebene als auch bei den Tscheka-Erschießungskommandos aktiv. Daher könnte man Juden mit einiger Berechtigung als ‚Tätervolk‘ bezeichnen.“ Das ist natürlich ganz was anderes. Sicher könnte man darüber streiten, ob hier der Konjunktiv durch den Einschub „mit einiger Berechtigung“ wieder ausgehebelt wird, doch da es schon einen Gerichtsentscheid zu Gunsten Hohmanns gibt, schien es mir nicht der Mühe wert. Zudem hatte ich plötzlich Mitleid mit diesem Mann. Ich stellte mir vor, wie er da sitzt, in seinem Eigenheim bei Fulda und miterleben muss, dass inzwischen alle halbe Jahre Salon-Rassisten vom Schlage Sarrazins oder Buschkowskys aus völkischen Ressentiments ganze Bücher machen, ohne deshalb aus ihrer Partei ausgeschlossen zu werden. Dabei ist deren Partei die SPD, während er immerhin Teil der hessischen CDU – zudem in Fulda! – war, und damit der dumpfesten rechten Vereinigung diesseits der NPD angehörte. So ändern sich die Zeiten. Als Hohmann aus der CDU ausgeschlossen wurde, gab es noch Politiker, die ernsthaft für Multikulturalismus eintraten, und der Begriff „Deutsche Leitkultur“ war zwei Jahre zuvor von der Pons-Redaktion zum „Unwort des Jahres“ gekürt worden. Heute wird „Multikulti“ meist abwertend gebraucht, und die „Deutsche Leitkultur“ ist als „Integrationsdebatte“ parteiübergreifend gesellschaftsfähig. Debattiert wird dabei nicht über den grundsätzlichen Anspruch, nur über die Umsetzung. Wie lässt sich der muslimische Neuköllner nach unserem Muster umerziehen? Und wann ist diese Integration abgeschlossen? Sollten wir Knoblauch-Geruch im Treppenhaus unter Strafe stellen? Gartenzwerge auf den Balkonen einfordern? Eine Schweinefleisch-Quote für Döner-Imbisse? Das sind die Fragen der Zeit. Lustig ist, dass sich diese Debatte gar nicht auf Neuankömmlinge bezieht. Die Flüchtlinge etwa, die gerade nach Berlin marschiert sind, um ihre Integration einzufordern, sollen nämlich gar nicht integriert werden. Die werden in Containerlager oder randständige Plattenbauten gepfercht, um sie so geräuschlos wie möglich abschieben zu können. Damit sie sich nicht zu heimisch fühlen, werden solche Unterkünfte auch gerne in soziale Brennpunkte gelegt, wie derzeit etwa in Wolgast. Dort wohnen rund um das Flüchtlingsheim die ausrangierten White-Trash-Nazis der Stadt, deren Lebensgewohnheiten, Ansichten und sprachliche Befähigung (wie in diversen TV-Berichten zu sehen) sie in jeder Hinsicht für einen Buschkowsky-Integrationskurs qualifizieren. Doch auch die will niemand integrieren. Die werden als Volkes Stimme benötigt, wann immer man am Asylrecht schrauben möchte. Wer integriert werden soll, das sind die muslimischen Mitbürger in den Neuköllns dieses Landes. Und weil von diesen viele den deutschen Pass haben, werden immer neue Unwörter erfunden, um diese „Menschen mit Migrationshintergrund“ von den „Bio-Deutschen“ unterscheidbar zu halten. Hier gilt eben Blutrecht. Deutscher kann man nur sein, nicht werden. Insofern darf sich glücklich schätzen, wem das Angebot zur Integration unterbreitet wird. Wer also lernen darf, sich so unauffällig zu verhalten, dass wir ihn nicht mehr bemerken. Auch Martin Hohmann würde gerne wieder integriert werden. Seit Jahren sammelt er Geld für eine Verfassungsklage gegen seinen CDU-Ausschluss, wenn er gerade nicht seinen Namen googelt, um Bloggern Unterlassungen zu schicken. Dabei wäre die Lösung so einfach: SPD-Mitglied werden. Dort hat man ein Herz für patriotische Kulturkrieger.
P.S.: Die Bezeichnung „Salon-Rassisten“ für Sarrazin und Buschkowsky ziehe ich hiermit zurück. Muss erst mal den Hohmann abstottern.
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