Anderswo erhöht man den Mindestlohn, zum Beispiel in Frankreich auf 9,40 Euro. Hierzulande erhöht man mangels „Lohnuntergrenze“ die 400-Euro-Verdienstgrenze für Minijobs um 50 Euro (und die für „Midijobs“ auf 850 Euro). Das beschloss die Regierungsmehrheit im Bundestag Ende Oktober, obwohl es in der bereits Monate währenden Diskussion allseits scharfe Kritik an dem Vorhaben gegeben hatte. Die Koalition will die Ausweitung der Minijob-Grenze als „Inflationsausgleich“ verstanden wissen – besteht die 400-Euro-Grenze doch seit ihrer Einführung durch die rot-grünen Hartz-Reformen im Jahr 2003 unverändert.
Dass es sich dabei nicht um ein Randphänomen handelt, verdeutlicht die Arbeitsagentur: Die gut 7,3 Millionen Minijobs stellen inzwischen mehr als 20 % aller Beschäftigungsverhältnisse. Laut Gewerkschaftsangaben sind 672.000 KollegInnen auch auf Hartz IV angewiesen. Die parlamentarische Opposition erklärte, dass im Bereich Minijobs mit einem Anteil von zwei Dritteln überwiegend Frauen tätig sind. Überraschend deutlich die Aussagen von SPD und Grünen: Diese stellt sich gegen „eine Verfestigung dieser katastrophalen Beschäftigungsform“ und jene erklären, „Minijobs haben als Brücke in versicherungspflichtige Beschäftigung versagt“. So viel Selbstkritik war selten. Wie ernst es ihnen ist, wird sich im Bundesrat zeigen, wo die Regierungskoalition nicht über eine Mehrheit verfügt. Die Länderkammer muss dem Gesetz zustimmen, weil neben Mindereinnahmen und Steuerausfällen in Millionenhöhe allein 2013 auch den Ländern und Gemeinden ca. 115 Mio. Euro entgehen.
Während die Regierung unbeirrt darauf verweist, Minijobs seien „notwendig zur Flexibilisierung und … zum Abarbeiten von Arbeitsspitzen“, kommt von Gewerkschaften heftige Kritik: Der DGB ließ schon im Frühjahr wissen, dass die Ausnahmeregelungen für „Kleinstarbeitsverhältnisse“ abgeschafft gehören. In einigen Branchen ist der Minijob-Anteil demnach extrem hoch (Gastronomie: 1:1, Einzelhandel 1:2) und setzt die „Normalarbeitsbedingungen“ unter Druck. Während die CDU betont, die Minijob-Abgabenlast für Unternehmer liege mit 30 % relativ höher als normal, kritisiert die Linkspartei die „geringen Standards, die sich eingeschliffen haben“. Im Klartext: Dass gesetzliche Rechte wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall etc. nicht gewährt und dass geringere Löhne gezahlt werden. Eine Studie der Böckler-Stiftung benennt etwa den Fall eines tarifgebundenen Einzelhändlers, bei dem durch Absprachen mit dem Betriebsrat ein „informelles Tarifgitter“ zulasten der Minijobber besteht. Mangels Erfahrung betrifft die Benachteiligung wohl insbesondere junge Beschäftigte. Hier ist Selbsthilfe in Form gewerkschaftlicher Aufklärung gefragt. Einen Beitrag dazu leistet die ASJ Berlin mit ihrer Minijob-Kampagne „Jung und Billig“. Die Kritiker befürchten nun, durch die Anhebung der Grenzwerte werde es leichter, „normale Jobs in Minijobs zu zerlegen“ (SPD), zumal der Minilohn durchschnittlich bei nur 220 Euro liege.