Es war der größte Arbeitskampf-Krimi in der FAU-Geschichte. Der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen und einen Haustarifvertrag im Kino „Babylon Mitte“, der im Jahr 2009 seinen Anfang nahm, schlug hohe Wellen – bundesweit wie international. Zuletzt war der längst verebbte Arbeitskampf, der seinerzeit durch einen Gefälligkeitstarifvertrag durch Verdi unterlaufen wurde, im November 2011 in Erinnerung geholt worden: Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) legte der Bundesregierung ihren Abschlussbericht vor, in dem sie die Einschränkung der Rechte von Minderheitsgewerkschaften rügte. Der Hintergrund: Während ihres Arbeitskampfes war der FAU Berlin im Dezember 2009 durch eine einstweilige Verfügung ohne mündliche Anhörung die Selbstbezeichnung „Gewerkschaft“ verboten worden. Hierdurch wurde der Arbeitskampf auch einer bundesweiten Öffentlichkeit bekannt und zum Politikum. Die FAU erhob Beschwerde bei der ILO, welche schlussendlich im November 2011 in ihrem Bericht an die Bundesregierung in Bezug auf die FAU forderte, dass es auch ihr möglich sein müsse, das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Zutrittsrecht in allen Betrieben, in denen sie Mitglieder hat, sowie das Teilnahmerecht an Betriebsratssitzungen wahrzunehmen. Zusätzlich kreidete die ILO die damalige Gesetzesinitiative zur Tarifeinheit an, da diese die Rechte von Minderheitsgewerkschaften zusätzlich beschneiden würde.
Während der Kampf um „Gewerkschaftsfreiheit“ – das bloße Recht, sich als solche bezeichnen zu dürfen – ein Maximum an Aufmerksamkeit erreicht hatte, geriet ein ebenso folgeschweres Urteil in den Hintergrund: Am 7. Oktober 2009 war der FAU Berlin per einstweiliger Verfügung das erfolgreiche Arbeitskampfmittel des Boykotts aus der Hand geschlagen worden. Eine monatelange Boykott-Kampagne der Gewerkschaft hatte zuvor zum Wegbrechen von Kooperationspartnern geführt und die Geschäftsleitung des kommunal geförderten Kinos stark unter Druck gesetzt. Das Entscheidende des Boykott-Urteils war die Infragestellung der Tariffähigkeit der FAU Berlin. Das Gericht stellte dazu fest, dass die Arbeitnehmervereinigung nicht als tariffähig anzusehen sei, weil sie „nicht ausreichend überbetrieblich organisiert und durchsetzungsfähig genug“ wäre, um die Interessen ihrer Mitglieder zu wahren.
Dass die FAU Berlin ihre Zuständigkeit für Tarifabschlüsse statutengemäß, strategisch wie prinzipiell nur in den Betrieben sieht, in denen sie Mitglieder hat, wurde vom Gericht seinerzeit nicht gewürdigt. Ihre geringe Mitgliederzahl in Relation zur Berliner Gesamtbevölkerung als „Tarifgebiet“ wurde als Referenz herbeigezogen, sie als nicht tariffähig abzutun. Das dezentrale Tarifkonzept des Berliner Syndikats, das eindeutig auf eine aktive Basis aufbaut und einem basisdemokratischen und partizipatorischen Charakter Ausdruck verleiht, wurde damit durch das starre Gerüst des Arbeitsrechts und seiner richterlichen Auslegung torpediert. Einer differenzierten Betrachtung der Fragen um „Tariffähigkeit“ und „Mächtigkeit“ ist das Landesarbeitsgericht (LAG) damit aus dem Weg gegangen.
In der November-Ausgabe der Fachzeitschrift Arbeitsrecht im Betrieb (AiB), einer der wichtigsten Publikationen für Betriebsräte in Deutschland, äußerte sich jüngst der renommierte Arbeitsrechtler Prof. Dr. Wolfgang Däubler zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin: „Es geht um eine Organisation, die ihre Zuständigkeit bewusst auf Betriebe beschränkt, wo sie Mitglieder hat und sich stark genug für eine Tarifauseinandersetzung fühlt“, führt Däubler in seiner Anmerkung zu dem Urteil aus. Auch Andreas Förster, derzeit Sekretär der FAU Berlin, hebt diesen Aspekt gegenüber der DA hervor: „Unser syndikalistischer Ansatz ist gerade dahingehend beachtenswert, als dass Auseinandersetzungen nur dort geführt werden, wo Organisierungsgrad und Kampfeswille vorhanden sind. Eine ‚lokalisierte‘ Tariffähigkeit kann hier nur schwer abgesprochen werden.“
Auch bemängelt Däubler die rechtliche „Erfordernis“ eines überbetrieblichen tarifpolitischen Willens. Spätestens wenn eine Branche oder ein Betrieb nicht durch einen Arbeitgeberverband repräsentiert wird, müssten Gewerkschaften ihre Tarifkämpfe ohnehin in die Betriebe verlagern. Däubler kritisiert das LAG, nicht nach dem Sinn zu fragen, den das Gewerkschaftsmerkmal der Überbetrieblichkeit hat: „Dieses soll nämlich nur vermeiden, dass die Unabhängigkeit von der Arbeitgeberseite in Gefahr gerät, nicht aber zu einer überbetrieblichen Tarifpolitik zwingen“, schreibt Däubler dazu.
Diese Ausführungen sind nicht unbedeutend für die FAU und für potenziell jede kleinere Basisgewerkschaft in Deutschland, zumal Wolfgang Däubler zu den profiliertesten und meistzitierten Arbeitsrechtlern in Deutschland zählt und auch international Beachtung findet. Als Berater war er für die SPD und ÖTV in Tarif- und Streikrechtsfragen tätig. Sein Beitrag sorgt für Diskussionsstoff, da die Frage über die Tariffähigkeit der FAU Berlin nie endgültig beantwortet wurde. Dass noch kein Hauptsacheverfahren angestrebt wurde, bedauert Däubler. Schließlich stellt er fest, dass es „wünschenswert“ wäre, wenn es „hier oder bei einem vergleichbaren Fall durchgeführt würde“. Das Bundesarbeitsgericht sollte in einem solchen Fall die Chance haben, „sich auch zur Tariffähigkeit solcher Organisationen zu äußern, die ein flexibles Tarifgebiet bevorzugen.“