Die plötzlichen Insolvenzen in der Zeitungsbranche haben Panik ausgelöst. Das Internet soll schuld sein. Doch das ist zu kurz gegriffen
Das Ende kam schnell, aber alles andere als überraschend: Mitte November beantragte die Geschäftsleitung der Frankfurter Rundschau (FR) die Insolvenz – der vorläufige Endpunkt eines langen Siechtums. 487 Mitarbeiter stehen jetzt vor der Arbeitslosigkeit. Auch bei der Berliner Zeitung werden Stellen wegfallen. Mit Ausnahme der Lokalteile wurden FR und Berliner Zeitung seit 2011 von einer gemeinsamen Redaktion hergestellt.
Die FR, unmittelbar nach dem Sieg der Alliierten gegründet, war Jahrzehnte lang eine sozialdemokratische Institution. Einigermaßen profitabel war das Blatt zuletzt im Jahr 2000. Damals hatte die FR 1650 Mitarbeiter. Danach ging es bergab. 2003 rettete nur eine Bürgschaft des Landes Hessen die Zeitung. 2004 folgte die Übernahme durch den SPD-Medienkonzern DDVG. 2006 kaufte schließlich die Mediengruppe M. DuMont-Schauberg die Mehrheit der Anteile.
Jeder Besitzerwechsel brachte neue Entlassungen, neue Konzepte und mehr Aktivitäten im Internet. Trotzdem – oder vielleicht deshalb – sank die Auflage zwischen 2000 und 2012 unaufhaltsam von 190 000 auf zuletzt 118 000 Exemplare.
Wenige Tage nach dem Insolvenzantrag der FR folgte das nächste Opfer: Die Financial Times Deutschland (FTD) wurde eingestellt, 320 Mitarbeiterinnen verlieren ihren Job. Wenig später kündigten auch kleinere überregionale Medien, die nicht kurz vor der Pleite stehen, Entlassungen an. Der Freitag wird neun Mitarbeiterinnen entlassen, und auch Der Spiegel wird eine bislang unbenannte Zahl Stellen abbauen. Die Nachrichtenagentur DAPD kündigte Ende November an, 98 Mitarbeiter zu entlassen. Auch die Frankfurter Zeitungsdruckerei Caro-Druck, die unter anderem die taz herstellte, ist pleite.
„Die größte Entlassungswelle seit 1949“, grölte Spiegel Online – und vergaß vor Aufregung, die Entlassungen im eigenen Haus zu erwähnen. Fast alle Kommentatoren machen für das Zeitungssterben nun das Internet verantwortlich. Weil dort Nachrichten kostenlos zu beziehen sind, seien gedruckte Zeitungen dieser Konkurrenz einfach nicht gewachsen. Sie verweisen vor allem darauf, dass Werbung verstärkt im Internet geschaltet wird. Von einem „Virus der Digitalisierung“, dessen erstes Opfer die FR gewesen sei, sprach entsprechend das Fachmagazin Meedia, der Spiegel vom „Sog der Digitalisierung“.
Dass die überregionalen Printmedien finanziell schwächeln, liegt aber nur zum Teil an der Konkurrenz durch das Netz. Tatsächlich sinken die Auflagen der Tageszeitungen schon seit Mitte der 1980er Jahre. Besonders junge Menschen und Senioren leisten sich seitdem immer seltener ein Abonnement. Populär wurde das Internet erst zehn Jahre später.
Wer oder was ist also schuld daran, dass Presseerzeugnisse scheinbar reihenweise eingehen? Richtig ist, dass die Tageszeitungen weniger von dem großen Werbekuchen auf sich ziehen können. Ihr Anteil am Gesamtwerbeaufkommen sank von 29 Prozent im Jahr 2000 auf aktuell 20 Prozent. Bei den Kleinanzeigen spüren die Holzmedien die Konkurrenz der Suchmaschinen. Außerdem setzen immer mehr Unternehmen auf „Direktvermarktung“ durch Prospekte und Kataloge.
Aber bisher konnten die meisten Zeitungen das Sinken der Auflagen und Werbeeinnahmen laut Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger (BDZV) kompensieren – durch höhere Abo-Preise oder neue Einkunftsquellen wie Veranstaltungsmanagement. Der Verkaufspreis, der früher nur etwa ein Drittel der Erlöse ausmachte, ist daher wichtiger geworden.
Daher trügt der Schein einer generellen Krise der deutschen Print-Medien. Frankfurter Rundschau und Financial Times Deutschland waren nicht typisch für die Branche. Sie gehörten zu den überregionalen „meinungsbildenden“ Zeitungen mit „bundesweiter“ Leserschaft. Diese machen aber nur knapp sechs Prozent der insgesamt verkauften Auflage aus. Der überwiegende Teil der täglich millionenfach verkauften Exemplare sind Lokalzeitungen, die weiterhin finanziell solide sind (wenigstens solange die soziale Krise ihre LeserInnen nicht zu hart trifft).
Untypisch waren FR und FTD auch deshalb, weil sie (wie übrigens auch Der Freitag) schon jahrelang nicht profitabel waren. Weiterbetrieben wurden sie wegen ihres Renommees beziehungsweise der Hoffnung auf zukünftige Profite. Seit ihrer Gründung im Jahr 2000 hat die deutsche Financial Times (trotz einer Verkaufsauflage von über 100.000 Exemplaren!) niemals Gewinn eingefahren.
Das heißt aber nicht, dass in diesem Marktsegment keine Profite mehr gemacht würden. Der Springer-Verlag steigerte 2011 sowohl Umsatz als auch Gewinn. Auch M. DuMont Schauberg – also der Konzern, der gerade die FR abwickelt – hat im Jahr 2011 den Umsatz gesteigert und noch 2010 mehr als 20 Millionen Euro Gewinn erzielt. Die Verlagsgruppe Gruner + Jahr, für die die Verluste durch die FTD nicht länger vertretbar waren, machte 2011 genauso viel Umsatz wie im Vorjahr und immerhin 85 Millionen Euro Gewinn.
Ein Verleger, definiert Robert Musil in „Der Mann ohne Eigenschaften“, ist ein Kaufmann, der in schwachen Momenten vergisst, dass er mit unverdorbenem, sauberem Papier viel besser Geld verdienen könnte. Gedruckte Nachrichten waren immer schon ein Geschäft. Aber seit Anfang der 1990er Jahren ist der Tageszeitungsmarkt stärker umkämpft als zuvor. Immer mehr Tageszeitungen wurden von größeren Zeitungsgruppen aufgekauft.
Die beständige Konzentration hat dazu geführt, dass sich mittlerweile zehn Unternehmen sechzig Prozent des Tageszeitungsmarktes teilen. Den größten Teil davon mit fast 19 Prozent der Auflage verkauft der Springer-Konzern, gefolgt von Südwestdeutsche Medien Holding (9 Prozent) und WAZ-Gruppe (6 Prozent).
Für diese Medienkonzerne ist eine einzelne Tageszeitung ein Bilanzposten von vielen. Was nichts oder auch nur zu wenig bringt, wird abgewickelt. Weil außerdem die Übernahmen in der Regel kreditfinanziert waren, steigt für die Verleger der Druck, möglichst schnell Gewinne zu machen, um die aufgelaufenen Schulden zu bedienen. Und die Analysten alarmiert bereits, wenn, wie im Fall von Gruner + Jahr, der Gewinn von 124 Millionen auf 85 Millionen Euro „wegbricht“ (Meedia Report).
Krise ist eine Frage der Perspektive. Für viele Lohnabhängige in der Medienbranche waren schon die Jahre vor 2008 reichlich krisenhaft – geprägt von sinkenden Einnahmen, unsicherer Auftragslage, unerreichbarer Altersvorsorge, also der Aussicht auf Altersarmut. Dennoch ist der Zustrom ungebrochen. Jedes Jahr gehen zirka 10.000 Menschen mit einem Abschluss in einem „Medien-Studiengang“ von der Uni ab – und ein großer Teil von ihnen versucht sich als Journalist. 3.000 Volontariate werden jedes Jahr vergeben.
2011 lebten laut DJV 73.500 von Journalismus. 43.000 von ihnen haben einen unbefristeten Arbeitsvertrag, der Rest gehört zu den Freiberuflern. Statistisch schwer zu erfassen sind die vielen, die nur einen Teil ihrer Einkünfte mit dieser Arbeit erzielen oder ihre Sozialhilfe mit Medienarbeit aufstocken. Dabei gilt die Faustregel: Je mehr die Kolleginnen für Tageszeitungen arbeiten, desto ärmer sind sie.
Der Anteil der Freien wächst seit den 1980er Jahren beständig an. Mittlerweile arbeitet ein Heer von Journalisten den Festangestellten in den Redaktionen zu. Möglich wurde diese Arbeitsteilung, weil seit den 1980er Jahren Redaktionssysteme („Newsdesk“) im Einsatz sind, die es den Teams in den Redaktionen ermöglichen, den „Input“ der Freien flexibel und schnell zu integrieren.
Viele freiberufliche Redakteure und Journalisten sind in der Künstlersozialkasse (KSK) versichert. Von 2008 bis 2011 wuchs ihre Zahl von etwa 20.000 auf 23.000. Das durchschnittliche Jahreseinkommen lag 2011 bei nur 16 840 Euro. Dieser Betrag stagniert seit Jahren. Allerdings gibt es unter den freien Journalisten durchaus auch einige, die lukrative Auftragsgeber gefunden haben und entsprechend gut verdienen.
Aus den spärlichen Statistiken allgemeine Aussagen abzuleiten, ist schwierig. Die Zahlen der KSK beruhen auf Angaben der Versicherten, und weil hohe Einnahmen auch hohe Versicherungsbeträge bedeuten, geben viele Kolleginnen und Kollegen weniger an als sie tatsächlich verdienen. Außerdem arbeiten viele KSK-Versicherte nicht (nur) für Tageszeitungen, sondern auch für andere Medien. Dennoch, die Zahlen zeigen, dass ein beachtlicher Teil dessen, was in der Zeitung steht (beziehungsweise im Fernsehen zu sehen und im Radio zu hören ist), offenbar von NiedriglohnarbeiterInnen stammt.
Die Branche Journalismus ist äußerst divers. Da finden sich ALG2–Empfänger mit akademischem Abschluss und ein paar hochbezahlte Experten, linke Publizisten, für die der Gelderwerb nebensächlich ist und alte Hasen in Lokalredaktionen, die schneller Zeile schreiben als du gucken kannst. Entsprechend unterschiedlich sind die Möglichkeiten, die eigenen Lohnstandards und Arbeitsbedingungen zu verteidigen. In den Redaktionen sind immer noch deutlich mehr als die Hälfte der Mitarbeiterinnen gewerkschaftlich organisiert (Verdi oder DJV). Viele, die sich als Fotografen oder Reporterinnen für Tageszeitungen ohne Festanstellung verdingen, haben im letzten Jahrzehnt einen regelrechten Absturz ihrer Einkommen erlebt. Einige Freie glauben, wegen ihres individuellen „Marktwerts“ gewerkschaftlichen Schutz nicht nötig zu haben. Für eine Handvoll von ihnen stimmt das sogar. In der Regel ist es eine Illusion.
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