Eine Betrachtung über Funktion und Bedeutung libertärer und linker Presse
Wenn es nach den Kolleginnen und Kollegen der Financial Times Deutschland (FTD) gegangen wäre, gäbe es das lachsfarbene, linksliberale Wirtschaftsblatt heute noch. Sicher, die Angst vor der Erwerbslosigkeit auf einem „schwierigen“ Arbeitsmarkt schwang wohl mit, als klar war, dass am 7. Dezember 2012 die letzte Ausgabe der FTD erscheinen würde. Aber es sind vor allem ÜberzeugungstäterInnen, die hier von einem der größten Verlage des Landes abserviert wurden. Indes, die Redaktion der FTD war nicht die einzige IdealistInnen-Kombo in der Zeitungslandschaft.
Auch der überschaubare Bereich der bundesweiten libertären Presse – Direkte Aktion (DA), Graswurzelrevolution (GWR) und jüngst auch Gai Dào – wird von ÜberzeugungstäterInnen betrieben. Hinter diesen Blättern stehen allerdings keine finanzkräftigen Verlage und auch die Anzeigenerlöse dürften, sofern vorhanden, sehr bescheidene Dimensionen nicht sprengen. Sie können also nicht einfach so dichtgemacht werden: ein entscheidender Vorteil der Selbstverwaltung. Dennoch besteht kein Grund, sich zurückzulehnen. Anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens fragte die Leipziger Anarcho-Postille Feierabend!, die im September 2002 erstmals erschienen war, selbstkritisch: „Wozu brauchen wir heute noch libertäre Printmedien?“ Darüber diskutierten neben einem Redaktionsmitglied des Feierabend! auch Mitwirkende von DA und GWR. Versammelt waren also libertäre Printmedien mit einer Gesamtauflage von vielleicht 6.000 Exemplaren. Eine verschwindend geringe Zahl.
Doch was sind „libertäre Printmedien“ überhaupt? Kurz und knapp: Meinungsblätter. Sie haben hierzulande in der Regel nicht die Ressourcen, eigene Recherche zu betreiben. (Dies trifft wohl nicht nur auf deutschsprachige Blätter zu; allein Spanien und Schweden mögen da Ausnahmen zu bieten haben.) Aber immerhin, mit einer eigenen Interpretation der Wirklichkeit und des aktuellen Geschehens tragen sie wesentlich zur Selbstverständigung der Aktiven bei und machen gewisse Diskussionsprozesse öffentlich. Das ist wichtig, denn der Bezug auf Geschichte und Theorie allein reicht für gesellschaftliche Resonanz nicht aus – nicht einmal hypothetisch. Dies trifft auch auf andere linksradikale Zeitschriften wie analyse & kritik, Barrikade, Die Aktion, Express, interim, Strike! und Wildcat zu, und gilt im Grunde auch für linke Zeitungen wie Freitag, junge Welt, Jungle World und Neues Deutschland: Als meinungsbildende und identitätsstiftende Medien sind sie wesentliches Element linker Selbstverständigung (und Abgrenzung). Im Unterschied zu den reinen Bewegungsblättern haben die professionellen Publikationen eine deutlich höhere Erscheinungsfrequenz und ihre Auflage pendelt um die 15.000 Exemplare – auch dies ist, im Vergleich zur kapitalistischen Presse, nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, wenngleich die Auflagenzahlen im Gegensatz zu den regulären Printmedien meist stabil sind, aufgrund des begrenzten aber treuen LeserInnenkreises. Ein ebenso entscheidendes Merkmal.
Vor diesem Hintergrund, und vor dem der Blogosphäre im Internet war die Frage nach der Nützlichkeit libertärer Printmedien gestellt. Trotz aller tektonischen Verschiebungen in der Medienlandschaft ist jedoch nicht damit zu rechnen, dass die Printmedien verschwinden werden. Schließlich federn sie einen Teil des Drucks der Echtzeitkommunikation ab und wirken der digitalen Demenz entgegen. Periodizität der Erscheinungsweise, Gewichtung und Konzentration der Themen bleiben wichtige Wesensmerkmale gedruckter Presse, die das Internet kaum zu bieten vermag. Darin waren sich die Diskutanten in Leipzig einig; so sehr, dass sich das Publikum sogar etwas mehr Disput gewünscht hätte.
Anlass dafür gäbe es genug. Böse Zungen könnten behaupten, schon in der geringen Auflagenhöhe zeige sich, dass die Presse Selbstzweck autoreferenzieller Liebhaberkreise sei. Dass das Modell des Organisationsorgans, das der bundesweiten libertären Presse zugrunde liegt, ein überholtes Relikt wäre. Ja, dass mit dem Wegfall dieser Presse ein Gutteil des Tätigkeitsfeldes linksradikaler Gruppen verschwände. Fest steht, dass insbesondere die libertäre Presse aufgrund ihres bescheidenen Entwicklungsstandes noch viel Potenzial hat. Von der Form her sollte sie den Anspruch angenehmer wie auch überraschender Erscheinung haben, und im besten Falle auch einen künstlerischen Wert. So könnten Printmedien zu Wandel und Neuerung der Bewegung in der Außen- und Selbstwahrnehmung beitragen. Vielfach jedoch halten libertäre Publikationen das Banner einer „Hierarchiefreiheit“ hoch, die sich in einer minimalen redaktionellen Tätigkeit ausdrückt und den Ressourcenmangel zur Tugend umdichtet. Dabei ist gegen eine Arbeitsteilung aus freiheitlicher Perspektive gar nichts einzuwenden – schließlich hat auch die anarchistischste Redaktion eine Verantwortung in erster Linie gegenüber der LeserInnenschaft, und nicht gegenüber dem oder der Schreibenden. Ein komplexeres Problem stellt die strukturelle Schwäche des ehrenamtlichen Engagements dar, das den Presseprojekten praktische Grenzen setzt. Will die libertäre Presse einmal an ihre historischen Vorbilder heranreichen und der marktwirtschaftlichen Presse Paroli bieten, besteht die Herausforderung für sie darin, diesen Status quo zu sprengen und über sich hinauszuwachsen. Seit Jahrzehnten schon sind sie ein Spiegel, kein Werkzeug der Bewegung.
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