Betrieb & Gesellschaft

„Die Angriffslust auf Contterm steigt“

Interview mit Sascha Schomacker von der Fachgewerkschaft deutscher Seehäfen - contterm

Seit 2009 besteht die Fachgewerkschaft deutscher Seehäfen – contterm in mehreren norddeutschen Hafenstädten. Zeitweise war die eher kämpferische und eher linksorientierte Spartengewerkschaft Teil des gelben „Christlichen Gewerkschaftsbundes“ (CGB), von dem sie sich jedoch bald wieder trennte. Zuletzt protestierte die Gewerkschaft gegen die Entsendung von Hafenbeschäftigten aus Wilhelmshaven, da dies zur Entlassung von Teilen der dortigen Belegschaft geführt hätte. Die DA sprach mit Sascha Schomacker, einzigem hauptamtlichen Sekretär bei Contterm und ehemaligem Ver.di-Vorstandsmitglied in Bremerhaven, über den bisherigen Weg der Gewerkschaft und das Verhältnis zu DGB und Ver.di.

Contterm ist mittlerweile in den drei größten deutschen Seehäfen präsent. Erzähl uns doch ein wenig über die Entstehung und das Werden der Contterm.

Etwa 17 Hafenarbeiter wollten sich 2009 die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen im Hamburger Hafen nicht mehr gefallen lassen. Also gründeten sie zunächst einen lokalen Berufsverband, der Mitte 2010 seine Aktivitäten verstärkte. In der Zwischenzeit schloss Ver.di in Bremerhaven Gefälligkeitsvereinbarungen zugunsten der Arbeitgeber ab. Lohneinbußen von 30% im Autofahrertarif stellten einen Affront gegen die aufrichtig arbeitenden Kollegen dar. Ab dem Jahr 2011 haben wir dann auch die Bremer Kollegen verstärkt vertreten. Heute haben wir einige hundert Mitglieder.

Organisiert ihr alle KollegInnen in Häfen? Wie weit fasst eure Organisierung?

Unsere Organisation umfasst zur Zeit nur den Umschlagsbereich in den Seehäfen.  Wir haben zwar auch schon Anfragen von Kollegen in den Werften und Windkraftunternehmen, sehen aber zur Zeit nicht die Möglichkeit, unsere Bestrebungen auf diese Branche auszudehnen. Einzelne Eintritte aus diesen Bereichen wären auch nicht im gewerkschaftlichen Interesse des potentiellen Mitglieds . Sollten jedoch einmal mehrere Kollegen auf einmal aus diesen Branchen einen eigenen Fachbereich in Contterm darstellen wollen, steht einer Ausweitung  der Organisation  nichts entgegen und sie erhalten unsere volle Unterstützung. 

Ihr Kollege Wolfgang Kurz erzählte gegenüber der taz, dass sich Ver.di nicht nur unsolidarisch gegenüber anderen Gewerkschaften sondern auch gegenüber kritischen Kollegen verhalte. Sie waren einst Funktionsträger bei Ver.di. Wieso der Wechsel zu Contterm?

Ich bin viele Jahre prekär beschäftigt gewesen. Insbesondere Leiharbeit wird von Arbeitgebern skrupellos zur Bereicherung genutzt. Im Jahre 2010 bin ich in Ver.di in dem für die Leiharbeit zuständigen Fachbereich in mehrere Vorstandsämter gewählt worden. Ich habe damals schon angekündigt, mich bedingungslos für die Interessen der Leiharbeitnehmer einzusetzen. Am 4. März 2011 erschien in der Nordsee-Zeitung ein von mir zu verantwortender Artikel mit der Überschrift: „Ausbeutung mit SPD-Segen?“. Darin habe ich darauf hingewiesen, dass sich die SPD in Bremerhaven mit einer stadteigenen Zeitarbeitsfirma zulasten der Arbeitnehmer bereichert. Equal Pay, faire Entlohnung: Fehlanzeige! Die Folge war, dass die Kollegen in Ver.di sauer reagierten, weil ich angeblich dem politischen Partner zusetze.

Als ich 2011 begann im Hafen zu arbeiten, musste ich feststellen, dass die Interessenskonflikte innerhalb der Gewerkschaft Ver.di wesentlich größer waren als ich jemals für möglich gehalten hätte. Schnell habe ich begriffen, dass die Gefälligkeitsvereinbarungen zugunsten der Arbeitgeber damit in Verbindung standen.

Gleichzeitig entdeckte ich aufrichtig arbeitende Kollegen, die von anderen Kollegen diskriminiert wurden, nur weil sie einer anderen Gewerkschaft angehören. So bin ich auf Contterm aufmerksam geworden. Die Kollegen in Contterm sind nicht korrupt und standen für faire Bedingungen und eine angemessene Bezahlung. Für mich war es wegweisend festzustellen, dass mit Ver.di im Hafen eine DGB-Gewerkschaft noch „gelber“ ist, als eine Gewerkschaft, die zum besagten Zeitpunkt beim Christlichen Gewerkschaftsbund organisiert war. Das war ein Gewerkschaftsschock.

Der Schritt in den CGB wirft immer noch einen Schatten auf die öffentliche Wahrnehmung von Contterm. Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Contterm hat sich schon Ende 2011 vom Christlichen Gewerkschaftsbund gelöst. Übrigens: Die Nähe zum CGB wird heute – wenn überhaupt – nur noch von Journalisten, die dem zuständigen Fachbereich von Ver.di nahestehen, verunglimpfend unterstellt. Hierbei zeigt sich aus unserer Sicht, wie wichtig der Deutsche Journalistenverband ist, wenn es darum geht, die Demokratie zu wahren. Gewerkschaftspluralismus ist daher – anders als 1933 – heute ein Garant für eine funktionierende Demokratie und Meinungsbildung.

Ansonsten hat Contterm damals versucht, bei IG Metall und DGB als eigenständige Fachgruppe unterzukommen. Doch die haben sich geweigert. Da die finanzielle Basis sowie grundlegendes Wissen über die Voraussetzungen zur Gewerkschaftsbildung fehlten, hatte man nach einem Hilferuf nur den Christlichen Gewerkschaftsbund und den DHV, der mit Rat und Tat zur Seite stehen wollte. Doch schon von der ersten Minute an haben sich die Kollegen nichts vom CGB/DHV diktieren lassen. Sie haben sich über die politische Ausrichtung beschwert und einen eigenen – linken – Anwalt verpflichtet. Der DHV hatte im Prinzip damals nur die Satzung ausgearbeitet, die Eintragung ins Vereinsregister gemanagt und den anfänglichem Bürokram gemacht. Einen echten Kooperationsvertrag gab es nie. Auch wenn der DHV darauf gedrängt hat, die zumeist linken Kollegen in Contterm haben den Versuchen sympathisch getrotzt.

Die Contterm scheint für die Funktionärsriege bei Ver.di ein Dorn im Auge zu sein.

Natürlich. Ver.di hat im Hafen Strukturen geschaffen, durch die sie selbst nicht mehr von den Arbeitgebern unterschieden werden kann. Große Interessenskonflikte, wie die Entsendung gleicher Gewerkschafter in die Aufsichtsräte großer Hafenfirmen und zugleich in die Entscheidungsgremien des GHB (Hafenbetreiber in Hamburg), stellen nicht zu leugnende Interessenskonflikte dar.

Zur Zeit wird beim GHBV (Gesamthafenbetriebsverein im Lande Bremen e.V.) in Bremen und Bremerhaven wegen der Veruntreuung von Geldern ermittelt. Ein Bezirksvorstand von Ver.di in diesem Betrieb wurde fristlos entlassen. Contterm setzt sich dafür ein, dass Vorteilsnahme und Veruntreuung zulasten der Arbeitnehmer bekämpft werden. Betroffenen Ver.di-Kollegen schwimmen die Fälle davon und die Nervosität steigt. Die Angriffslust auf Contterm steigt.

Der Stein des Aufregens, bei dem sich sogar eine örtliche Linkspartei einbrachte um die „Spaltung“ der KollegInnen zu verhindern ist ein derzeitiger Arbeitskampf. Können sie darüber mehr berichten? Und wie weit ist es bestellt im den Fakt der „Spaltung der Belegschaft“?

Für Contterm stellen demokratische Prinzipien ein hohes gut dar. Koalitionsfreiheit gehört dazu. Gleichzeitig ist der Vorstand von einer linken Politik überzeugt und unterstützt die Ziele und Forderungen der Linkspartei. Natürlich führt dies auch zu Konflikten innerhalb der Linken. Viele DGB-Mitglieder und Funktionäre bei den Linken haben sich abfällig über Contterm geäußert. Wir glauben jedoch, dass die Linke keine DGB-Bewegung braucht, sondern eine neue Gewerkschaftsbewegung. Überhaupt Organisiert zu sein, sollte u.E. wieder der Maßstab sein. Andersdenkende in der Linken auszuschliessen oder nicht zu unterstützen, nur weil sie vom DGB nicht mehr überzeugt sind, halte ich für unsolidarisch und nicht zielführend. Darüber hinaus glaube ich nicht, dass die Linke einen einseitigen DGB-Kurs überleben würde, weil von den 6 Millionen DGB-Mitgliedern nach Abzug der Mitglieder-Faktoren wie Überalterung, SPD-Seilschaften nicht genügend Wählerpotential vorhanden ist, die 5%-Hürde zu erklimmen. Es gilt daher aus meiner Sicht, die gesamte Nische links von der SPD mit Leben zu füllen. Am besten natürlich mir sovielen DGBlern wie möglich. Contterm schließt ja auch eine Zusammenarbeit mit Verdi und DGB nicht kategorisch aus. Ganz im Gegenteil: Wir fordern nur gewerkschaftliche Integrität.

Die Frage der gewerkschaftlichen Integrität könnte man auch anhand der Leiharbeit stellen. Für contterm stellt die Leiharbeit ein zentrales Problem dar…

…Leiharbeit ist für Contterm ein Problem! Wir lehnen sie als menschenverachtend ab. Außerdem sind gerade für Spartengewerkschaften die Hürden zu streiken recht hoch. Wenn das Unternehmen dann -vielleicht sogar noch mit Billigung der größeren etablierten Gewerkschaft- Streikbrecher einsetzt, stellt dies auch einen Angriff auf die Koalitionsfreiheit des Einzelnen dar. Aus diesem Grund haben wir auch auf die Zeitarbeitsfirma des DGB, die „Weitblick Personalpartner GmbH“, aufmerksam gemacht. Hier hat die Firma des DGB sogar Streikbrecher eingesetzt. Inzwischen wissen wir, dass dies noch nicht einmal die einzige Zeitarbeitsfirma mit Eigentumsanteilen des DGB ist.

Die standort-nationalistischen Tendenzen im DGB sind unerträglich. Man verspricht sich Vorteile durch flexible Arbeitskräfte in den von der Exportwirtschaft abhängigen Branchen und stellt hierbei das Wohl der Wirtschaft über das Wohl des Arbeitnehmers. Darüber hinaus gibt es schon ein neues Problem: Ausländische Leiharbeiter, z.B. aus Polen. In Bremerhaven haben Zeitarbeitsfirmen schon reihenweise Mehrfamilienhäuser gekauft, um demnächst ausländische Leiharbeiter einzusetzen. Nicht nur das persönliche Schicksal der Leiharbeiter ist bedrückend, sondern die Bereitschaft der zahlreichen Neoliberalen im DGB, durch die Billigung von Leiharbeit schwerste gesellschaftliche Verwerfungen zu akzeptieren. Dies kann im ungünstigsten Fall den Beginn einer neuen nationalistischen Bewegung begründen.

 

Ihr sagt, eure Arbeit sei ehrenamtlich. Wie läuft der Gewerkschaftsalltag ab?

Contterm ist ein gewerkschaftliches Novum in Deutschland. Wir sind eine Spartengewerkschaft, aber nicht elitär, weil wir uns auch für die Beschäftigten mit Niedriglöhnen einsetzen. Wir sind basisdemokratisch. Es gibt zwar klare Hierarchien, aufgrund des bewusst geförderten kollegialen Charakters und des großen demokratischen Selbstverständnisses kann sich bei uns jeder einbringen und wird gehört. Transparenz wird großgeschrieben. International stehen wir für eine enge Zusammenarbeit. So war unser Vorstand Wolfgang Kurz gerade in Italien, um mit Verantwortlichen u.a. der CGIL zu sprechen. Wir haben eine enge Zusammenarbeit vereinbart, damit Hafenarbeiter nicht international gegeneinander ausgespielt werden. Es wird auf jeden Fall auch hier eine ganz neue europäische Gewerkschaftsbewegung mit uns geben, die auf Ausgleich und nicht auf Standortnationalismus setzt, wie ihn DGB-Gewerkschaften praktizieren. Alle Funktionäre, außer mir, sind ehrenamtlich tätig. Meine hauptberufliche Aufgabe besteht auch darin, das Ehrenamtsprinzip mit aufzubauen und zu fördern.

Vielen Dank für das Gespräch!

Sebastien Nekyia

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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Sebastien Nekyia

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