So ziemlich jeder deutscher Rapper (die männliche Form ist hier bewusst gewählt), der in den letzten Jahren irgendwie erfolgreich war, hat schon mehrfach einen Abgesang auf den „toten“ Rap angestimmt – in der Semantik des „alle wack bis auf mich und meine Freunde“, freilich mit der Absicht, sich derart als „last man standing“ in Szene zu setzen. Der dabei angestimmte pseudo-nostalgische Ton über die guten alten Zeiten wirkt jedoch oftmals als billiger Abklatsch der Old-School-Romantik der US-amerikanischen Vorbilder. Ohne die kulturelle Leistung der ersten Deutsch-Rap Pioniere der 80‘er Jahre in Abrede stellen zu wollen, ist die Suggestion, sich per Konsum einer bestimmten Art des HipHops einer ursprünglichen HipHop-Szene zurechnen zu können, nichts weiter als einigermaßen clevere Verkaufstaktik. Umso abgedroschener klingen Versversatzstücke wie „Wir war´n schon immer da“, die sich wortwörtlich gleich bei mehreren Rap-Acts finden lassen und nur noch als Teil des unzählbar oft durchgekauten Battlerepertoires fungieren. Überhaupt ist es so eine Sache mit der HipHop-Kultur in Deutschland und ihrer Rezeption. So gab es in den 90‘er Jahren eine ausgeprägte Underground-Attitüde in vielen deutschen Rapsongs und auch im Verhalten vieler Fans dieser Musik, ohne dass es einen solchen Underground im Sinne verschiedener, sich überlappender und abstoßender Szenen gegeben hätte, die sich bewusst von einem Mainstream hätten abgrenzen können; vielmehr war die Subkultur „HipHop“ in den 90‘ern ganz wesentlich von der Aufmerksamkeit vor allem des Musikfernsehens geprägt. Die Explosion an Acts, Events und Fankultur war direkt an die Profitinteressen der Unterhaltungsindustrie gebunden – ob Freundeskreis, Absolute Beginner, Dynamite Deluxe oder Curse, sie alle beschworen zwar ihre Autonomie und Distanz gegenüber dem Business, und doch entsprangen sie alle dem Hype, an den sie durchaus glaubten. Dass alsbald von denselben Akteuren Lieder über ihre angebliche Verbitterung über eine Kommerzialisierung des HipHop angestimmt wurden, ist schon fast selbstironisch. Diese Underground- und Old-School-Romantik hat ihre soziale Basis paradoxerweise erst heute: Durch die vereinfachten Bedingungen bei der Selbstproduktion von Rapstücken und der Erschließung dieser Musik für die in Deutschland seit eh und je populären Ausdrucksformen aggressiver Männlichkeit durch die entsprechenden Ikonen Sido, Bushido und wie sie alle heißen, gibt es nun in jeder Region eine entsprechende Szene, die diese Art der Interpretation des Raps auch tatsächlich lebt – selbstorganisiert, fernab des Kommerzes und des Mainstreams, aber vollgepumpt mit den schlimmsten Formen des Bewusstseins einer falschen Gesellschaft.
Und wenn du denkst, es geht nichts mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her
Natürlich gab und gibt es nebenher schon immer auch jene Musik, die sich – ob als Fremd- oder Selbstzuschreibung – als „Politrap“ oder „linker HipHop“ bezeichnen ließe. Alles andere wäre auch verwunderlich, ist doch der Rap die Musikgattung, in der am meisten Text und somit vermeintlich auch Inhalt in einen Song gepresst werden kann. Und so hören sich viele linke HipHop-Beiträge auch an; Politrap ist bisher zwar nicht ausschließlich, aber doch größtenteils die Sache von dezidierten Chefideologen gewesen, die sich oftmals einem speziellen linkem Spektrum zuordneten und deren Themen eins nach dem anderen durchkauten. Statt gelebtem HipHop-Lifestyle von links fand so eher eine Adaption linker Flugblattrhetorik unterlegt mit Beats statt. Dass es auch anders geht, will nun der Künstlerinnen- und Künstlerzusammenschluss „Ticktickboom“ unter Beweis stellen. Von Nürnberg bis Bremen, von Berlin bis Hamburg vereinigten sich mal mehr, mal weniger bekannte Acts unter einem Dach und stellten am 17.1. im Berliner SO36 und am 19.1. in der Hamburger Roten Flora eine so genannte „Zeckenrap-Gala“ auf die Beine. Beide Gigs wurden heillos überlaufen, die SO36 war lange vor dem Datum ausverkauft, vor der traditionell vorverkaufsfreien Roten Flora bildete sich eine lange Schlange wartender und vor Kälte bibbernder Menschen, viele von außerhalb angereist, und so einige konnten wegen Überfüllung nicht mehr in die Flora hineingelassen werden. Somit waren die beiden Abende als Auftakt von Ticktickboom schon mal ein deutliches Statement gegenüber der Rap-Szene, wie es ja auch schon der Slogan der Zeckenrap-Gala war. Der hier zum Ausdruck kommende spielerische Umgang mit den Zuschreibungen und Abwertungen innerhalb des Rap-Genres markiert schon eine gewisse Lockerheit, der so einigen verbissenen Politrappern eindeutig fehlt. So geht es bei Ticktickboom auch ganz wesentlich um grundsätzliche Haltung, um Attitüde und die Kontexte, in denen Musik und Konzerte stattfinden – und nicht in erster Linie um die Entfaltung einer thematischen Programmatik. Ticktickboom zeichnen sich dabei auch durch künstlerische Vielfalt aus, was der Neologismus „Zeckenrap“ aufgrund beschriebener einschlägiger Erfahrungen erstmal nicht unbedingt vermuten lassen würde. Die Neonschwarz-Combo um den schon etwas länger in autonomen Kreisen bekannten Johnny Mauser etwa gehen die Sache etwas sanfter an als ihre Bremer Kollegen von Radical Hype. Und bei Refpolk, Kobito oder Sookee aus Berlin werden schnelle Raps und ausdrucksstarke Hooks über Beats gelegt, die ohne die Stimmen auch als eigene Tracks auf Elektropartys laufen könnten. Eine wichtige Motivation für die Zusammenarbeit bei Ticktickboom ist den Künstlerinnen und Künstlern indes, so auch etwas Neues entstehen zu lassen – also die auch und gerade zwischen den linken Spektren und Rapstilen vorhandenen Abgrenzungstendenzen zumindest im Kleinen positiv aufzuheben, und so die eigene Wirkung zu vergrößern. Davon profitieren werden aktuelle Projekte, wie etwa die Überschüsse des Konzertes im SO36 dem Refugee Protest Camp in Berlin zugutekamen. Was die erhoffte Wirkung in die Rapszene hinein angeht, so wurde auf den Galen deutlich, dass es sich weder um eine arrogante, belehrende Aktion des erhobenen Fingers, noch um eine anbiederische Strategie zur politischen Erschließung dieser Subkultur handelt: Ausgiebig wurde an den beiden Tagen der „Zeckenrap“ gefeiert, wurde ausgelassen die Idee der HipHop-Kultur mit Leben gefüllt.