Berlin-Friedrichshain, knapp an der Grenze zu Lichtenberg, ein paar Räume im oberen Stock eines früheren DDR-Kindergartens, in dem ein Polit-Techno-Club Hauptmieter ist. Vor dem Haus ein bemalter Holzzaun, ein paar Bauwagen stehen da noch, es gibt weitere Künstler und Handwerker auf dem Gelände. Rundherum eher Niemandsland, der Bahnhof Ostkreuz, derzeit eine Baustelle. Wenn der mal fertig ist, dann wird vielleicht auch diese Gegend „aufgewertet“, zudem schiebt sich die Gentrifizierung vom Boxhagener Kiez her vor. Aber heute noch nicht.1 Es ist 11 Uhr vormittags, draußen Dauerfrost, drinnen ein Holzofen schon in Gang gesetzt, trotzdem ist es recht frisch und die Zimmertür bleibt besser zu. Hierfür gibt es einen automatischen Türschließer: als Gegengewicht fungiert eine gefüllte Wasserflasche, die an einem Bindfaden hängend über einen Bügel läuft – willkommen in der DIY-Welt.
Als Zusammenhang besteht Czentrifuga seit 2001, damals gegründet als „Fleischerei“, in einer früheren Fleischerei in Berlin-Mitte. 2008 mussten sie da raus, fanden neue Räume am Mariannenplatz in Kreuzberg (in dem Zuge erfolgte auch die Umbenennung in Czentrifuga), 2010 ging‘s dann nach Friedrichshain. Schon diese Wanderschaft zeigt, die Czentrifuga ist wandelbar, aber es gibt Kontinuität, oder auch: Beharrlichkeit. Zu den Konstanten gehört eine Kerngruppe von etwa 6-7 Leuten, die die Infrastruktur aufrechterhalten, was angesichts permanenten Geldmangels schwer genug ist. Diese Leute gehören zumeist der Generation an, die sich Ende der 80er Jahre für Hausbesetzungen, Wagenplatz-Leben usw. interessierte, andere, auch jüngere, sind hinzugekommen. Die zweite Konstante ist die Anbindung an den Verein „Unter Druck – Kultur von der Strasse e.V.“, der sich die Förderung von Selbstbehauptung und Partizipation Wohnungsloser und anderer sozial Ausgegrenzter zum Ziel gesetzt hat. Czentrifuga ist der „Geschäftsbetrieb“ des Vereins, unterstützt diesen mit Plakat- und Flyergestaltungen, Benefiz-Auktionen und anderweitig, etwa die Theaterprojekte, die ein wichtiges Element der Arbeit des Vereins sind. Diese Kooperation ist mal intensiver, mal weniger, und so ist es auch mit einer Vielzahl von Einzelpersonen und Projekten, mit denen zusammengearbeitet wird, kurz- oder längerfristig, auch erneut nach langen Pausen. Dazu gehört, mit wem eine Zusammenarbeit klappt. Wie vielfältig dieses Netzwerk ist, lässt sich schon sehen, wenn mensch sich mal durch die entsprechenden Websites klickt.
Im Zentrum steht die Siebdruck-werkstatt. Gedruckt werden Bücher, Plakate, Platten-Cover, Flyer, T-Shirts usw., zumeist eigene Projekte, teils aber auch Auftragsarbeiten. Zur Czentrifuga gehören aber auch GoGo Trash (Performances unter Verwendung von aus Plastik-Abfällen gefertigten Kostümen) sowie Leute, die Stop-Motion-Trickfilme herstellen, oder Coost, der vor allem Musik und Performance macht. Angeboten werden auch Workshops, und schließlich machen die Kooperationen einen wesentlichen Teil der Arbeit aus. Eine wichtige Rolle spielt die Verknüpfung unterschiedlicher Medien, vor allem mit Musik. Überhaupt, Musik machen so einige von denen. Der Live-Bezug sei ihr wichtig, sagt eine, wie es auch bei Flyern, Plakaten usw. eben darum ginge, Kunst zu machen, die in den Alltag reicht. Coost sagt (mit englischem Akzent), die Musik sei auch für den Zusammenhang der Leute wichtig, gerade weil sie so international seien. Diese Internationalität sei von Anfang an vorhanden gewesen, und besonders, seitdem Czentrifuga an Projekten mit Grundtvig-Förderung2 beteiligt sei. Ihres heißt: „DIY – Do It Yourself! Self Empowerment through Skill Sharing“ – 10 Wohnungslosen-Projekte aus 6 Ländern sind mit dabei. Dass solche Förderung auch kontrovers diskutiert werden kann, ist ihnen klar, aber sie haben sich doch dafür entschieden: „Letztlich machen wir nur das, was wir sowieso machen“, nur intensiver, weil eben mehr Geld für Reisen usw. da sei. Zudem: auch wenn die Förderung mal weg sei, die Kontakte mit den Gruppen blieben bestehen.
Themen und künstlerische Ansätze sind nur schwer auf den Begriff zu bringen, auch worin denn das Politische an dieser Kunst besteht. Rohkultur oder Rohkunst nennen sie es selber. „Recht auf Stadt“ kommt vor und einiges aus dem Bereich Gender. Beat sagt, er arbeite zu dem, womit er konfrontiert werde. Einer geht es um Alternativ-Bilder zum Normierten. Es sei heute politisch, auf dem Recht auf einen eigenen Ausdruck zu bestehen. Dann gibt es da aber auch kühl-konstruierte Arbeiten und freundlich-bizarre – es ist nicht leicht zu fassen.
Und die Struktur? Wie funktioniert das? Wer eine Idee hat, teilt es den anderen mit, persönlich oder eben per E-Mail. Die, die das interessiert, nehmen den Faden auf. Und wenn es mal richtig was zu entscheiden gibt, die Infrastruktur betreffend oder größere Gemeinschaftsprojekte: dann gibt’s eben ein Meeting. Das Politische an Kunst kann eben im Inhalt liegen, in der Form oder in der Unterstützung von Initiativen etc., in der Organisationsform selbst oder im sozialen Zusammenhang selbst. Als kürzlich anderswo die Eröffnung einer kleinen Czentrifuga-Ausstellung anstand, wurde mit vereinten Kräften ein Buffet zusammengeschraubt, mit Käsespießen und Bulettchen und Rührkuchen. Wer sich ein Bier nahm, fragte, wer denn jetzt das Geld dafür bekäme.
Mittlerweile sind zwei weitere MitstreiterInnen eingetroffen, dazu ein Hund. Kalt ist es immer noch, obwohl’s im Ofen glimmt. Aber sie haben ja jetzt diesen Ofen, und sowieso, nicht einmal am Ostkreuz kann jeden Monat Januar sein.
Eine große Czentrifuga-Ausstellung gibt es vom 8.3. bis zum 1.4. 2013 in der Galerie Neurotitan (Berlin).
[1] ↑ Eine Diskussion des behaupteten oder tatsächlichen Zusammenhangs von dem Zuzug von Künstlern und Gentrifizierungsprozessen passt hier vom Platz her nicht.
[2] ↑ Ein EU-Programm für Erwachsenenbildung. Eine unglückliche Namenswahl: Dieser Grundtvig war ein dänischer Theologe und Liberaler des 19. Jahrhunderts, der als einer der Begründer der modernen Erwachsenenbildung gilt. Dazu vertrat er besonders irre völkische Theorien, weshalb sich heute auch Neu-Rechte auf ihn beziehen.