Gespräch mit Schorsch Kamerun über kulturelle Interventionen, nervende Graffiti und die notwendige Solidarität mit dem Hamburger Sprayer OZ
In Hamburg steht der Sprayer Walter F. alias OZ zum x-ten Mal wieder vor Gericht. Insgesamt 8 Jahre musste der unermüdlich seine Zeichen auf verdreckte Tunnelwände, graue Bunkerwände und Verteilerkästen sprühende OZ dafür in den letzten 30 Jahren im Gefängnis verbringen. Für das Buch Free OZ! fragte ich Schorsch Kamerun, Sänger der Goldenen Zitronen und inzwischen auch Theatermacher, ob er sich mit ihm solidarisch fühle. „Ganz grundsätzlich bin ich der Auffassung, dass es bei OZ erst mal um eine Selbstverwirklichung geht, eine Art von Intervention, sich bemerkbar zu machen, sich einzumischen.“ Das solle, sagt Schorsch Kamerun, eine Gesellschaft tragen und aushalten können. Eine Debatte zu führen, die sich darum drehe, wo der Nächste in seinen Rechten unzulässig berührt sei, fände er unheimlich kompliziert. Als „weiterhin fröhlicher Vorgabenverachter“ möchte er sie aber erst gar nicht führen: „Ich habe keinen Bock über Strafrecht zu diskutieren.“
„Trotzdem bleibe ich auf seiner Seite und bin dafür, dass solche Dinge möglich sind und dass die nicht unterdrückt werden. Wenn man dafür sorgt, dass sich jemand mit seiner Ausdrucksart zurückzuhalten hat, halte ich dies schon für einen bekämpfenswerten autoritären Akt.“ Daher nehme er OZ mit rein in die „künstlerische Verwandtschaftsgruppe“. Denn was OZ mache, habe etwas mit einer freiheitlichen Darstellungsweise zu tun und sei ein künstlerischer Ausdruck. Darüber wolle Schorsch Kamerun nicht streiten. „Über Kunst lässt sich objektiv nicht verhandeln, sie muss immer alle Optionen wahren.“
Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Streetart bzw. Graffiti stellt sich unweigerlich die Frage, ob diese Kunstform allein als Genre überhaupt noch über ein irgendwie geartetes subversives Potential verfügt? Der immer wieder in diesem Zusammenhang zitierte Jean Baudrillard sprach gerade den scheinbar inhaltlosen Zeichen eine subversive Kraft zu. Das war 1977 und der nicht mehr zu übersehende Zeichen- bzw. Siegeszug von Streetart war noch gar nicht voraus zu sehen. Aber was sagt ein Graffiti à la OZ heute noch aus? „Ich erlebe das, was OZ macht, auch als eine Art von Einmischung in den öffentlichen Raum, und da bin ich prinzipiell dafür.“ Beim überzogenen Umgang mit OZ habe er das Gefühl, dass hier ein Exempel statuiert und jemand gebrochen werden solle. Dieser Fall werde deswegen so grundsätzlich wahrgenommen, weil sich hier jemand besonders zäh und unerschrocken gegen Autoritäten auflehne.
Allerdings, betont Schorsch Kamerun, handele es sich bei dem, was OZ mache, um eine „scheinbar radikale Art von Gestaltung von Öffentlichkeit“. Nur, ob solche Zeichensetzungen noch ihre gewünschte Wirkung haben, scheine ihm zweifelhaft, „denn die vordergründig radikalste Kunst landet heutzutage am schnellsten im Museum“. Zudem empfinde er Graffiti, auch die von OZ, nicht mal mehr als Gegenkultur. „Überhaupt kann ich nur sagen, Graffiti nerven mich meist in ihrer überwiegenden Inhaltslosigkeit oder bloßen Markierung. Das ist wie ein klischeehafter Punksong, an den ich nicht mehr glauben kann, wie ein Irokesenschnitt bzw. wie ein Che-T-Shirt.“ Heute bedürfe es anderer Auftritte und subtilerer Überlegungen. „Zum Beispiel gefallen mir die Ansätze der Occupy-Bewegung mit ihrer Verweigerung von zu greifbaren Oberflächen, die sich sonst sofort ‚vermedialisiert‘ hätten.“ Aber grundsätzlich sei ihm „ein OZ-Schnörkel schon lieber als ein Paragraphen-Kringel“.
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