Kultur

Annäherungen an Franz Jung

Gespräch mit Lutz Schulenburg aus Anlass der Neu-Herausgabe von Jungs Das Trottelbuch

„Franz Jung ist ein von Herzen abenteuerlicher und vom Typus her avantgardistischer Literat. Für mich als Leser war er ein ganz besonderer Literat: zugleich umtriebig und Getriebener, Zeitgenosse und natürlich Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse. Aber er war jemand, der seine Zeit sehr genau wahrgenommen hat und immer an Orten war, an denen sich etwas entschieden hat“, antwortet Edition-Nautilus-Verleger Lutz Schulenburg auf die Frage nach dem Faszinierenden an der Person Franz Jung.

Franz Jung war nicht nur Verfasser expressionistischer und dadaistischer Texte und Mitglied im Berliner Club Dada zusammen mit Richard Huelsenbeck, Johannes Baader, Raoul Hausmann, Wieland Herzfelde, John Heartfield, George Grosz und Walter Mehring. Als Wirtschaftsanalytiker und Börsenkorrespondent schlug er sich durch, zugleich betätigte er sich als Agitator und nahm aktiv teil an allerdings gescheiterten Aufständen wie z.B. in Mitteldeutschland an der Seite von Max Hölz. Franz Jung zählte zu den Mitbegründern der rätekommunistischen KAPD. In deren Auftrag war er beteiligt an der spektakulären Schiffsentführung, um auf dem Seewege von Cuxhaven nach Russland zu gelangen. Dort wurde jedoch erfolglos mit Lenin über den Beitritt der KAPD in die III. Internationale verhandelt.

1912 verkehrte der 1888 in Neiße/Schlesien geborene Franz Jung in Berliner Boheme-Kreisen. „Damals veröffentlichte er Das Trottelbuch, ein noch ganz in der Epoche des Expressionismus angesiedeltes Buch. Jung hat zu der Zeit bereits seine typische Schreibweise und Entdeckungsfreudigkeit vorgezeigt und seine besondere Wahrnehmungsintensität bis an sein Lebensende praktiziert.“ Franz Jung, erzählt Lutz Schulenburg, sei zum Studium nach Berlin, München und Leipzig gekommen. Den größten Teil seiner Studien habe er mit dem Lernen des Trinkens verbracht. „Er konnte sehr viel vertragen. Das haben alle gesagt, die ihn kannten. Später hat er plötzlich gar nichts mehr getrunken. Sein Quantum hatte er wohl erfüllt. Vielleicht rührt daraus sein leicht ironischer Wesenszug. Das ist aber nur ein Aspekt seines Boheme-Lebens, der nicht zu stark betont werden sollte. Franz Jung war auch Mitglied einer schlagenden Verbindung und ist dann in literarische Kreise um Franz Pfemferts Zeitschrift Die Aktion hineingeraten.“

Franz Jung wollte Dynamik zeigen

Als Reminiszenz an die 1912 erfolgte Veröffentlichung und als Erinnerung an den vor 50 Jahren Verstorbenen kann die Neu-Herausgabe von Jungs Schrift Das Trottelbuch verstanden werden. „Daher haben wir diesen Band aus unserer gesammelten Werkausgabe herausgenommen und in einer Extrapublikation veröffentlicht als Musterbeispiel eines neuen, modernen und zeitgenössischen Geistes.“ Bei seiner Erstveröffentlichung hatte das Buch heftige Reaktionen ausgelöst, die Lutz Schulenburg so beschreibt: „Jung hat ja immer gesagt, wir stellen die Erlebnisintensität und Erlebnisspitzen in den Vordergrund und lassen den ganzen Romanquatsch weg. Zum Beispiel durch Verkürzungen. Handlungsstränge wurden von ihm nicht ausgepinselt. Er wollte Dynamik zeigen und Konflikte zum Ausdruck bringen.“

Franz Jung wird von Lutz Schulenburg begriffen „als Teil einer geistigen literarischen Strömung, deren Mitglieder ein anderes Verhältnis zur Wirklichkeit, zum Schreiben und zur Kunst suchten und die mit ihren Themen und ihrem Auftreten natürlich die etablierte Ordnung, das wilhelminische Kaiserreich und den deutschen Imperialismus, vehement in Frage stellten“. Im Trottelbuch hat Franz Jung Spannungsszenerien zwischen Frauen und Männern sehr intensiv ausgemalt. Und Lutz Schulenburg fährt fort: „Diese sich im Expressionismus ausdrückende Geisteshaltung, die Darstellung der Konflikte um die Rolle der Geschlechter hat besonders nachhaltig einen Teil der rebellischen Jugendbewegung um 1968 inspiriert.“

„Ich schreibe nur aus mir selbst heraus“

Franz Jung beginnt seine programmatischen Einleitung im Trottelbuch: „Um einen Tisch des Café du Dôme saßen mehrere Herren. Eine Frau schritt draußen am Fenster vorbei. Sie hatten sie alle gekannt, und einige kannten sie noch. Einer las vor: Zwei junge Burschen stolpern aus einer Vorstadtkneipe in die Nacht. Blutjunge Burschen und sehr betrunken. Sie schlagen das Pflaster mit ihren Stöcken, sie johlen, krümmen sich vor Lachen, und sie schleppen die schwer gewordenen Füße hinter sich her, dass sie von fern wie hinkende Greise erscheinen. Eine Katze huscht über den Weg.

Die Betrunkenen bleiben stehen, die Lässigkeit ist aus ihren Gliedern gewichen, ein Rausch ballt sich zusammen. Sie jagen dem Tier nach, verstellen den Weg, sie schlagen mit ihren Stöcken – als ob das Tier schuld wäre an ihrer Jugend und ihrer Betrunkenheit, so schlagen sie.“

1959 schrieb er an seine Gefährtin Cläre: „Ich gehöre nicht zu den Schriftstellern, die schreiben, was geschrieben werden soll, damals ebenso wie heute. Ich schreibe nicht aus einer Idee, einer Theorie und aus einer ‚Gemeinschaft‘ heraus, sondern nur aus mir selbst heraus, nur für mich, und in meinem Falle meistens gegen mich.“ Und dieses gegen ist letztendlich ein wahrhaftiges für. Daraus resultiert noch heute die eruptive und manchmal verstörende Kraft seiner Werke, die es wieder und neu zu entdecken gilt.

 

Jung, Franz: Das Trottelbuch. Edition Nautilus, 9. Januar 2013, 96 Seiten, ISBN-10: 3894017732, 14,00 EUR

 

 

 

 

 

 

KP Flügel

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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