Ende März war die Zypernkrise in Deutschland das große Thema in den Medien. Die Insel, die bisher vor allem als Urlaubsziel für deutsche TouristInnen bekannt war, nahm im populistischen Krisendiskurs die Rolle Griechenlands ein. Nach dem Gerede von den Pleitegriechen folgte nun die russische Mafia, die angeblich den zypriotischen Bankensektor übernommen hätte. Dabei wird nur einmal mehr deutlich, wie schnell im herrschenden Diskurs kapitalistisches Handeln national aufgeladen wird und umstandslos aus dem allseits hochgelobten unternehmerischen Handeln eine Mafia und kriminelle Seilschaft werden kann.
Wie im populistischen Diskurs üblich, muss man sich um Fakten und Argumente nicht kümmern. Sonst müsste man zuerst feststellen, dass in erster Linie das Diktat der EU-Troika gegenüber Griechenland Zypern in die Krise gestürzt hat. Diese Entwicklung war angesichts der großen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Griechenland und dem griechischen Teil Zyperns, um den es hier geht, nicht überraschend. Die enge wirtschaftliche Verflechtung mit Griechenland war für die zypriotische Wirtschaft wesentlich wichtiger als die russischen Bankengeschäfte. Auch das Gerede vom aufgeblähten zypriotischen Bankensektor wird von Winfried Wolf hinterfragt.
„Im übrigen ist der Finanzsektor in Zypern nicht wesentlich größer als derjenige in der Schweiz. Er ist bereits kleiner als derjenige in Malta. Er wird von demjenigen in Luxemburg um ein Vielfaches übertroffen“, schreibt der der Linkspartei nahestehende Publizist in der Zeitschrift Lunapark.
Besonders häufig liest und hört man, dass Zypern über seine Verhältnisse gelebt habe. Mit solchen reaktionären Ideologemen wird suggeriert, dass die gesamte zypriotische Bevölkerung vom Bankensektor profitiert hat und jetzt bloß nicht auch noch auf die Idee kommen soll zu protestieren, wenn sie den Gürtel enger schnallen muss. Solche sozialchauvinistischen Töne, die auch schon im Fall von Griechenland zu hören waren, werden auch von Lohnabhängigen in Deutschland verwendet und dann noch gerne mit dem Hinweis garniert, welche großen Opfer man selbst für den Standort Deutschland bringt und wie wenig Verständnis man daher aufbringt, wenn jetzt an der europäischen Peripherie protestiert und womöglich auch noch gestreikt wird.
Tatsächlich könnten die deutschen Lohnabhängigen von den zypriotischen KollegInnen lernen. Denn dort existierte eine kämpferische Gewerkschaftsbewegung mit einem hohen Organisationsgrad, deren Mitglieder in der Lage waren, erfolgreiche Arbeitskämpfe zu führen. Ihre Wurzeln liegen in den Kupferminen der britischen Kolonie Zypern, als sich die Beschäftigten vor nunmehr fast 80 Jahren gegen die miesen und gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen mit langen Streiks wehrten. Aber auch nach der Unabhängigkeit des Landes blieben die zypriotischen Gewerkschaften ein Machtfaktor und setzten in den 70er Jahren eine automatische Angleichung der Löhne an die Inflationsrate durch, wie er in Italien als „Scala mobile“ bekannt geworden war. Diese Erfolge einer kämpferischen Gewerkschaftspolitik werden mit dem dümmlichen Satz, die Zyprioten hätten über ihre Verhältnisse gelebt, denunziert.
Obwohl die EU-Pläne für Zypern zur Entlassung von tausenden Beschäftigten im Bankensektor führte, findet man kaum deutsche Übersetzungen von Erklärungen der Gewerkschaft der Bankangestellten auf Zypern. Dabei sollte eine linke Antwort auf den deutschen Euronationalismus statt in ethnisierenden und hohlen Parolen a la „Solidarität mit Griechenland“ oder „Solidarität mit Zypern“ in der Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen bestehen, die sich gegen die Verschlechterung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen durch die EU-Politik wehren. Lediglich die FAU Frankfurt/Main hat im Rahmen des M31-Bündnisses einen solchen Vorschlag gemacht, der in einem Großteil auch der außerparlamentarischen Linken ignoriert wird.
Im griechischen Teil Zyperns gibt es zwei große Gewerkschaftsbünde,
die PEO (Gesamtzyprischer Gewerkschaftsbund) und die SEK (Zyprischer
Gewerkschaftsbund) sowie einen kleineren Gewerkschaftsbund, die DEOK
(Demokratische Arbeiterföderation).
Wichtige Einzelgewerkschaften sind darüber hinaus die der
ArbeitnehmerInnen im öffentlichen Dienst, der Bankangestellten und
LehrerInnen. In ihren Gründungsgeschichten beziehen sich die
Gewerkschaften auf die britische Kolonialgeschichte Zyperns und somit
auf die Repression und die Verbote der Gewerkschaften.
Die beiden großen Gewerkschaftsbünde sind ähnlich groß. Laut
offiziellen Angaben hat die PEO 81.500 und die SEK 71.600 Mitglieder.
Die PEO wurde ursprünglich 1941 gegründet, änderte jedoch ihren Namen im
Jahr 1946, als die damalige britische Kolonialregierung die
Organisation für illegal erklärte und verbot. Sie ist nach wie vor im
linken politischen Spektrum angesiedelt. Die 1943 gegründete SEK steht
den Parteien der politischen Rechten und der Mitte näher. Der dritte
Gewerkschaftsbund (DEOK) mit 8.800 Mitgliedern hat Verbindungen zur
sozialdemokratischen Partei. Gewerkschaften, die keinem
Gewerkschaftsbund angeschlossen sind, sind vor allem die Gewerkschaft
für den öffentlichen Dienst PASYDY mit 16.400 Mitgliedern, die
Gewerkschaft für Bankangestellte ETYK mit 9.700 Mitgliedern, die
Gewerkschaft für Sekundarschullehrer OELMEK mit 4.600 Mitgliedern und
POED, eine weitere Lehrergewerkschaft mit 4.500 Mitgliedern.
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