Im vergangenen Jahr sind zwei Bücher zur Geschichte der radikalen Linken erschienen, die auch für LeserInnen der DA von Interesse sein dürften.
Da wäre zum einen der Streifzug durch die Geschichte linksradikaler Klassenbewegungen von Roman Danyluk, der unter dem Titel Befreiung und soziale Emanzipation sich mit den drei wichtigsten Strömungen der Arbeiterbewegung abseits der etablierten Sozialdemokratie bzw. des Parteikommunismus beschäftigt: der Rätebewegung, dem Operaismus und dem Syndikalismus. Danyluk handelt die drei Bewegungen nacheinander ab, er zeichnet ihre theoretischen Grundzüge ebenso nach, wie ihre Praxis, legt ihre Schwächen bloß und verweist auf bewahrenswerte bzw. weiterzuentwickelnde Tendenzen in diesen Strömungen.
Herausgekommen ist ein flüssig zu lesendes Einführungsbuch, das sich vorrangig an junge Aktive richtet, die sich einen Überblick über die Wurzeln heutiger Gruppen und Strömungen der Klassenlinken verschaffen wollen. Er verzichtet daher weitgehend auf Quellenhinweise, was sicher der Lesbarkeit dient, es aber auch denjenigen schwer macht, die sich tiefer mit der Materie auseinandersetzen wollen.
Was die Lektüre angenehm macht, ist das Fehlen jeglicher Polemik oder Besserwisserei. Dem Autor ist seine Sympathie für die behandelten Strömungen anzumerken, was ihn aber auch nicht blind macht für deren Schwächen. Mitunter wird die Bedeutung der einzelnen Bewegungen überzeichnet – so sind beinahe alle erwähnten Gruppen und Ereignisse als „äußerst bemerkenswert“ dargestellt worden. Das mag im Vergleich zu ihren politischen Ahnen heutzutage sicher oft der Fall sein, maßgeblichen Einfluss in der Arbeiterbewegung konnten sie nur in wenigen Ländern und meist nur für kurze Zeit erlangen. Am Schluss des Buches stellt und diskutiert Danyluk vor allem Fragen, deren Beantwortung er für die Entwicklung neuer Perspektiven für wichtig hält und die sich um das Verhältnis von Produktivkraftentwicklung und sozialer Emanzipation, von Arbeit und Arbeiterklasse sowie um Organisationsformen des Klassenkampfes drehen.
Ein ähnliches politisches Spektrum deckt die Forschungsarbeit Hartmut Rübners ab. In seinem Buch Die Solidarität organisieren hat er aber weniger die Konzepte, Praxis und Resonanz linker Bewegung in Westdeutschland nach 1968 – so der Untertitel des Werkes – nachgezeichnet, sondern hauptsächlich die Solidaritätsarbeit linker Gruppen mit denjenigen, die ins Räderwerk staatlicher Repression geraten waren. Im Vordergrund stehen die Soli-Organisationen, angefangen von den verschiedenen Fraktionen der „Roten Hilfe“, die sich im Verlaufe der 1970er Jahre formierten, über die diversen, meist kurzlebigen Soli-Komitees bis hin zur libertären „Schwarze Hilfe“.
Rübner gelingt es, Licht in das Organisationsdickicht der radikalen Linken der 1970er Jahre zu bringen. Teilweise minutiös zeichnet er die Entstehung, die zahlreichen Spaltungen und den Niedergang der kommunistisch-maoistischen wie auch der Sponti-Gruppen aus den Zerfallsprodukten der APO nach.
Während sich die diversen linksradikalen Organisationen untereinander z.T. sehr heftige Auseinandersetzungen lieferten, versuchten die Soli-Gruppen noch lange Zeit Bündnisse bis hinein ins linksbürgerliche Lager im Interesse der Gefangenen zu schmieden. Und das durchaus erfolgreich – so konnten z.B. im Juni 1976 für den „Antirepressionskongress“ in Frankfurt/Main 20.000 Menschen mobilisiert werden.
Der Schwerpunkt der Soliarbeit lag naturgemäß bei der Unterstützung der inhaftierten GenossInnen. Dabei standen nicht selten die Gefangenen der verschiedenen bewaffneten Gruppen im Zentrum der Soli-Kampagnen, deren Vorgehen aber immer umstritten blieb. Aber auch – und das scheint heute weitgehend aus dem Blick geraten zu sein – galten zumindest auf dem antiautoritären Flügel die „sozialen Gefangenen“ als unterstützungswürdig, wurde in ihnen doch in erster Linie Opfer des kapitalistischen Systems gesehen, die sich individuell (statt kollektiv) gegen die Zumutungen des „Schweinesystems“ wehrten. Generell waren die sogenannten „Randgruppen“ in den „Problemvierteln“ der Großstädte eine wichtige Zielgruppe linksradikaler Basisarbeit – ein Feld, das heutzutage meist den Nazis überlassen wird. Hier können wir vermutlich am ehesten von der Praxis der damaligen Militanten lernen, auch wenn deren Verhältnis zum „Milieu“ nicht ungetrübt war. Spätestens Ende der 1970er Jahre war es damit dann vorbei. Die immer weniger werdenden Militanten beschränkten sich auf die Solidarität mit ihren Genossen, die „Außenwelt“ geriet zunehmend aus dem Blickfeld.
Erinnerungswert und beispielgebend für heutige Aktive bleibt vor allem die zumindest in der Frühzeit ebenso selbstverständliche wie auch richtungsübergreifende Solidarität innerhalb der Linken, ihre ausgeprägte Orientierung auf kollektive Selbsthilfe wie ihr Bemühen, die engen Grenzen des linksradikalen Milieus zu überwinden.
Anders als Danyluk ist Rübner Wissenschaftler, was man dem Buch auch anmerkt. Akribisch hat er vermutlich den Großteil alles verfügbaren Quellenmaterials zusammengetragen und ausgewertet. Es gibt einen ausführlichen bibliografischen Anhang (u.a. ein Verzeichnis sämtlicher auffindbarer Broschüren der Solidaritätsinitiativen sowie einen Personen- und Organisations-Index). Schade nur, dass der Verlag diese Genauigkeit bei der Beschriftung der zahlreichen Illustrationen vermissen lassen hat.
Während Danyluks Buch vor allem eine so bisher nicht vorliegende Einführung in die drei wichtigsten „Neben“-Strömungen der Arbeiterbewegung gibt, erschließt Rübner erstmalig ein wichtiges Feld linkradikaler Praxis nach 1968 für die Forschung – beiden kann man nur viele LeserInnen wünschen.
Danyluk, Roman: Befreiung und soziale Emanzipation. Rätebewegung, Arbeiterautonomie und Syndikalismus. Edition AV 2012. 348 Seiten, 18,00 EUR.
Rübner, Hartmut: Die Solidarität organisieren. Konzepte, Praxis, Resonanz linker Bewegung in Westdeutschland nach 1968. Plättners Verlag 2012. 304 Seiten, 16,80 EUR.
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