Der Mössinger Generalstreik und der heutige Blick auf die Geschichte
Nun herrscht erneut Aufruhr in der örtlichen Bevölkerung. Ein Theaterstück und die wissenschaftliche Aufarbeitung der Ereignisse sowie ein Protestmarsch spaltet den Ort über die Darstellung der eigenen Geschichte in zwei Teile. Das Ereignis selber steht für Menschen außerhalb von Mössingen ziemlich klar als einer der wenigen Widerstandsversuche bei der Machtergreifung der Nazis in der ArbeiterInnenschaft. Im Ort verläuft dennoch der Graben teilweise direkt durch ganze Familien. Die einen wollen die Geschichte zum 80. Jahrestag der Machtergreifung Adolf Hiltlers öffentlicher machen und diejenigen ehren, die damals am Generalstreik in der kleinen Ortschaft teilgenommen hatten. Die anderen wehren sich gegen vermeintliche Heroisierung von KommunistInnen, die ja letztendlich ebenfalls die Demokratie abgeschafft hätten, wären sie die an die Macht gekommen. Hier zeigt sich exemplarisch, wie sehr die Extremismusdebatte bereits im politischen Alltag angekommen ist und was sie anrichtet: WiderstandskämpferInnen gegen den Faschismus werden hier diffamiert und ihre eigentlichen Ziele verschwimmen in populistischen Thesen einer unwissenschaftlichen Betrachtung. Als am 2. Februar diesen Jahres dann, aufgerufen von AntifaschistInnen, den Couragefrauen, der IG Metall und ver.di bis zu 1200 Menschen in Mössingen zusammenkamen und unter den Parolen wie „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ oder „Generalstreik 1933 – Vorbild für Zivilcourage heute“ ein Zeichen gesetzt wurde, wurde dies weit über die lokale Ebene hinaus sichtbar. Aber was ist damals eigentlich in Mössingen und Umgebung passiert?
Am 31. Januar 1933 waren 800 Männer und Frauen dem Aufruf der KPD gefolgt, auf die Übertragung der Macht im Staate an Adolf Hitler mit einem Generalstreik zu reagieren. Unter der Parole „Heraus zum Massenstreik!“ zogen die ArbeiterInnen durch Mössingen und sie waren damit die ersten, die auf die Straßen drängten. Als Vorbild diente wohl der Generalstreik gegen den Kapp-Putsch 1920, der die junge Weimarer Republik damals strukturell lahmlegte. Nachdem der Protestzug einige der Betriebe erfolgreich zum Stillstand brachte, trudelte eine Staffel der Polizei ein und es war offenbar klar, dass in anderen Orten keine Streiks begonnen hatten. Der überwiegende Teil der ArbeiterInnen schaffte es, sich einer Personalienüberprüfung zu entziehen und konnte über die umliegenden Felder flüchten.
Bisher kaum bekannt ist allerdings noch eine weitere Tatsache: So ist von ZeitzeugInnen überliefert, dass auch in Bad Lauerterberg dem Aufruf der KPD gefolgt wurde. Allerdings nutzten die ArbeiterInnen hier ein anderes Mittel des Widerstandes. Sie sabotierten die örtlichen Produktionsanlagen der streikunwilligen Betriebe, indem sie dort unverzichtbare Teile entfernten. Somit standen die Bänder still und die Produktion lag darnieder. Schließlich musste hier die SA-Hilfspolizei den Generalstreik zerschlagen.
Doch beherrscht seit dem aktuellen ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ wieder ein anderer Tenor die öffentliche Debatte, nämlich dass die Entstehung des Dritten Reiches als „Übermacht“ über alle hineingebrochen zu sein scheint. Während hier die Begeisterung der Jugend für Hitler verschwiegen wird, wird an anderer Stelle der Widerstand durch unliebsame Linke verdrängt. Wichtiger als ein Gedenken an die, die damals mitliefen, scheint ein Gedenken an die, die sich dem entgegenstellten. Denn wer schwieg, stimmte sicher nicht selten zu – wer streikte, sicher nicht.
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