Christliche Gewerkschaften sind eigentlich irrelevant, dienen aber der DGB-Mehrheit als Alibi für unpopuläre Entscheidungen
Hat schon jemand von Adalbert Ewen gehört? Das Mitglied des Kreisverbandes der Sulzbacher CDU ist Bundesvorsitzender der Christlichen Gewerkschaft Metall und Bundesvorstandsmitglied des Christlichen Gewerkschaftsbundes Deutschland (CGB), der in letzter Zeit dadurch Schlagzeilen gemacht hat, dass er rechtswidrig Tarifverträge für Dumpinglöhne abgeschlossen hat. Darüber ärgert sich Adalbert Ewen, wie eine Pressemitteilung vom 17. Mai dieses Jahres zeigt:
„Es ist unerträglich, dass die christlichen Gewerkschaften immer wieder mit den Fehlern der Vergangenheit konfrontiert werden. Über den Tarifvertrag zwischen der DHV und ILS wurde schon häufig berichtet, der Bericht beinhaltet insofern keinerlei Neuigkeiten“, moniert Ewen. Aber auch diese Pressemeldung wurde über die CGB-Homepage hinaus kaum bekannt. Das liegt an der Bedeutungslosigkeit dieser Kleinstgewerkschaft, was sich auch daran ablesen lässt, dass sie weder in den Medien noch der neueren Literatur zur Gewerkschaftsforschung eine Rolle spielt und ihr Führungspersonal so gut wie unbekannt ist. Die Union ist im Bundesvorstand des DGB mit einen Mitglied vertreten, das warnend die Stimme erhebt, wenn sich die übrigen DGB-Funktionäre zu offen als SPD-Wahlhelfer gerieren oder sich Gewerkschaften gar außerparlamentarischen Anliegen annehmen wollen, die nicht im Interesse der Union sind. Faktisch ist der DGB eine sozialdemokratische Richtungsgewerkschaft mit einer kleinen aber nicht einflusslosen christdemokratischen Minderheitenströmung. Der organisatorisch eigentlich irrelevante CGB diente aber immer wieder als Druckmittel innerhalb des DGB und seinen Einzelgewerkschaften. Setzte sich dort einmal eine linkere Mehrheit durch, die eine etwas konfliktorientierte Tarifpolitik anstrebte oder gar zu allgemeinpolitischen Themen im Gegensatz zur Bundesregierung Stellung beziehen wollte, konnte die christdemokratische Minderheit damit drohen, den DGB zu verlassen und zum CGB überzuwechseln.
Dass daraus dem DGB eine echte Konkurrenz hätte entstehen können, war angesichts der langjährigen sozialdemokratischen Hegemonie innerhalb der Kernarbeiterschaft der Nachkriegs-BRD irrational, hatte aber immer die erhoffte Wirkung. Klassenkämpferische Töne im DGB konnte so nicht nur von der christdemokratischen Minderheit sondern auch der rechtssozialdemokratischen Mehrheitsströmung im DGB ebenso als Gefahr für die Einheitsgewerkschaft hingestellt werden, wie eine gewerkschaftliche Öffnung zu regierungskritischen Protestbewegungen. Als 1958 in verschiedenen Einzelgewerkschaften, aber auch von einigen Mitgliedern des DGB-Vorstands, eine Öffnung zur Bewegung gegen die von der Adenauer-Regierung beschlossene Atombewaffnung der Bundeswehr diskutiert wurde, drohte die christliche Dependance im DGB mit Austritt. So konnte der Mehrheitsflügel diese Minderheit als Begründung anführen, um die Ablehnung dieser Kooperation mit einer damals starken außerparlamentarischen Bewegung abzulehnen. Dass bei der CGB-Gründung 1959 eine Kampagne zum Übertritt des christdemokratischen Flügels aus dem DGB forciert wurde, lag denn nicht an Differenzen in der Beurteilung außerparlamentarischer Bewegungen, sondern an den unterschiedlichen parteipolitischen Präferenzen. Mochten auch die sozialdemokratischen Vorstandsmitglieder noch so sehr ihre parteipolitische Neutralität bei ihrer Gewerkschaftstätigkeit betonen, ließ sich das vor allem in Wahlkampfzeiten schwer durchhalten, zumal viele DGB-Funktionäre SPD-Funktions- und MandatsträgerInnen in Personalunion waren.
So redete der erste CGB-Vorsitzende Peter Gier beim Gründungskongress den ChristdemokratInnen im DGB ins Gewissen. „Wie lange noch glaubt die Führung der Christen im Deutschen Gewerkschaftsbund es verantworten zu können, in dieser Gewerkschaft zu bleiben? In dieser Gewerkschaft, die seit Jahren ihre Rechte immer wieder mit Füßen tritt […] und eindeutig und vor aller Welt die Interessen der Sozialisten vertritt?“ Ungezählt seien „die Verstöße des DGB gegen die christlichen Empfindungen und die christlichen Grundsätze“, echauffierte sich Gier.
Doch obwohl der Trierer Bischof der neuen Gewerkschaft 1958 Glück- und Segenswünsche zukommen ließ, blieb der CGB eine Minigruppe, die in den 1970er und 80er Jahren eher Schlagzeilen wegen Kontakten zum rechten Rand als mit Tarifpolitik machte. Mal sorgten CGB-Mitglieder mit einer Vergangenheit bei den italienischen NeofaschistInnen für Schlagzeilen, mal war es die Kooperation mit spanischen Franco-AnhängerInnen. Noch 2007 sorgte der Streit um die Zusammenarbeit mit der Rechtsaußen-Partei „Die Republikaner“ auch verbandsintern für Streit. Ein vom CGB-Landesverband Berlin-Brandenburg beschlossener Unvereinbarkeitsbeschluss nach rechts außen wurde sogleich vom CGB-Bundesvorstand per Weisungsrecht annulliert. Es gebe keine Notwendigkeit zu Unvereinbarkeitsbeschlüssen, „weil sich aus unserer Satzung, dem Selbstverständnis und den Leitsätzen schon die Unvereinbarkeit ergibt“, hieß es darauf aus der Führungsebene.
Eigentlich müsste der Zeitgeist seinen Teil dazu beitragen, dass die Schrumpforganisation CGB noch irrelevanter wird. Denn in den späten 50er Jahren konnte sich der CGB auf eine schmale Schicht von christlichen Lohnabhängigen in Südwestdeutschland stützen, die durch eine schnelle Wiedergründung christlicher Arbeitnehmerorganisationen nach 1945 in der französischen Besatzungszone und der anfänglichen Unabhängigkeit des Saarlandes von der BRD profitierten. Doch welche Rolle kann heute bei den meisten Lohnabhängigen eine Organisation spielen, die mit dem Segen eines Bischofs gegründet wurde, dessen Unternehmen Kirche ihren Beschäftigten im Zuge des „dritten Weges“ als Tendenzbetrieb noch heute das Streikrecht vorenthält? Doch in der Ära von Zeit- und Leiharbeit bekam der CGB eine neue Rolle als Türöffner bei der Etablierung von Dumpinglöhnen. Diese Funktion wird in einen Beitrag von Report Mainz vom Dezember 2007 so geschildert:
„Heute haben wir uns mal angesehen, wer eigentlich die Tarifverträge ausgehandelt hat zwischen den Leiharbeitsfirmen und den Arbeitnehmern. Denn, das muss man sich vorstellen, da wurden zum Teil Stundenlöhne von unter fünf Euro festgeschrieben. Siehe da, vor allem eine sogenannte Christliche Gewerkschaft ist da als Tarifpartner am Werk.“ Da laut Gesetz der Grundsatz der gleichen Löhne für gleiche Arbeit gilt, müssten LeiharbeiterInnen genau so viel wie Festangestellte verdienen. Der Grundsatz kann nur durch einen Tarifvertrag außer Kraft gesetzt werden. Diese Lücke hat die CGB genutzt, um tariflich festgelegte Hungerlöhne zu etablieren. Der Arbeitsrechtler Peter Schüren erklärte in der Sendung, dass unter dem Deckmantel eines Tarifvertrages Billigstlohn realisiert werde. „Eine solche Vergütung kann eigentlich nur dann entstehen, wenn Arbeitgeberträume auf der Stelle erfüllt werden“ äußerte sich Schüren ziemlich eindeutig.
Mittlerweile haben verschiedene Arbeitsgerichte die mit der CGB abgeschlossenen Tarifverträge mit der Begründung für ungültig erklärt, dass der christliche Verein keine Tarifmächtigkeit habe und daher keine Tarifverträge abschließen könne. Jetzt stehen dem Equal Pay in der Leiharbeitsbranche nur noch die Tarifverträge der DGB-Gewerkschaften im Wege. Die hatten die auch in den eigenen Reihen heftig umstrittenen Verträge mit der Begründung abgeschlossen, dass sich sonst die christlichen Gewerkschaften noch mehr in der Leiharbeitsbranche etablieren könnten. Nachdem deren Tarifverträge von den Arbeitsgerichten gekippt werden, steht diese Argumentation nicht mehr zur Verfügung. Trotzdem wird ein neuer Tarifvertrag verhandelt. Ein offener Brief von Mitgliedern verschiedener DGB-Gewerkschaften, der auf labournet.de zu finden ist, fordert ein Ende der Tarifverhandlungen in der Zeitarbeitsbranche und hat viel Unterstützung bekommen. So hat der CGB bei der Durchsetzung eines tariflich vereinbarten Dumpinglohns die gleiche Rolle erfüllt, die sie in den früheren Jahrzehnten bei der Abwehr kritischer Bestrebungen in den DGB-Gewerkschaften erfüllt hat. Sie dient als ein willkommenes Alibi für die DGB-Mehrheit.
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