Abschluss der DA-Kollektivreihe: Entwurf eines gewerkschaftlichen Angebots an KollektivistInnen
Heute Morgen war ich einkaufen, in einem Vegan-Kollektivladen. Heute Nachmittag besuche ich eine Geburtstagsfeier eines Getränkekollektivbetriebs. Und heute Abend gehe ich in ein kollektiv geführtes Kino. Die derzeitige Diskussion in der Direkte Aktion zum Thema kollektives Wirtschaften ist keine theoretische oder praxisferne Debatte. Kollektivbetriebe gibt es und es werden mehr. Das zeigt auch die Tatsache, dass seit dem letzten Jahr vermehrt Kollektivbetriebe an die FAU Berlin herantreten. Welchen Standpunkt kann eine emanzipative Gewerkschaft zu dieser besonderen Form der Betriebe einnehmen? Fakt ist: Nicht Wenige hegen Sympathien, jedoch hat die FAU als solche hat keine Position zu Beschäftigung in Kollektivbetrieben. Dabei lohnt es sich: Zum einen gibt es KollektivistInnen innerhalb der FAU, zum anderen sind KollektivistInnen ebenso abhängig Beschäftigte, wenn auch ohne Chef. Auch sind KollektivistInnen an sich TrägerInnen der Idee des Gemeineigentums, einer sozialistischen Grundidee. Diesen Sektor als Gewerkschaft auszuklammern wäre fatal.
In Berlin wurde in gemeinsamer Arbeit ein Entwurf erarbeitet, der ein gewerkschaftliches Angebot an die Beschäftigten in Kollektivbetrieben macht. Schon allein aufgrund des selbstorganisatorischen Anspruches wird die Idee derzeit nicht nur innerhalb der FAU, sondern auch in verschiedenen Kollektivbetrieben diskutiert. Denn das Interesse an verbesserten Arbeitsbedingungen kann schließlich nur aus den Betrieben und von seinen Mitgliedern selbst kommen. Der Entwurf beinhaltet Kriterien, die es ermöglichen könnten, einen Betrieb als kollektiv geführten Betrieb zu erkennen und gewerkschaftliche Maßstäbe an den Betrieb anzulegen (siehe Kasten). Wären die Kriterien erfüllt, ist der Plan, an den Betrieb ein Label auszugeben. Das Label würde dem Betrieb dazu dienen, sich als „gewerkschaftlich organisierter Betrieb“ (GOB) zu präsentieren und somit als Wegweiser für KonsumentInnen funktionieren. Weiterhin ist eine organisatorische Vernetzung der so gelabelten Betriebe mitgedacht. Innerhalb dieser Vernetzung wäre es dann möglich, konkrete Unterstützungen für die angeschlossenen Betriebe zu gewährleisten. Die langfristige Perspektive dabei ist, eine solidarische Ökonomie aufzubauen und zu stärken.
Der Entwurf wurde bewusst im Rahmen des existierenden Kapitalismus gedacht. KollektivistInnen haben tagtäglich mit Problemen wie Lohndumping und Selbstausbeutung zu tun. Weil dies so ist, heißt das aber noch lange nicht, dass wir nicht versuchen sollten, schon jetzt und hier das Beste herauszuholen. Wir sind uns darüber bewusst, dass Kollektivbetriebe alleine noch keine neue Gesellschaft hervorbringen werden. Allerdings könnten sich positive Effekte für die Gewerkschaftsarbeit ergeben: wirtschaftliche Abhängigkeiten zwischen GOBen und kapitalistischen Unternehmen könnte etwa als Druckmittel einer Gewerkschaft in einem Arbeitskampf sehr entgegenkommen.
In einem GOB soll nicht der einzelne Eigentümer eines Betriebs durch eine Gruppe von Menschen ersetzt werden. Vielmehr setzen wir voraus, dass eine Gesellschaftsform gewählt wird, die den Besitz des Betriebsvermögens auf alle KollektivistInnen gleichermaßen verteilt, von denen die Mehrheit der Mitglieder in der Gewerkschaft ist. Weiterhin sollten die KollektivistInnen lediglich VerwalterInnen sein. Der Betrieb an sich wäre Eigentum eines gesellschaftlichen Kollektivs aus ProduzentInnen und KonsumentInnen. Dass dies auch rechtlich verankert wird, könnte Aufgabe einer GOB-Föderation sein (siehe: Hand in Hand).
Einige Kollektive kennen das Problem, im Handumdrehen zum Arbeitgeber zu werden, sei es durch dringend benötigte Aushilfen oder durch die Vergabe von Praktika. Menschen, die in einem GOB tätig werden würden, sollten alle die gleichen Rechte auf Mitbestimmung und Bezahlung besitzen. Davon sollte nur in besonderen Ausnahmefällen abgewichen werden. Dass Mitbestimmung auch heißen kann, zu entscheiden, ob jemand in einen GOB aufgenommen wird oder nicht, macht die KollektivistInnen aber noch nicht zu gewöhnlichen Chefs, die wirtschaftlichen Vorteil aus ihrem Chefsein ziehen.
In vielen Kollektivbetrieben ist es leider gängige Praxis, fehlendes Kapital durch Selbstausbeutung auszugleichen. Das ist nachvollziehbar, weil KollektivistInnen meist nichts als ihre Arbeitskraft besitzen und sich am Markt behaupten müssen. Eine der Aufgaben einer Gewerkschaft ist aber die Verbesserung der wirtschaftlichen Umstände ihrer Mitglieder. Daraus soll sich nun aber nicht ergeben, KollektivistInnen in dieser Lage als Gewerkschaftsmitglieder abzulehnen, sondern diese sollten gerade dabei unterstützt werden, Selbstausbeutung zur Vergangenheit zu machen.
Als Kontrollinstanz hätte die Gewerkschaft darüber zu wachen, dass die GOB-Prinzipien eingehalten werden. Dies beinhaltet nicht die Kontrolle des Arbeitsprozesses, sondern der Arbeitssituation. Ähnlich wie in kapitalistischen Unternehmen würde die Gewerkschaft hier eine möglichst lückenlose Mitbestimmung anstreben, um bspw. Bezahlung, Arbeitsschutz oder Arbeitsentlastung zu verbessern. Um die Situation im GOB beurteilen zu können, wären Informationen unerlässlich. Durch den Umstand, dass Gewerkschaftsmitglieder Doppelfunktionen innehätten, nämlich einerseits KollektivistInnen und andererseits KonsumentInnen der Produkte anderer GOBs wären, ergeben sich soziale Netze, die eine Informationsquelle sind. Die Prüfung würde daher auch nicht durch eine externe Stelle stattfinden, sondern durch die KollektivistInnen selbst, die ein Interesse sowohl als Gewerkschaftsmitglieder als auch als GOB-Beschäftigte hätten, dass die Prinzipien eingehalten werden.
Im Juli wird es in Berlin ein Treffen mit KollektivistInnen und weiteren Interessierten geben, um über das Konzept und weitere Kooperationsmöglichkeiten zu sprechen. Selbst wenn es am Ende nicht auf die Label-Idee hinauslaufen sollte, ist der Aufruf an Beschäftigte in kapitalistischen Betrieben (Erwerbslose eingeschlossen) und in Kollektivbetrieben, sich nicht getrennt voneinander zu betrachten. Es sollten unbedingt gemeinsame Wege zu gegenseitiger Hilfe gesucht werden.
1. Der Betrieb ist gewerkschaftlich organisiert. Die Belegschaft ist zumindest mehrheitlich Mitglied der FAU.
2.
Der Betrieb ist in Belegschaftshand. Er wählt eine Rechtsform, die den
Betrieb als kollektiven Besitz der dort jeweils Tätigen absichert und
Profite einzelner Belegschaftsmitglieder und möglichst auch Dritter
(Banken, private Kreditgeber usw.) verhindert.
3. Der Betrieb ist
basisdemokratisch organisiert. Jedes Belegschaftsmitglied verfügt über
die gleichen Rechte und Einflussmöglichkeiten in Angelegenheiten, die
alle betreffen. Eine Einschränkung ist nur für befristete oder in
Probezeit befindlichen Belegschaftsmitglieder hinsichtlich von
Entscheidungen, die über den eigenen Verbleib im Betrieb hinausreichen,
möglich.
4. Der Betrieb verpflichtet sich zu Transparenz. Er ist
bemüht diese weitestgehend zu gewähren, gegenüber den
Belegschaftsmitgliedern sichert er sie jedoch im umfassenden Sinne,
gegenüber dem Syndikat und der GOB-Föderation zumindest in grundlegenden
Fragen (u.a. Zulieferer, Entlohnung, AbnehmerInnen,
Entscheidungsstruktur, Warenfluss) zu.
5. Der Betrieb
verpflichtet sich zu Gleichbehandlung in der Entlohnung (gleiche
Tätigkeit und soziale Lage = gleiche Entlohnung) und lehnt
Beschäftigungsformen wie schlechter oder nicht entlohnte Praktika und
Probezeiten oder auch Maßnahmen der Arbeitsagenturen ab. Explizite
Soli-Arbeit ist hiervon ausgeschlossen.
6. Der Betrieb ist
solidarisch. Er verpflichtet sich dazu, die Löhne und Arbeitsbedingungen
so zu gestalten, dass sie nicht zu Lohndumping oder zum Unterlaufen der
branchenüblicher Standards führen und verpflichtet sich dazu, dies in
einem Haustarifvertrag mit der FAU festzuhalten. Er strebt im Gegenteil
die Verbesserung der Löhne und Arbeitsbedingungen in der Branche (und
darüber hinaus) an. Auch über die eigene Branche hinaus bemüht er sich
als wirtschaftlicher Akteur solidarisch mit der arbeitenden Klasse zu
agieren.
7. Der Betrieb versucht gemeinsam mit gleichgesinnten
Betrieben (GOB-Föderation) und der Gewerkschaft, so weit möglich, schon
jetzt ein Wirtschaften jenseits der auf Markt und Konkurrenz basierenden
Warengesellschaft umzusetzen, auf Basis der Kooperation und
Solidarität.
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