Ein Interview mit der libertären Christin Antje Schrupp
Religion, Feminismus, Anarchismus. Bei der Frage ‚Welches Wort passt nicht in die Reihe?‘ würden wohl nicht Wenige eindeutig Ersteres wählen. Wie kam es dazu, dass Religion, Feminismus und Anarchismus bei dir zusammengekommen sind?
Religiös bin ich schon immer: Ich war als Kind im Kindergottesdienst und in kirchlichen Jugendgruppen und habe dann evangelische Theologie studiert. Damals wollte ich Pfarrerin werden, aber mir wurde bald klar, dass ich nicht im Namen der Kirche sprechen kann, was ich als Pfarrerin ja müsste. Deshalb habe ich dann Politikwissenschaft weiterstudiert. Im ersten Semester war „Geschichte der Internationalen Arbeiterbewegung“ ein Pflichtseminar, an dem ich teilnahm. Mir wurde ein Referat über die „Inauguraladresse“ von Karl Marx zur Gründung der Ersten Internationalen Arbeiterassoziation zugeteilt. Dabei stieß ich auf ein Buch: Rudolf Meyer, Der Emancipationskampf des Vierten Standes. Ein dicker Wälzer, in dem detailliert die Geschichte der Arbeiterbewegung nachgezeichnet ist. Und dort stand, dass bei der Gründung der Ersten Internationale ein Grußwort verlesen worden sei von der bekannten französischen Sozialistin Jeanne Deroin. Damit war mein Interesse geweckt.
Wie ging es dann weiter?
Ich wollte wissen, wer das war. Und als ich mich auf diese Spur einmal begeben hatte, bin ich bei dem Thema geblieben, schrieb dann meine Magisterarbeit über das Verhältnis der Frauenbewegung zur Ersten Internationale und dann meine Dissertation über die politischen Ideen von vier sozialistischen Feministinnen, die sich in der Internationale engagiert haben. Dabei erfuhr ich natürlich auch viel über den Konflikt zwischen Marx und Bakunin in der Ersten Internationale, an dem natürlich noch viel mehr Menschen beteiligt waren, und je mehr ich darüber erfuhr, desto plausibler erschien mir die anarchistische Position und desto falscher die marxistische.
Wann kam dann der Feminismus dazu?
Mit dem Feminismus bin ich zeitgleich in Berührung gekommen. Ich studierte in den 1980er Jahren, und das war die Zeit, in dem sich die Frauenbewegung institutionalisierte, wo Frauenbeauftragte installiert wurden, und es gab viele Netzwerke, die sich dafür einsetzten, dass Frauen in führende Positionen gewählt wurden. Ich habe das eher von außen beobachtet, weil ich mich persönlich nicht diskriminiert oder unfrei fühlte, aber ich habe als Journalistin über diese Dinge berichtet. Und die historische Frauenforschung betrieb ich ja auch selber. Aber richtig relevant wurde der Feminismus für mich erst, als ich Anfang der 1990er Jahre italienische Feministinnen kennenlernte, die die Gleichstellungspolitik kritisieren und stattdessen einen politischen Differenzfeminismus vertraten. Also nicht die Vorstellung, dass Frauen und Männer von Natur aus unterschiedlich wären, sondern dass das Anliegen weiblicher Freiheit nicht sein kann, sich an eine männliche Norm anzupassen, also etwa durch „Gleichstellung“, sondern dass es darum geht, aus dem – historisch gewachsenen wie auch selbst gewählten – „Anderssein“ der Frauen einen politischen Konflikt zu machen und die von Männern geschaffenen Institutionen grundlegend in Frage zu stellen. Das passte dann natürlich auch gut mit meiner Affinität zum Anarchismus zusammen.
Zurück zur Religion: Als Christin dürfte dir die feministische Theologie vertraut sein. Was hat es damit auf sich?
Die feministische Theologie ist ebenfalls in den 1980er Jahren entstanden, und auch da ging es erst einmal darum, durch historische Forschung herauszufinden, was Frauen in all den Jahrhunderten getan und gedacht hatten, die ja in der männerzentrierten Geschichtsschreibung damals noch völlig fehlten. Und dann ging es darum, die Bibel aus einer eigenen Perspektive zu interpretieren, einen eigenen Gottesbegriff zu entwickeln und so weiter. Und natürlich auch darum, als Frauen in kirchliche Führungspositionen zu gelangen, oder auch nicht, das wurde und wird kontrovers diskutiert. Viele feministische Theologinnen sind auch aus der Kirche ausgetreten und haben eine eigene „weibliche“ Spiritualität entwickelt, Mary Daly zum Beispiel. Aber andere, darunter ich, fanden das auch wiederum problematisch, weil es durchaus zu essenzialistischen Geschlechterbildern führen kann. Und die Geschichte des Christentums ist eben vielfältiger als die männlich dominierten Erzählungen, die wir davon überliefert bekommen haben. Inzwischen ist aus all dem sogar eine eigene Bibelübersetzung entstanden, die „Bibel in gerechter Sprache“, in die diese feministischen Forschungen und Ideen eingeflossen sind. Ich fand die feministische Theologie mit ihrem breiten Ansatz jedenfalls immer interessanter als die säkulare Frauenbewegung, die halt in den 1980er Jahren so sehr auf Gleichstellung mit den Männern ausgerichtet war. Wobei für mich klar ist, dass ich als Feministin nur religiös sein kann, wenn meine Loyalität nicht der Kirche als Institution gilt, sondern „Gott“, wenn ich dieses Wort mal gebrauchen darf. Mein Ansatz ist, dass man Gott nicht der männlichen Definitionsmacht überlassen darf, sondern dass Frauen selbst über Gott nachdenken müssen, was natürlich auch zu reichlich Konflikten mit den männlichen religiösen Autoritäten führt.
Für viele ist Religion und Kirche ein Affront und Widerspruch zu ihren politischen Konzepten. Inwiefern bereichert die Religion auch deine feministischen und anarchistischen Ansätze, wo ergänzen sie sich?
Wenn ich mit nicht-religiösen Menschen spreche, übersetze ich das, was ich mit „Gott“ meine, oft mit „gutes Leben für alle“. Also das „Reich Gottes“ wäre ein Zustand, in dem alle Menschen gut leben, was gleichzeitig eine Utopie ist, aber durchaus kein Jenseits, sondern es besteht hier auf dieser Welt. „Das Reich Gottes ist mitten unter euch“, hat Jesus gesagt. Das ist so ein Punkt, wo die ursprüngliche Botschaft im Lauf der Kirchengeschichte ziemlich verdreht wurde. In der Bibel sind letzten Endes Geschichten versammelt von Leuten, die über das gute Leben für alle nachgedacht haben und aufschrieben haben, was ihrer Ansicht nach notwendig ist, um dieses „Reich Gottes auf Erden“ möglich zu machen. Gerade das Tötungsverbot wurde in den ersten Jahrhunderten des Christentums extrem penibel eingehalten: Wer jemanden getötet hatte, zum Beispiel auch als Soldat, wurde konsequent aus den Gemeinden ausgeschlossen. Und dann gibt es auch so Geschichten wie die von den Arbeitern im Weinberg, eine meiner Lieblingsgeschichten, wo erzählt wird, dass im Reich Gottes alle Menschen dasselbe Geld bekommen, egal wie viel sie gearbeitet haben. Daraus folgt für mich so etwas wie ein bedingungsloses Grundeinkommen, für das ich mich auch engagiere. Oder die Geschichte vom Scherflein der Witwe, wo Jesus sagt, dass eine Frau, die total arm ist, aber trotzdem das, was sie hat, für das gute Leben aller hergibt, wichtiger ist, als Reiche, die nur einen kleinen Teil ihres Vermögens spenden. Aber Reiche kommen halt nicht ins Reich Gottes, sowenig wie ein Kamel durchs Nadelöhr passt. Wenn ich mit Leuten zusammen bin, denen diese Geschichten nichts sagen oder die dem Christentum gegenüber kritisch eingestellt sind, dann suche ich eben andere Argumente. An dem Label liegt mir nichts.
Vielen Dank für das Gespräch!
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