Für die französische Polizei steht die Welt am letzten Sonntag im Mai Kopf: Als „Mörder“ werden sie in Paris beschimpft, „Schande“ über sie! Die Beamten stehen aber nicht, wie so oft, verzweifelten Streikenden oder jugendlichen Globalisierungskritikern gegenüber, sondern fein gekämmten jungen Männern – die offenbar ihre gute Kinderstube vergessen haben. Und auch einige Priester finden sich in der Menge. Rufe wie „Ihr seid doch schwul“ machen klar, wer hier demonstriert. Es war die dritte Großdemonstration gegen das sozialdemokratische Gesetz der „Ehe für alle“, das eine Gleichstellung von homosexuellen Paaren in Sachen Eheschließung und Adoption vorsieht und zu diesem Zeitpunkt schon in Kraft getreten war. Damit hatte Präsident François Hollande eines seiner Wahlversprechen umgesetzt.
Eine erste landesweite „Demo für alle“ gegen die „Ehe für alle“ fand Mitte Januar statt und versammelte, nach Polizeiangaben, 340.000 Menschen. Zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam es erstmals am Rande des etwa gleich großen Aufzugs am 24. März, als Teile der Demonstration auf die Champs-Élysées durchbrechen wollten. Ende Mai schließlich waren noch 150.000 Menschen auf der Straße – bemerkenswert ist, für das sonst auf Recht und Ordnung pochende rechte Lager, dass sie gegen ein ordentlich verabschiedetes Gesetz demonstrieren. Historisch ist die konservative Massenmobilisierung in Frankreich übrigens kein neues Phänomen: So gingen etwa am 30. Mai 1968 etwa 300.000 Menschen auf die Straße, um ihre Unterstützung für Präsident de Gaulle und gegen die Studenten- und Streikbewegung zu demonstrieren.
Organisiert wurde die jüngste Mobilisierung dieser Art von dem eigens gegründeten Kollektiv „Demo für alle“, das nach Eigenangaben aus 37 Vereinigungen besteht. Journalistische Recherchen jedoch ergaben, dass es sich bei einem Drittel davon um „leere Hüllen“ und bei der Hälfte der verbleibenden um religiöse Gruppen handelt – alle großen Religionsgemeinschaften in Frankreich hatten sich inzwischen gegen die gleichgeschlechtliche Ehe ausgesprochen. Offiziell betont das Kollektiv zwar, dass es keineswegs homophobe Motive vertrete und sich v.a. gegen die Neuregelung des Adoptionsrechts wende, schließlich brauche ein Kind Mutter und Vater. Die Anschlussfähigkeit schwulenfeindlicher Positionen liegt bei einer solchen traditionsverhafteten und naturalistischen Position auf der Hand.
Und nicht nur die Partei des ehemaligen Präsidenten Sarkozy, die UMP, griff das Thema dankbar auf, hegt sie doch die Hoffnung, so den monatelangen internen Führungsstreit vergessen zu machen. Auch rechtsextreme Gruppen wie die neu-rechten „Identitären“ schlossen sich an – und die klerikale Piusbruderschaft (mitsamt dem „Institut Civitas“), deren Priester den Jungmannen Ende Mai beistanden. Dabei kann man einigen Akteuren durchaus mangelnde Distanz vorwerfen, wenn etwa der UMP-Vorsitzende Copé in einer Versammlung ausruft, „Befreien wir die Demokratie vom Einheitsdenken!“ Nahtlos schließt sich das an das Gerede von, nein, nicht Fremden-, sondern „Rechtenfeindlichkeit“ und von der „Diktatur der Sozialisten“. Die linksliberale Le Monde schreibt denn auch: „Die Rückkehr der Linken an die Macht hat in der öffentlichen Debatte eine Intoleranz und Sektiererei wiederbelebt, die man ausgestorben glaubte.“ Weiter heißt es dort, die Sarkozy-Rechte „ohne Hemmungen“ einerseits und die Strategie der „Entteufelung“ seitens des Front National (nach der Ablösung von Jean-Marie durch Marine Le Pen; FN) eröffne nationalistischen Gruppen wie den „Identitären“ oder den „Jeunesses nationalistes révolutionnaires“ (JNR) seit einigen Jahren einen neuen Spielraum.
Letztere sollen das Umfeld jener Nazi-Skins bilden, die am 5. Juni den Linksradikalen Clément Méric töteten. Der 18-jährige Student – in der Provinz gewerkschaftlich bei der anarchosyndikalistischen CNT Brest und in der Hauptstadt nun bei der linken SUD aktiv – war so heftig geschlagen worden, dass er seinen Verletzungen erlag. Der Hauptverdächtige, Esteban Morillo, soll sich im Umfeld der „Troisième Voie“ („Dritter Weg“) und der JNR (Motto „Glauben, kämpfen, gehorchen“) bewegt haben – beide Gruppen wurden 2010 von dem langjährig aktiven Mussolini-Verschnitt Serge „Batskin“ Ayoub gegründet. Ayoub streitet nun jede Verbindung zu Morillo ab, und FN-Chefin Le Pen wiederum streitet jede Verbindung zu Ayoub ab. Derweil, so berichtet Le Canard enchaîné, bildeten die JNR die Leibwache von Vater und Tochter Le Pen am 1. Mai 2012; die Wochenzeitung veröffentlichte auch mehrere Fotos mit Ayoub und Morillo.
Die Ermordung Cléments hat mit den Protesten direkt nichts zu tun. Dennoch offenbaren sie die Querverbindungen im extrem rechten Lager, die umso bemerkenswerter sind, als die größte Oppositionspartei UMP dem sich respektabel gebenden FN immer wieder Wähler abzujagen versucht – durch Ausfallmanöver nach rechts. Außerdem sei zu beobachten, so Le Monde, „dass diese lange Kontroverse (um die Ehe für alle) eine verbale und symbolische Gewalt freisetzte, die alles andere als harmlos ist“. So beklagte die Organisation SOS Homophobie bereits Anfang April eine deutliche Zunahme schwulenfeindlicher Übergriffe.
Die „Demo für alle“ soll weitergehen. Auch deren erzkatholische Abspaltung, die das Komitee zu „lasch“ findet und sich „Französischer Frühling“ nennt, dürfte aktiv bleiben. Denn der nächste Angriff der „sozialistischen Diktatoren“ ist schon geplant: ein Gesetzentwurf zur Stärkung der Patientenrechte am Lebensende. Im traditionell und religiös fundierten Eifer haben die Gegner der Ehe für alle derweil übersehen, dass es in Frankreich mit dem „Zivilen Solidaritätspakt“ eine sehr populäre Alternative zur Ehe gibt: 2010 heirateten nur noch 500.000, während immerhin 410.000 Menschen paktierten.
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