Globales

New York: Arbeitskämpfe mit und nach Occupy Wall Street

Interview mit Dave Haaks, Mitglied der Industrial Workers of the World (IWW) und Aktivist bei Occupy Your Workplace

Dave Haaks beteiligte sich an den Protesten von Occupy Wall Street vor 2 Jahren. Mit der Gruppe Occupy Your Workplace widmet er sich auch nach Occupy dem Versuch, radikale Gewerkschaftsarbeit und Protest auf der Straße unter den Bedingungen allgemeiner Prekarität zu verbinden.

Hallo Dave! Kannst du uns kurz erläutern, was prekäre Arbeit oder Prekarität in den USA heute deiner Meinung nach bedeutet?

Zunächst einmal möchte ich sagen, dass das Leben als LohnabhängigeR, d.h. ohne Eigentum zu sein und deshalb seine Arbeitskraft verkaufen zu müssen, immer prekär ist und war. Dass der Begriff heute so gegenwärtig ist, hat mit den neuen Umständen zu tun, die wir verstärkt seit den 70er Jahren erleben und die ich das Ende des Keynesianismus nenne würde. Heute kannst du eigentlich sagen, dass jede Arbeit in den USA prekär ist. Ob du nun für den Mindestlohn (in allen Staaten der USA $7,50, Anm. d. I.) bei McDonalds arbeitest oder als freischaffende Graphikdesignerin. Allgemein können wir wohl von einer Dezentrierung der Arbeit sprechen. Viele Arbeitsplätze haben nicht einmal mehr einen Arbeitsplatz im eigentlichen, physischen Sinne. Das sind Veränderungen, auf die radikale Gewerkschaftsarbeit reagieren muss.

Was sind deiner Meinung nach die größten Hindernisse für die radikale Organisierung von Lohnabhängigen heute?

Da gibt es eine ganze Menge! Die Leute haben schlicht Angst, aktiv zu werden, weil du, wenn du heute wegen deines Engagements gefeuert wirst, nicht so schnell einen anderen Job findest. Im Allgemeinen fehlt in den USA so etwas wie eine Gewerkschaftskultur. Die Ablehnung von Gewerkschaften ist Teil der modernen Betriebsidentität. Es gibt Lehrvideos, die erklären sollen, warum Gewerkschaften eine Bedrohung für den Wohlstand der Nation sind. Sobald es Anzeichen der Organisierung in größeren Unternehmen gibt, wird mit Gegenkampagnen im großen Stil geantwortet. Die Gewerkschaften treten dabei nicht offensiv auf und versuchen im Alltag der Arbeitenden präsent zu sein, sondern fahren eine Undercoverstrategie. Selbst wenn es in einer Branche eine Gewerkschaft gibt, die tatsächlich bereit ist, für die Interessen der Arbeitenden dort einzutreten, weiß in der Regel niemand davon. Dasselbe Problem haben wir auch in der Linken: Die neue Linke hat eine Menge theoretische Arbeit zu Problemen wie Rassismus und patriarchale Strukturen auf der Höhe der Zeit ermöglicht und mehr Bewusstsein für diese geschaffen. Für den Komplex Arbeit und Klassenkampf muss dies erst noch geschehen. Und, wie schon erwähnt, das Problem einer zeitgemäßen Praxis. Ich meine z.B. einen Streik der PraktikantInnen oder Freischaffenden. Wenn die alle gleichzeitig aufhören würden zu arbeiten und sich außerhalb des Arbeitsplatzes versammeln, wäre das eine großartige Sache.

Was genau meinst du mit Undercoverstrategien?

Das Konzept nennt sich Salting. Gewerkschaftsaktivisten, genannt Salts, fangen bei einer Firma, z.B. Wal Mart, an zu arbeiten mit dem Ziel, die ArbeiterInnen dort zu organisieren. Die Kommunistische Partei der USA begann damit in den 30er Jahren, und bis heute ist es die übliche Strategie der etablierten Gewerkschaften. Trotz seiner Schwächen–die unglaubliche Anstrengung für die AktivistInnen und die mitunter widersprüchlichen Situationen, in die das führen kann–glaube ich, dass salting ein Teil radikaler Gewerkschaftsarbeit bleiben sollte, aber allein reicht es nicht aus.

Was hat nun Occupy damit zu tun? Konnten die Proteste zu einer Erneuerung radikaler Arbeitskämpfe beitragen? Viele radikale Linke hierzulande haben Occupy als eher unpolitisch wahrgenommen, mit einer abstrakten Kritik am Finanzkapital und ohne die tatsächlichen sozialen Beziehungen in einer kapitalistischen, national-staatlichen Gesellschaft anzugreifen.

Das mag auf Teile der Occupybewegung zutreffen, aber nicht hier in New York. Was Occupy Wall Street so stark gemacht hat, war die Planung der Proteste, die etwa sechs Wochen vor der Besetzung anfingen und bei der von Anfang an viele AnarchistInnen beteiligt waren. Die Proteste und die Besetzung des Zucotti-Parks haben eine große Zahl an Leuten hervorgebracht, die zu Direkten Aktionen, militant oder gewaltlos, bereit waren. Und dann gab es eine Gruppe von Gewerkschaftsaktivisten der älteren Generation, hauptsächlich Trotzkisten, mit einer Menge Erfahrung in den klassischen Gewerkschaftsbranchen wie der Post oder dem Öffentlichen Nahverkehr, die versuchten, das Thema Arbeitskämpfe in die Proteste zu tragen, so auch einige andere Wobblies (IWW-Mitglieder, d.I.). Das führte zu Solidarisierungen und einer breiten Unterstützung von Arbeitskämpfen in der Stadt. Viele Streikposten wurden zu Massenaufläufen. Einmal haben wir mit den SpeditionsarbeiterInnen von Sothebyʼs, die ausgesperrt wurden, eine Auktion blockiert. Die Gäste, vor allem KunsthändlerInnen, die allein $2000 Dollar für den Eintritt gezahlt hatten, wurden mit dem Zorn der Streikenden konfrontiert, das war hervorragend. Es gab verschiedene Arbeitsgruppen bei Occupy, und Occupy Your Workplace war eine von ihnen. Andere waren 99 Pickets, die Umzüge von Streikposten zu Streikposten organisierten, oder die Immigrant Workers Justice Group, die migrantische Arbeitskämpfe bei der Fast-Food-Kette Hot and Crusty’s unterstützten. Es gab auch Arbeitsgruppen zu Kunst als Arbeit und zur Demokratisierung der etablierten Gewerkschaften. Occupy hat das ermöglicht, in dem es die verschiedensten Leute zusammen gebracht hat. Tatsächlich sind etliche AktivistInnen, nachdem Occupy polizeilich beendet wurde, professionelle Gewerkschaftsaktivisten geworden, und das macht sich bemerkbar, bis hin zu den Streiks bei Wal Mart und in der Fast-Food-Branche, die wir kürzlich erlebt haben und die mit neuen Ansätzen auf sich aufmerksam machen.

Was war die Idee von Occupy Your Workplace und wie ist es gelaufen?

Wir wollten die Idee der Besetzung und Selbstverwaltung auf die Sphäre des Arbeitsplatzes ausdehnen, denn dort liegt die eigentliche Macht zur Veränderung. Wir wollten junge, unorganisierte Leuten, die offen für diese Idee waren, bei ihren Arbeitskämpfen unterstützen. Wir hatten einige Trainings zur Organisierung am Arbeitsplatz, bei denen wir die Erfahrungen der IWW nutzten. Demnächst erscheint auch ein entsprechendes Handbuch, das kostenlos erhältlich sein wird. Nach und nach wurden unsere Treffen dann eher zu einem offenen Forum, bei denen sich Leute über ihre Probleme und Erfahrungen bei der Arbeit austauschen, aber es gab auch einen Arbeitskampf, der direkt mit unserer Gruppe begann. Die ArbeiterInnen im beliebten Buchladen Strand’s Books in Manhattan sollten neue Verträge bekommen, was zwei Lohnklassen bedeutet hätte. Sie hatten ein wenig Sicherheit vor Repression durch den Arbeitgeber, weil sie bereits Mitglieder der Branchengewerkschaft waren, und planten, den Laden zu übernehmen. Das ganze scheiterte leider an internen Differenzen.

Was ist passiert?

Einige der Streikenden waren zu ungeduldig und setzten alles auf Direkte Aktionen. Etwas Ähnliches passierte auch am 1. Mai 2011, während der Occupy Proteste. Autonome AnarchistInnen riefen einen Generalstreik aus, ohne mit den radikalen GewerkschaftsaktivistInnen oder überhaupt mit irgendeiner Gewerkschaft zu reden. Natürlich scheiterte der Versuch grandios, und die Gewerkschaftsleute waren ziemlich sauer. Trotzdem glaube ich, dass wir die Ideen und Perspektiven beider Seiten brauchen, um in der Zukunft Siege zu erringen.

Ich würde gerne wissen, was deiner Meinung nach der am ehesten Erfolg versprechende Weg sein könnte. Ist es „eine Gewerkschaft für alle“, wie es der Slogan der IWW propagiert, oder eher der Kampf innerhalb der etablierten Gewerkschaften?

Gute Frage! An dieser Stelle bin ich tatsächlich anderer Meinung als die meisten meiner GenossInnen. Die Kritik der IWW ist ja, dass alle anderen Gewerkschaften business unions sind, also selbst ein Unternehmen, in dem Leute auf Geld und Macht aus sind. Das Argument der IWW ist, dass die Macht nur von den ArbeiterInnen an ihrem Arbeitsplatz kommen darf und nicht von einem Gewerkschaftsapparat oder ähnlichem, so dass jede Belegschaftsgruppe autonom ist. So wahr das ist, hat ein solcher Apparat aber auch seine Vorteile, z.B. gefüllte Streikkassen, juristische und sonstige Unterstützung. Insbesondere wenn wir an die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Übergangs denken, gibt es wohl keine Alternative zu einer gemeinsamen Organisation außerhalb der einzelnen Arbeitsplätze. Nicht unbedingt eine Gewerkschaft oder eine Partei, aber was auch immer aus kollektiver Aktivität, einem Generalstreik oder Vollversammlungen erwachsen könnte. Im Hier und Jetzt denke ich, dass jeder Arbeitskampf seine eigene Lösung braucht.

Danke für das Interview!

Redaktion

Die Redaktion der Direkten Aktion.

Share
Veröffentlicht von
Redaktion
Tags: IWW

Recent Posts

Syndikalismus für das 21. Jahrhundert II

Interview mit Torsten Bewernitz und Gabriel Kuhn.

13. November 2024

Syndikalismus für das 21. Jahrhundert

Der revolutionäre Syndikalismus, wie wir ihn kennen, gehört vielleicht der Vergangenheit an. Damit er überleben…

23. Oktober 2024

Aber es braucht viele.

Rezension zum Buch der Sanktionsfrei e.V. Gründerinnen über Bürgergeld, Armut und Reichtum.

9. Oktober 2024

Arbeiter:innen für die Zukunft des Planeten

Arbeits- und Klimakämpfe verbinden - zum neuen Buch von Simon Schaupp und dem Film Verkehrswendestadt…

2. Oktober 2024

Back to Agenda 2010?!?

Alter Chauvinismus oder die Kehrtwende in eine neue Fürsorglichkeit.

31. August 2024

Marxunterhaltung und linker Lesespaß

Rezension zu „Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut“

24. August 2024