Betrieb & Gesellschaft

Bewaffneter Wachschutz im Treppenhaus

Eine Wohnungsgenossenschaft krempelt ein Quartier – und ihr Verständnis von „sozialverträglichem Wohnraum“

Gentrifizierung, die Aufwertung, durch die noch bezahlbarer Wohnraum, zugunsten (luxus)sanierter Objekte weichen muss und in deren Folge nicht zahlungskräftige Menschen an die Außenränder der Städte gedrängt werden, ist ein selbst in der bürgerlichen Medienlandschaft nicht mehr zu verleugnendes Problem. Ein Genosse aus Freiburg ist jetzt mit dieser Tatsache und ihren Folgen konfrontiert. Herbert, 63, verwitweter Rentner und Mitglied der ca. 17.000 Mitglieder zählenden Freiburger Baugenossenschaft „Bauverein Breisgau eG“ (BVB), lebt seit sieben Jahren in seiner Wohnung und hat einen Dauermietnutzungsvertrag. Den bisherigen Mietpreis kann er noch gut aufbringen. Jetzt sollen er und viele andere MitbewohnerInnen und NachbarInnen raus. Wir sprachen mit Herbert.

Du lebst in einem Quartier direkt an der Uni-Klinik, wo Wohnraum bisher relativ günstig war, da die Eigentümerin BVB laut Satzung sozialverträglichen Wohnraum für ihre Mitglieder geschaffen hat. Das ändert sich nun.

Mit Entsetzen haben wir BewohnerInnen durch einen Artikel in der lokalen Presse vom 8. Mai 2012 erfahren, dass unser Wohnquartier im Zuge der Neugestaltung des Uni-Klinikum-Geländes neu bebaut werden soll. Die Wohnungen sollen, auf Behauptung, sie seien in einem schlechten Zustand, der sich nicht mehr zu renovieren lohne, in drei Bauphasen abgerissen und das Gelände neu bebaut werden. Erst zwei Tage nach Veröffentlichung des Presseartikels wurden wir von der BVB mit einer lächerlichen Entschuldigung über deren Vorhaben informiert. Die ganze Farce wurde uns dann auf einer rasch einberufenen MieterInnenversammlung etwa einen Monat später offen gelegt. Für uns BewohnerInnen ganz klar ein abgekartetes Spiel. Das ist eigentlich eine Form der Transparenz, die ich so von einer Genossenschaft nicht erwartet hätte. Wir wurden also über die lokale Presse über unsere Zukunft aufgeklärt.

Um wie viele Wohnungen, sprich Wohnblöcke, die nun den abgerissen werden sollen, handelt es sich und wem boten diese bisher Wohn- und Lebensraum?

Es handelt sich um 170 Wohnungen, auf fünf Blöcke verteilt, die in den ersten beiden Bauabschnitten abgerissen werden. Der dritte würde dann in 10-15 Jahren erfolgen, also sind es insgesamt 230 Wohnungen. Hier wohnten viele ältere und alte Menschen, zum Teil schon seit über 40 Jahren. Aber auch einkommensschwächere junge Menschen, Studenten, Paare und Einzelpersonen, sowie einige Kleinfamilien, für die günstiger Wohnraum existenziell ist.

Wurde euch von der Genossenschaft vermittelt, was denn hier zukünftig geschaffen werden soll? Und was denkst Du, für wen die Neubauten angedacht sind?

Die BVB denkt an kliniknahe Dienstleistungen, aber vor allem an Wohnungen in unterschiedlicher Größe für Angestellte der Uni-Klinik. Da die Wohnungen nach dem neusten Stand der Technik gebaut werden sollen, steigt der Quadratmeterpreis, wohl mindestens um das Doppelte. Somit kann man davon ausgehen, dass die Wohnungen hauptsächlich für gutverdienende Klientel attraktiv sein sollen und solche, für die die Nähe zum Klinikum wichtig ist und die deshalb eine hohe Miete in Kauf nehmen (müssen). Kurios ist hierbei, dass so ein Vorhaben, also überteuerten Wohnraum ihren Mitgliedern anzubieten, sicherlich nicht im Sinne von Genossenschaftssatzungen sein kann. Die BVB hat ihre Satzung in den letzten Jahren ehedem immer wieder den neoliberalen Umstrukturierungen angepasst.

Was hat man den BewohnerInnen als Ersatz angeboten?

Man hat uns angeboten, Wohnungen aus dem Genossenschaftsbestand zu vermitteln, die in etwa auf dem gleichen Preis-Leistungs-Niveau liegen sollen. Ebenfalls Umzugshilfe und Mietpreisbindung zum jetzigen Quadratmeterpreis auf 3 Jahre, erst danach können Mieten erhöht werden.

Nun könnte man auf den Gedanken kommen, dass sich das auf den ersten Blick ganz gut anhört.

Hier sehe ich aber den sozialen Aspekt als entscheidenden Faktor. Die BewohnerInnen werden aus ihrer gewohnten und vertrauten sozialen wie infrastrukturellen Umgebung gerissen. Viele der älteren Menschen empfanden die unmittelbare Nähe zur Uni-Klinik als Gefühl der Sicherheit. Es herrschte ein gutes und nachbarschaftliches Verhältnis, ein über einen langen Zeitraum gewachsener, gut funktionierender Sozialraum.

Aktuell bist Du einer der letzten Bewohner des ersten Bauabschnittes. Warum haben viele die Angebote letztlich doch angenommen?

Eine Wohnung zu bekommen, die in einem besseren und renovierten Zustand ist, war sicher für viele verlockend. Dann auch die zugesicherte temporäre Mietpreisbindung. Ich denke, dass dies zwar zunächst eine Verbesserung für den/die Einzelnen bedeuten kann; hier fehlt vielen aber ein individueller, wie vor allem auch politischer Weitblick. Individuell, weil die tatsächlichen Wohnkosten der neuen Wohnungen sie in einigen Jahren knallhart einholen werden, und eine zukünftige Verminderung der sonstigen Lebenskosten und ein Anstieg der Löhne im Kapitalismus sicherlich nicht vorgesehen sind. Politisch, weil ein intakter Lebensraum mit preiswerten Wohnungen und guter, auch sozialer, Infrastruktur somit zugunsten eines Quartiers für Besserverdienende weichen muss. Längerfristig gesehen werden die anderen Wohnungen der BVB auch saniert werden müssen, was sich aus Sicht neoliberaler Verwertungslogik aber nicht lohnt, ergo werden auch sie sicherlich abgerissen und somit irgendwann der ganze Genossenschaftsbesitzstand an günstigem Wohnraum vernichtet werden.

Gab es irgendwelche Formen von Widerstand seitens der BewohnerInnen?

Es wurde recht bald eine MieterInnen-Initiative gegründet und sich auch regelmäßig getroffen, ausgetauscht und besprochen. Die Empörung und Beteiligung waren anfangs recht groß, haben aber nach den Angeboten seitens der BVB letztendlich stark nachgelassen. Auch die bürgerliche Presse hat uns nicht unterstützt und Artikel z.B. erst einmal dem BVB vorgelegt. Das ist aus journalistischer Sicht zum Faktenabgleich natürlich richtig, jedoch wurde die Darstellung der BVB einfach kritiklos geschluckt. Generell war aber das Interesse von Presse als auch Stadtverwaltung sehr gering. So haben fast alle irgendwann resigniert.

Wie sieht es derzeit bei dir aus und wie wird es für dich weitergehen?

Bei Erscheinen dieser DA-Ausgabe bin ich wahrscheinlich der letzte verbliebene Mieter der betroffenen Wohnungen der ersten Bauphase. Bisher habe ich noch keine für mich akzeptable Wohnung angeboten bekommen. Ich hoffe mal, die Baugenossenschaft findet hierfür noch vor Abriss eine Lösung für mich [lacht]. Die neueste Entwicklung ist ein bewaffneter Sicherheitsdienst, der hier nachts herumgeistert und patrouilliert. Diese repressive Methode soll wohl Verbliebene wie mich einerseits einschüchtern und abschrecken. Andererseits scheinen BVB, Stadt und Polizei noch Widerstand aus einer anderen Richtung zu befürchten: Nämlich der sehr regen Freiburger HausbesetzerInnen-Szene.

Herbert, danke für deine klaren Worte und viel Glück für deine weitere Wohn- und Lebenssituation!

Gotthilf Vierer

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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Gotthilf Vierer

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