Globales

Exploitation, not lovin‘ it

Über die Krise eines Landes und das Wiederfinden von Selbstachtung

„Und was sonst haben wir zu verlieren? Ich meine, wir sterben schon so langsam im Alltagstrott, also warum nicht aufschreien und aufstehen und das ganze Land wissen lassen, dass wir leiden? Und das ist wirklich ein Hilferuf. Und dieses großartige Land sollte seinen ArbeiterInnen, die Hilfe brauchen, nicht den Rücken zukehren“ – Terrance Wise, Kansas City Fast Food Streikmitglied

„Wir haben nichts mehr zu verlieren“ – das denken mittlerweile immer mehr ArbeitnehmerInnen aus der US-Fast-Food-Branche. Mehrere hundert von ihnen streikten Ende August in über 60 Städten für einen höheren Mindestlohn von $ 15 und das Recht auf repressionsfreie gewerkschaftliche Organisation. Betroffen waren einige der größten Fast-Food-Ketten, unter anderem McDonald’s, Burger King und Wendy’s. In New York allein hatten rund 300 DemonstrantInnen eine McDonald’s-Filiale nahe dem Empire State Building besetzt.

Unterstützt wurden die Streikenden von einzelnen Angestellten aus dem Einzelhandel. Bei ähnlichen Streiks hatten bereits zuvor mehrere hundert Fast-Food-Angestellte in den letzten Monaten gegen die schlechten Arbeitsbedingungen protestiert und eine Verbesserung ihrer Lebenslage gefordert.

Solche Streiks stellen ein Novum für US-amerikanische Verhältnisse dar, da lediglich zirka zwölf Prozent der Angestellten Mitglied einer Gewerkschaft sind. In der Privatwirtschaft sind es sogar weniger als zehn Prozent.

Die Fast-Food-Industrie beherbergt insgesamt zirka zwölf Millionen ArbeiterInnen. Der relative Anteil an Arbeitsplätzen in der US-Wirtschaft ist seit Jahrzehnten in dem selben Maße steigend, in dem Jobs aus dem Industriesektor verschwinden und ArbeitnehmerInnen auf Dienstleistungs-Jobs angewiesen sind.

Die Streikenden repräsentieren also nicht die „klassischen“ AußenseiterInnen der US-Gesellschaft, sondern vielmehr das Schicksal einer Mittelklasse, die sich selbst nicht mehr vorm Absturz zu retten vermag.

Seit der Rezession 2008 sind immer mehr Jobs verloren gegangen, die früher der US-amerikanischen Mittelklasse ihren Lebensunterhalt garantiert haben. In Folge müssen immer mehr BürgerInnen auf Jobs zurückgreifen, die man früher eher als Ferien- und StudentInnenjobs bezeichnet hätte. So sind 70% der ArbeiterInnen in der Fast-Food-Branche heute 20 oder älter, von diesen haben 70% wiederum mindestens einen College-Abschluss.

35,5% der Angestellten sind sogar 40 oder älter, die Beschäftigten sind überwiegend dunkelhäutig und / oder weiblich.

Der jetzige bundesweite Mindestlohn für Fast-Food-Worker, der das letzte Mal 2009 erhöht wurde, liegt unter der Hälfte der Lohnsteigerungsforderungen bei $7,25, der Durchschnittslohn in der Branche beträgt in etwa $9,00.

Bei einem durchschnittlichen Vollzeit-Job in der US-Fast-Food-Branche würde man lediglich $18.500 verdienen. Das Problem für die Angestellten liegt nicht nur bei den niedrigen Löhnen, sondern auch in der Arbeitszeit. Schichten werden nach Gutdünken aufgeteilt; wie viele Stunden man pro Woche arbeiten kann, wird vom jeweiligen Filialmanagement entschieden. Das bedeutet für die überwiegende Mehrheit, dass sie im Schnitt offiziell nur 20-25 Stunden pro Woche – Überstunden nicht mitberechnet – arbeiten können. Da das für viele nicht reicht, müssen sie sich einen Zweitjob besorgen, um über die Runden zu kommen. Für andere sind die Schwankungen in den Arbeitszeiten so stark, dass sie von der Arbeit gerade mal ihre Stromrechnungen bezahlen können. Zusätzliche Leistungen wie bezahlte Krankentage und eine Krankenversicherung sind eine Rarität. Angestellte bei McDonald’s müssen beispielsweise an Feiertagen wie Weihnachten arbeiten, ohne dafür extra Zuschläge zu bekommen.

Selbst wenn der Lohn über dem gesetzlichen Minimum liegt, reicht er oft nicht dazu aus, die grundlegenden Bedürfnisse zu decken, so dass besonders Menschen mit Familien zusätzlich zu ihrer Arbeit Leistungen aus dem Sozialsystem wie Lebensmittelkarten beziehen müssen. WirtschaftsprofessorInnen schätzen, dass man, um alle seine Grundbedürfnisse in einer US-Großstadt abzudecken, einen Mindestlohn von über $17, teils sogar von über $20 in Metropolen wie New York benötigt. Der gesetzliche Mindestlohn ist in den letzten Jahrzehnten jedoch bei weitem nicht in dem Maße gestiegen, wie er dies hätte tun sollen. Wäre dieser an die Preise gekoppelt gewesen, läge er heute bei $10,57, würde man den Anstieg der Produktivität in den letzten Jahrzehnten mit einberechnen, würde jedem Angestellten in den USA ein Mindestlohn von $21,72 pro Stunde zustehen.

Dass Lohnsteigerungen für den Fast-Food-Sektor ein realistisches Ziel sind und nicht den Untergang der gesamten Branche bedeuten würden, beweisen die Bilanzen der verschiedenen Restaurant-Ketten. Diese haben 2013 Schätzungen zufolge insgesamt einen Rekordprofit von 660,5 Milliarden Dollar einspielen können.

Das spiegelt sich auch in der Lohn-Disparität zwischen gehobenem Management und einfachen ArbeiterInnen wieder, der wie im Rest der USA gigantisch ist. Diese Spaltung ist de facto so hoch, dass nach Aussagen des Economic Policy Institute ein CEO an einem Morgen mehr verdient als einE einfacheR AngestellteR in einem ganzen Jahr.

Christopher Voß

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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Christopher Voß

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