Die libertäre Kraft ist in Russland erst schwach, wächst aber dann schnell aufgrund der Enttäuschung der arbeitenden Klassen über die Regierungspraxis der Bolschewiki. Die Kämpfe um die Emanzipation und gegen eine neue Diktatur über das Proletariat dauern bis 1921. Höhepunkte sind der Aufstand von Kronstadt im März 1921 und die Machnowina in der Ukraine (1918-1921). In beiden Bewegungen finden sich freiheitlich-kommunistische Momente. Die Matrosen Kronstadts beteiligen sich an vorderster Front in allen revolutionären Kämpfen, basisdemokratische Organisationen und Institutionen werden geschaffen. Nach ihrer Machtergreifung lösen die Bolschewiki diese Strukturen langsam wieder auf und ersetzen sie durch bürokratische Formen. Zur Eskalation kommt es im Frühjahr 1921. In Petrograd streiken Ende Februar die ArbeiterInnen. Der Regierung gelingt es, den Konflikt durch Zugeständnisse und Repression zu befrieden. Aber der Funke springt auf Kronstadt über. In Volins Werk sind zahlreiche Auszüge aus der Kronstädter Iswestija abgedruckt. Die werktätigen Massen wollen endlich selbst bestimmen und fordern alle Macht den freien Sowjets. Die Bolschewiki schlagen den Aufstand militärisch nieder, produzieren dabei eine Menge Lügen. Diese Politik sichert den Machterhalt der Partei. Mit der Niederlage der Matrosen, Soldaten und ArbeiterInnen Kronstadts verschwindet in Russland die Hoffnung, eine Gesellschaft der Freien und Gleichen schaffen zu können.
Zu diesem Zeitpunkt existiert aber noch in der Ukraine die Machnowina, für Volin die bedeutendste Erscheinung während der Revolution. In der Ukraine bildet sich aufgrund besonderer Bedingungen eine soziale Bewegung mit libertären Merkmalen. Bemerkenswert ist die Ablehnung der Führung durch politische Parteien, stattdessen wird die Idee einer freien Selbstverwaltung der ArbeiterInnen und BäuerInnen entwickelt. FreischärlerInnenabteilungen verschmelzen zu einer aufständischen Armee und führen Krieg gegen die alte und neue Herrschaft. Die Machnowina öffnet Räume für die Initiativen der Massen. Es gibt Versuche, das gesellschaftliche Leben frei und selbstbestimmt auf einer kommunalen und egalitären Basis zu organisieren. Periodische Kongresse der BäuerInnen, ArbeiterInnen und Aufständischen sollen auch über die Grundprinzipien entscheiden. Im Oktober 1919 leben mehr als zwei Millionen EinwohnerInnen im befreiten Gebiet. Die Bolschewiki versuchen schon früh, die „Volksmacht“ zu zerstören. Allerdings sind sie auf die Kampfkraft der Aufständischen angewiesen. Im Herbst 1919 retten diese die Bolschewiki, indem sie die weiße konterrevolutionäre Armee besiegen. Nach der endgültigen Niederlage der Monarchisten 1920 kommt es zum Verrat der Bolschewiki. Alle autonomen Ansätze werden zerstört. Die Reste der aufständischen Armee kämpfen noch bis August 1921 im Namen der Rechte und Interessen der werktätigen Massen gegen die Bolschewiki. Dann ist der Traum eines selbstbestimmten Lebens auch für die aufständischen BäuerInnen vorbei. Volin beschreibt differenziert Stärken und Schwächen der Machnowina. Die gewählte Methode der Bolschewiki, autoritär alles von oben bestimmen zu wollen, verhindert die mögliche Emanzipation der ausgebeuteten und unterdrückten Klassen.
Volins Schlussfolgerung aus den Erfahrungen der Russischen Revolution ist die, dass jeder Versuch, die soziale Revolution mit Hilfe des Staates, einer Regierung durchzuführen, scheitern muss. Die jakobinische Konzeption ist zu verwerfen. Für die, die immer noch träumen von einer Welt ohne Ausbeutung und Herrschaft, ist die Lektüre sinnvoll, durch das Aufwerfen wichtiger Fragen, die noch zu beantworten sind. Die unbekannten RevolutionärInnen gehören zu unserem kollektiven Gedächtnis, zur schwarzroten Suche nach dem Glück.
Volin Die unbekannte Revolution, (drei Bände in einem Buch), 680 Seiten, Verlag Die Buchmacherei, Berlin, 10/2013, ISBN 978-3-00-043057-2.
Interview mit Torsten Bewernitz und Gabriel Kuhn.
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