Fließbandarbeit im Krankenhaus – 10 Jahre „diagnosebezogene Fallpauschalen“
Nachts
in einem Krankenhaus in Norddeutschland: Eine Nachtschwester muss 42 frisch
operierte PatientInnen versorgen. Um alle Zimmer auf dem ca. hundert Meter
langen Flur schnell zu erreichen, hat sie einen Tretroller. Morgens im Klinikum
Ludwigshafen: Ein Team teilzeitbeschäftigter „BlutabnehmerInnen“ geht über die
Station und entnimmt den PatientInnen Blut. Ökonomen hatten ausgerechnet, dass
der tägliche Zeitaufwand für die Blutentnahmen klinikweit bei 46,2 Stunden lag
– und zwar teuren Arztstunden. Aufs Jahr umgerechnet entspricht das 7,5 Vollzeitkräften
oder rund 450.000 Euro. Die zehn teilzeitbeschäftigten MitarbeiterInnen machen
es für insgesamt 180.000 Euro.
Seitdem
2004 die Finanzierung der Krankenhäuser in Deutschland auf diagnosebezogene
Fallpauschalen (DRG) umgestellt wurde, seitdem die Krankhäuser in Konkurrenz
zueinander stehen, herrscht dort eine unerbittliche betriebswirtschaftliche
Logik. Dies gilt zunächst unabhängig von der Träger- bzw. Eigentümerschaft: Der
Druck, Profite machen zu müssen, kommt in privatwirtschaftlichen Krankenhäusern
wie denen der Rhönklinik AG oder der Helios Kliniken GmbH lediglich noch oben drauf.
Alle Krankenhäuser versuchen im Moment mit der gleichen Strategie in diesem
Konkurrenzkampf zu bestehen: Sie steigern die Fallzahlen sowie die Fallschwere
und reduzieren die Liegezeiten, weil sie pro Fall Geld bekommen – je schwerer
der Fall, umso mehr Geld. Gleichzeitig versuchen sie, an den Ausgaben zu
sparen, wozu sich in personalintensiven Sektoren dann eben am besten das Personal
eignet.
Nach
Maßgabe der Betriebswirtschaft wird dabei ungeachtet der Kriterien einer guten
Versorgung oder guter Arbeit versucht, Tätigkeiten von gut bezahlten Kräften an
weniger gut bezahlte zu übertragen. Von den ÄrztInnen wird an die Pflege delegiert
oder an neu geschaffene Berufe wie die „BlutabnehmerInnen“, die
operationstechnischen AssistentInnen usw. Das Spiel setzt sich fort: Von der
examinierten Pflegekraft zur angelernten und schlechter bezahlten, von der
angelernten Pflegekraft zur noch schlechter bezahlten Reinigungskraft. Der
Patient und die Patientin werden dabei schon jetzt, zumindest von den
BetriebswirtInnen und ControllerInnen, betrachtet wie ein Auto auf dem
Fließband. Die andere Strategie ist der Personalabbau. Da die ÄrztInnen, mitunter
durch leistungsabhängige Arbeitsverträge angespornt, die Cashcows der
Krankenhäuser sind, fand schon vor der Einführung der DRG und in Vorbereitung
selbiger der Personalabbau vorrangig in der Pflege statt. Für die Beschäftigten
bedeutet dies eine extreme Arbeitsverdichtung. Sie müssen mehr und schwerer
erkrankte PatientInnen mit weniger KollegInnen versorgen – und das bei
tendenziell schlechteren Löhnen. Durch Privatisierung und Outsourcing von
ganzen Häusern oder einzelnen Bereichen werden viele KollegInnen zu
schlechteren Löhnen angestellt, oft auch nur noch befristet. In keinem
westeuropäischen Land ist das Verhältnis der Anzahl von Pflegekräften zur
Anzahl der zu versorgenden PatientInnen so schlecht wie in Deutschland.
„Krise“, werden deshalb viele KollegInnen sagen, „hatten wir schon lange vor
2008 im Gesundheitswesen! Wir arbeiten in der Dauerkrise!“
Naiv
könnte man nun annehmen, dass dies am mangelnden Geld liege. So wird das der
kaufmännische Direktor sicher auch erklären – und aus der Perspektive der
EinzelkapitalistInnen mag da sogar etwas dran sein. Insgesamt kann aber von
wenig Geld im deutschen Gesundheitswesen nicht die Rede sein. Sowohl die
Pro-Kopf-Ausgaben als auch die Ausgaben gemessen am BIP sind in Deutschland mit
ca. 12% sehr hoch. Dies allerdings schon seit Jahrzehnten! Das will aber nichts
für die Versorgung oder gar für die Lage der Beschäftigten heißen. In den USA,
die am meisten ausgeben für ihr „Gesundheitswesen“ (ca. 16% des BIP), sind zum
Beispiel ca. 20% der Bevölkerung gar nicht versichert und damit auch nur
rudimentär versorgt.
Das
Geld fließt in Deutschland in eine ökonomisierte Apparate- und Pharmamedizin,
an der die entsprechenden Konzerne, aber auch die niedergelassenen ÄrztInnen
als KleineigentümerInnen enorm gut verdienen. Schlechte Planung,
Doppelstrukturen und Überversorgung bei gleichzeitigem Mangel und schlechter
Versorgung, schlechte Arbeitsbedingungen, hohe Profite und entsprechend hohe
Ausgaben, die vorrangig die Arbeitenden über ihre Beiträge und als Individuen
privat bezahlen, sind im Kapitalismus offenbar kein Widerspruch. Die aktuellen
Kämpfe in den Krankenhäusern thematisieren bisweilen diesen Widerspruch und
zeigen, dass mit der Ökonomisierung der Krankenhäuser und des Gesundheitswesens
grundsätzlich etwas schief läuft. Sie zeigen auch, dass kapitalistische
Ökonomisierung und gute Versorgung durch gute Arbeit im Gesundheitswesen nicht
zusammen passen. Leider handelt es sich bei den VertreterInnen dieser Meinung
um eine rare Spezies. Noch weniger findet man im Moment unter den Beschäftigten
die Verallgemeinerung zu einer grundsätzlichen Kritik der Lohnarbeit.
Sara Katsani
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