Für die jüngere Generation ist es heute eigentlich kaum vorstellbar, dass es früher einen Unterschied zwischen ArbeiterInnen und Angestellten gegeben hat. Dieser bestand unter anderem lange darin, dass ArbeiterInnen im Krankheitsfall keine Lohnfortzahlung bekamen.
Ebenfalls schwer vorstellbar ist wahrscheinlich für viele jüngere Menschen, dass die Gewerkschaften im DGB durchaus einmal kämpferisch waren. Vor allem die IG Metall hat häufiger lange Streiks geführt. Der längste Streik in der Geschichte der Bundesrepublik begann am 24. Oktober 1956 in Schleswig-Holstein und wurde von der IG Metall geführt. Sie hatte sich vorgenommen, den Unterschied zwischen ArbeiterInnen und Angestellten zu beseitigen. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Unterschiedes war die fehlende Lohnfortzahlung für ArbeiterInnen im Krankheitsfall. Wenige Monate zuvor war eine Initiative für eine gesetzliche Regelung noch im Bundestag gescheitert. Für die ArbeitgeberInnenseite war klar, dass es hier um einen Präzedenzfall ging und dieser verhindert werden musste.
Neben der Lohnfortzahlung ging es auch um mehr Urlaub und die Einführung von Urlaubsgeld. 77,5 Prozent der Mitglieder waren bereit, dafür in den Streik zu ziehen. Die Ausgangsbedingungen waren gut, denn Deutschland befand sich gerade in Mitte des Wirtschaftswunders. Trotzdem war es das erste Mal, dass es in einem Streik nicht um Gehaltserhöhungen, sondern die Verbesserung der Bedingungen ging. Auch die Taktik der „flexiblen Eskalation“ der IG Metall, zunächst nicht alle Betriebe zu bestreiken, um die Streikfront wachsen lassen zu können, war neu. So legten am 24. Oktober zunächst rund 20.000 WerftarbeiterInnen ihre Arbeit nieder. Bis zum Ende des Streiks wuchs die Zahl der streikenden ArbeiterInnen auf 34.000. Um auch die Öffentlichkeit zu gewinnen, erschienen tägliche Streiknachrichten. In größeren Städten gab es Kundgebungen und Filmveranstaltungen in Kinos. Die Schwestergewerkschaften im DGB solidarisierten sich und unterstützten den Streik finanziell und mit Sachspenden. Trotz der guten Öffentlichkeitsarbeit wurden nach zwei Schlichtungsversuchen, die am 7. und am 30. Januar 1957 mit großer Mehrheit von den Streikenden abgelehnt wurden, bereits damals Rufe laut, in die Tarifautonomie einzugreifen. Erst der dritte Schlichtungsversuch vom 8. Februar brachte einen Erfolg. Zwar wurde dieser ebenfalls von ca. 60 Prozent abgelehnt, allerdings reichte das Verhältnis nicht aus, um den Streik fortzuführen. Im Kompromiss wurde die Lohnfortzahlung angenommen, und nach 16 Wochen im Streik wurde die Arbeit wieder aufgenommen.
Im Zuge des Streikes wurde im Juni 1957 das erste Lohnfortzahlungsgesetz vom Bundestag verabschiedet, das zumindest einen Zuschuss der ArbeitgeberInnen zum Krankengeld regelt. Dadurch erhielten ArbeiterInnen für sechs Wochen immerhin 90 Prozent ihres Gehaltes. Erst 1969 wurde die vollständige Lohnfortzahlung für ArbeiterInnen Gesetz; und damit war einer von vielen Unterschieden zwischen ArbeiterInnen und Angestellten beseitigt. Der Streik von 1957 wird heute als wichtiger Durchbruch bei der Gleichbehandlung von ArbeiterInnen und Angestellten gewertet.
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