Zum Kampf um gesellschaftliche Teilhabe von Flüchtlingen in Rheinland-Pfalz
Der Kuchen aus Wohlstand, dessen Stücke an unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen verteilt werden, sei geschrumpft, wird in Krisenzeiten häufig suggeriert. Das heißt für immer mehr Menschen der sogenannten bürgerlichen Mitte: Die Ausländer, Zigeuner, Hartz IV-EmpfängerInnen wollen gerade jetzt von unserem Wohlstand profitieren – das geht nicht. Auswüchse dieser Stimmung zeigen sich in Hellersdorf oder Schneeberg. Andererseits hat ein karitativer Umgang mit der Situation Hochkonjunktur – man muss den armen Menschen doch helfen! Beides lässt den Abstand zwischen den gesellschaftlichen Gruppen wachsen.
Die Menschen, um die es eigentlich geht, weil ihnen ihre Kuchenstücke vorenthalten werden, bleiben bei solchen Diskussionen häufig stumm. Ausnahmen sind die Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg oder die Refugees am Oranienplatz in Berlin, die selbstorganisiert und selbstbewusst fordern, was sie brauchen. Dass dies nicht der Regelfall ist, ist durch die Lebensrealitäten der Betroffenen erklärbar – hier am Beispiel der Situation von Flüchtlingen in Rheinland-Pfalz.
Neben den „üblichen“ Problemlagen in Sammelunterkünften für Flüchtlinge – katastrophale hygienische Zustände und die Verweigerung von Putzmitteln in Steineberg in der Eifel, ein Taschengeld von monatlich 137 Euro in Neustadt an der Weinstraße, welches an Ein-Euro-Jobs für 10 Stunden pro Woche gekoppelt ist, Duschen, die sich in einem anderen Gebäude befinden, in Ludwigshafen, und so weiter und so fort – hat hier vor allem die Isolation der Refugees fern ab vom Rest der Bevölkerung System. Die Menschen sind häufig in ländlichen Regionen untergebracht, ohne Anbindung an öffentlichen Nahverkehr, ohne Internetzugang, ohne Möglichkeit, Deutsch zu lernen, und warten auf das Ergebnis ihres Asylverfahrens, welches oft Jahre dauert. Zudem haben die Art der Unterbringung und die unklare Zukunftsperspektive eine psychisch zermürbende Wirkung. Eine Selbstorganisierung der Betroffenen in größerem Stil ist schwer vorstellbar.
„Um dem entgegenzusteuern, ist die konkrete Unterstützung der Flüchtlinge vor Ort beispielsweise durch Suchen nach geeignetem Wohnraum oder Deutschunterricht meist effektiver als das Anprangern der unhaltbaren Zustände ohne Beteiligung der Betroffenen“, so Uli Tomaschowski vom Netzwerk Konkrete Solidarität. Dieses hat sich zum Ziel gesetzt, die Abschottung vom öffentlichen Leben (zunächst) in Rheinland-Pfalz und Hessen zu durchbrechen, um die gesellschaftliche und politische Handlungsfähigkeit der Refugees zu stärken. „Durch die Verbesserung der unmittelbaren Lebenssituation und durch die sozialen Kontakte zwischen Flüchtlingen und UnterstützerInnen wird die Ausgangssituation für ein aktives Agieren der Refugees erleichtert“.
Auf einer Anti-Isolation-Tour besuchten Mitglieder des Netzwerks zusammen mit AktivistInnen der Flüchtlingsselbstorganisation The Voice Refugee Forum Flüchtlinge in gut 30 Unterkünften in Rheinland-Pfalz. Parallel wurden interessierte Menschen vor Ort gesucht, die an einer konkreten Unterstützung ihrer NachbarInnen mitwirken und Kontakte zu lokalen Gruppen und Initiativen hergestellt. „Natürlich schwingt hier ein paternalistisches Moment mit“, erklärt Tomaschowski, „aber wenn wir warten, bis die Flüchtlinge von sich aus aktiv werden, hat die Isolation funktioniert. Denn das wird in den allermeisten Fällen nicht passieren. Wichtig sind die Perspektive und das Ziel, mit dem man an die Sache rangeht“.
Ein Projekt des Netzwerks, Teachers on the road, bietet mittlerweile an fünf Orten regelmäßigen Deutschunterricht an, um eine Verständigung der Menschen zu ermöglichen und Informationen über das Asylverfahren und Möglichkeiten des Vorgehens gegen untragbare Zustände in den Unterkünften zu vermitteln. Gleichzeitig werden auf Seiten der Flüchtlinge notwendige Voraussetzungen für aktives Handeln hergestellt: Ein Überblick über lokale Strukturen, Infos über die Situation von Flüchtlingen in Deutschland, rechtliche Grundlagen und soziale Kontakte vor Ort, um die menschenunwürdige Situation aushalten und dabei handlungsfähig bleiben zu können.
Darüber hinaus bietet das Netzwerk Workshops und Vorträge für Interessierte mit dem Angebot des Mitmachens an. So haben sich inzwischen unter anderem in Mainz, Frankfurt und Wittlich zahlreiche Menschen gefunden, die Deutschunterricht geben. In der Südwestpfalz konnte für eine Frau mit einem behinderten Kind ein Rollstuhl organisiert werden. In Germersheim hielt der somalische Refugee Hassan einen Vortrag an der Uni und berichtete über seine Flucht aus Somalia, die mehrjährige Inhaftierung in der Ukraine und seine jetzige Situation. Auch in Landau, Darmstadt, Ludwigshafen und Karlsruhe startet das Projekt diesen Winter. Stück für Stück soll das System, die Flüchtlinge getrennt von „normalen Menschen“ zu sehen, aufgebrochen werden.
Um die Flüchtlinge und UnterstützerInnen zu vernetzen und um die Aktivitäten in den unterschiedlichen Orten zu koordinieren, haben seit Anfang 2013 drei rheinland-pfalz-weite Flüchtlingskonferenzen stattgefunden. Die nächste ist für April 2014 in Landau geplant, ebenso die erste hessenweite Konferenz in Wiesbaden. Auch von der NoBorder-Lasts-Forever-Konferenz, die vom 21. bis 23. Februar 2014 in Frankfurt a. M. stattfindet, erhoffen sich die AktivistInnen des Netzwerks neue Impulse.
Infos zum Netzwerk: nksnet.wordpress.com
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