Die Schweiz vermarktet sich gerne weltoffen und tolerant, doch die Realität sieht anders aus
MigrantInnen und ihre Familien bekommen die harte Realität immer stärker zu spüren. Aktuellstes Beispiel ist die sogenannte „Masseneinwanderungs-Initiative“ der nationalkonservativen, häufig rassistisch polemisierenden Schweizerischen Volkspartei (SVP), welche am 9. Februar diesen Jahres mit 50,3% Ja-Stimmen knapp angenommen wurde.
Auffallend am Ergebnis der Abstimmung ist, dass insbesondere urbane Gebiete und große Städte sowie die französischsprachige Schweiz, welche allesamt einen überdurchschnittlich hohen Anteil an AusländerInnen aufweisen (und ihnen im Falle vieler französischsprachiger Kantone auch auf kantonaler Ebene das Stimmrecht eingeräumt haben), die Initiative der SVP abgelehnt haben. Demgegenüber haben ländliche Gebiete in der deutschsprachigen Schweiz mit einem tiefen AusländerInnenanteil die Initiative großmehrheitlich befürwortet. Kurz gesagt: Je eher Menschen, die als AusländerIn bezeichnet werden, etwas Fremdes und Ungewohntes sind, desto größer die Angst vor ihnen. Mit der Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative sollen erneut jährliche Kontingente für neue Aufenthaltsbewilligungen von MigrantInnen aus dem EU-Raum geschaffen werden, wie dies bis zum Ende der 1990er Jahre bereits der Fall war. Ziel der Schweizer Migrationspolitik war es lange, einerseits Arbeitskräfte für die Wirtschaft verfügbar zu machen, andererseits dies aber zu möglichst günstigen Bedingungen und mit möglichst wenig Rechten für die arbeitenden Menschen zu erreichen. Beispiel dafür war das über Jahrzehnte angewandte Saisonnier-Statut, mit dem Menschen nur für wenige Monate eine Arbeits- und damit verbundene Aufenthaltserlaubnis erhielten. Unter anderem war den sogenannten Saisonniers der Wechsel der Arbeitsstelle verboten, das Ziel möglichst rechtloser, billiger Arbeitskräfte für die Unternehmen damit erreicht. Demgegenüber war die Freizügigkeit für das Kapital mit dem – sich endlich langsam dem Ende nähernden – Bankgeheimnis immer eine Selbstverständlichkeit in der Schweizer Politik und wurde mit massiven Steuererleichterungen für Unternehmen und KapitaleignerInnen aktiv gefördert, auf dem Buckel der Arbeitenden in der Schweiz und weltweit.
Die Schweiz ist seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland, nachdem noch in großen Teilen des 19. Jahrhunderts eine massive Auswanderung aus wirtschaftlichen Gründen stattfand. Bereits im Jahre 1910 betrug der statistische Ausländeranteil 14,7%, Ende 2012 waren es 23,3%. Die sogenannte „Überfremdung“ war immer wieder ein dominantes Thema in der Schweizer Politik, so im Jahre 1970 mit der Schwarzenbach-Initiative (Beschränkung des AusländerInnenanteils auf 10%, 54% Nein-Stimmen der damals noch allein stimmberechtigten Männer), oder mit der 18%-Initiative im Jahre 2000 (Beschränkung auf 18% AusländerInnenanteil, 64% Nein-Stimmen). In den letzten Jahren wurde dieser Diskurs immer stärker übertüncht und von nationalkonservativer und teilweise grüner Seite mit „Überbevölkerung“ oder „Dichtestress“ argumentiert. Insbesondere ist dies bei der sogenannte „Ecopop“-Initiative der Fall, welche ebenfalls noch dieses Jahr zur Abstimmung kommen wird und eine Beschränkung auf einen Wanderungssaldo von 0,2% der Bevölkerung fordert. Auch hat die SVP bereits diverse weitergehende Vorstöße im Parlament angekündigt und droht mit weiteren Volksinitiativen. Zielscheibe der herrschenden AusländerInnenhetze sind insbesondere die Asylsuchenden. Sie machen zwar gerade einmal 2,3% der AusländerInnen aus und unterliegen einem totalen Arbeitsverbot, dennoch werden diese Menschen immer wieder von der SVP besonders ins Visier genommen (vgl. Artikel und Interview).
Die größte Auswirkung dieser Abstimmung ist aber wohl ihre Vorbildfunktion für die diversen RechtspopulistInnen und NationalistInnen in den Ländern Europas, wie sich an deren Reaktionen gezeigt hat. Sie behaupten nun alle, dass die Bevölkerung in diesen Ländern, würde sie befragt, ebenso entscheiden würde wie in der Schweiz. Dies kann in der momentanen wirtschaftlichen Situation sogar durchaus zutreffen. Vergessen wir nicht: Auch eine direkte Demokratie bleibt die Diktatur der Mehrheit über die Minderheit und insbesondere auch über jene, welche gar keine direkten Mitbestimmungsmöglichkeiten haben, aber von den Konsequenzen wohl am stärksten betroffen sein werden. Und da gilt es anzusetzen.
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